Horizont 2020 - EU-Mittel für Forschung und Innovation

(Dr. Anna Donata Quaas)

Derzeit werden die Konditionen des Rahmenprogramms "Horizont 2020" verhandelt, das von 2014 bis 2020 EU-Mittel in Höhe von etwa 80 Milliarden Euro für Forschung und Innovation bereit stellen soll. Die Mittel sollen zur Förderung von Exzellenzforschung, der führenden Rolle der Industrie und zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen eingesetzt werden.

Besonders bei der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen nehmen die Geistes- und Sozialwissenschaften aus kirchlicher Sicht eine herausgehobene Stellung ein. Als vorrangiges Forschungsfeld sollte dabei auch die Forschung über die Rolle der Religionen in Europa und ihr Beitrag zur Europäischen Integration angesehen werden. Entsprechend hatte sich die Bundesregierung in ihrem 2. Leitlinienpapier vom 17. Juni 2011 dafür ausgesprochen, die "kulturelle und religiöse Vielfalt als Ressource gesellschaftlicher Erneuerung und Entwicklung" durch das neue Rahmenprogramm für Forschung und Innovation zu fördern.

Im bisherigen Vorschlag der EU-Kommission für "Horizont 2020" wird auf die Rolle von Religionen nur an einer Stelle hingewiesen. Unter der Überschrift "Reflektierende Gesellschaften - Kulturerbe und europäische Identität" wird unter "Schwerpunkten der Tätigkeiten", die "Erforschung der Geschichte, Literatur, Philosophie und Religionen der Länder und Regionen Europas..." genannt.

Im Kernthesenpapier der Bundesregierung vom 15. Mai 2012 wird zudem darauf hingewiesen, dass es für Europa wichtig sei, "seine geistigen und kulturellen Grundlagen zu reflektieren und auf dieser Basis geistige, kulturelle und soziale Beiträge zur weiteren Entwicklung Europas zu leisten." Besonders in den Bereichen "Demographischer Wandel" und "Migration" bestehe mehr Forschungsbedarf auf gesamteuropäischer Ebene. Um Europas kulturelle Wurzeln als Basis für eine gemeinsame Identität zu verstehen, sei eine "hierauf zugeschnittene Forschungsagenda mit eigener Programmatik" notwendig. Zum Erhalt des Kulturguts und zur Erforschung von Quellen und Sammlungen wird auf die besondere Rolle der Geistes-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hingewiesen. Aus Sicht der Kirchen ist jedoch die Rolle von Geistes- und Sozialwissenschaften im neuen Rahmenprogramm insgesamt noch zu wenig berücksichtigt.

Wie bereits im Vorfeld des 7. Forschungsrahmenprogramms wird weiter darum gestritten, ob mit EU-Mitteln auch die Verwendung humaner embryonaler Stammzellen für Forschungszwecke finanziert werden soll.
Wegen der ethischen Relevanz des Themas wurde der Rechtsausschuss (JURI) vom eigentlich für Forschungsfragen zuständigen Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) um eine Stellungnahme gebeten. Am 22. Mai 2012 legte der Berichterstatter des Rechtsausschusses, Piotr Borys (EVP, Polen), den Entwurf einer Stellungnahme vor.

In seinem Entwurf einer Stellungnahme beruft sich Berichterstatter Borys auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 18. Oktober 2011, wonach embryonale Stammzellen nicht patentierbar sind. Hintergrund dieses Urteils war ein Patentstreit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Bonner Stammzellenforscher Oliver Brüstle (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 139).

Aufgrund des Urteils des EuGH plädiert Borys dafür, "Forschungstätigkeiten, bei denen menschliche Embryonen zerstört oder humane embryonale Stammzellen verwendet werden, gänzlich von einer Förderung durch die EU auszuschließen". Seiner Stellungnahme zufolge soll Artikel 16 des Vorschlags für das Rahmenprogramm entsprechend verändert werden. Im Sinne der Kirchen fordert er, die bisherige Protokollerklärung der Europäischen Kommission, keine Forschungsprojekte zu fördern, in deren Verlauf humane Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen zerstört werden müssen, rechtlich verbindlich in der Verordnung  festzuschreiben. In dem Kernthesenpapier der Bundesregierung wird hingegen lediglich von der Europäischen Kommission gefordert, eine Protokollerklärung abgeben und im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröffentlichen. Die ethischen Standards, die im 7. Forschungsrahmenprogramm gesetzt sind, hält sie für ausreichend.

Der Entwurf einer Stellungnahme des Berichterstatters Piotr Borys kann möglicherweise bei der für September 2012 angesetzten Abstimmung im JURI-Ausschuss eine Mehrheit erzielen. Ob sich sein Vorschlag auch im Plenum durchsetzt, ist fraglich.



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