Generalanwalt Bot legt Schlussanträge zu Asyl wegen Verletzung der Religionsfreiheit vor

(Christopher Hörster)

Der französische Generalanwalt am Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat am 19. April 2012 seine Schlussanträge in den verbundenen Verfahren C-71/11 und C-99/11 vorgelegt, in denen er sich nachdrücklich gegen eine zu restriktive Interpretation der Religionsfreiheit im Rahmen eines Asylgesuchs in der EU ausspricht.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte dem EuGH im Wesentlichen die Frage vorgelegt, ob eine von Teilen der deutschen Rechtsprechung vertretene Interpretation des Begriffs "Verfolgungshandlung" mit der einschlägigen EU-Richtlinie im Einklang steht. Nach dieser deutschen Interpretation soll nur dann eine Verfolgungshandlung und somit ein Anspruch auf Asyl wegen religiöser Verfolgung bestehen, wenn der Kernbereich der Religionsfreiheit, was insbesondere die private, nicht-öffentliche Ausübung der Religion beinhaltet, verletzt ist. Ein Urteil des EuGH steht noch aus.

Allerdings fasst einer der acht Generalanwälte am EuGH, bevor ein Urteil ergeht, in den meisten Fällen Schlussanträge ab, die eine konkrete Empfehlung enthalten, wie der Fall zu entscheiden ist. Die Schlussanträge sind nicht bindend, oft wird der Empfehlung aber aufgrund der hervorgehobenen Stellung der Generalanwälte gefolgt. Generalanwalt Bot lehnt in seinen Schlussanträgen die generelle Bestimmung eines Kernbereiches der Religionsfreiheit eindeutig ab. Vielmehr hätten religiöse Handlungen je nach Religion, Land oder Persönlichkeit des Einzelnen sehr unterschiedliche Bedeutungen. Für die Verfolgungshandlung käme es ferner nicht auf den betroffenen Bereich der Religionsfreiheit, sondern auf die Art und die Folgen der Unterdrückung an. Bestände eine tatsächliche Gefahr etwa einer Inhaftierung oder unmenschlichen Behandlung, so läge eine Verfolgungshandlung vor.

Besonders zu begrüßen ist aus kirchlicher Sicht die ausdrückliche Klarstellung des Generalanwalts, dass Asylsuchende nicht darauf verwiesen werden könnten, ihren Glauben in ihrem Heimatland nicht öffentlich zu bekennen. Der damit verbundene Zwang zur Verheimlichung der eigenen Religion verstoße gegen das fundamentalste Prinzip eines Rechtstaates: die Menschenwürde.   

Die Schlussanträge finden Sie unter:



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