Wer darf ratifizieren? – CETA wird zur politischen Frage

(Julia Maria Eichler)

Am 5. Juli 2016 hat die Europäische Kommission den Beschluss vorgelegt, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) als gemischtes Abkommen abzustimmen. Damit müssen neben dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament auch alle Mitgliedstaaten zustimmen. In den meisten Mitgliedstaaten bedeutet dies, dass die nationalen Parlamente über CETA entscheiden werden.

Als die Europäische Union mit dem Vertrag von Lissabon 2009 die „gemeinsame Handelspolitik" in die Außenkompetenz der Union aufnahm, konnte sich wohl niemand vorstellen, dass im Jahr 2016 trotz Brexit und Flüchtlingskrise die Frage, ob ein Handelsabkommen ein „EU-only"-Abkommen oder ein gemischtes Abkommen sei, europaweit politisch heiß diskutiert werden würde.

Die Diskussionen drehen sich dabei um die Frage, ob die Regelungsinhalte von CETA ausschließlich in den EU-Zuständigkeitsbereich fallen und damit lediglich der Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Ministerrates bedürfen, oder ob in dem Abkommen auch Themen geregelt werden, für die die Kompetenzen bei den Mitgliedstaaten liegen. Dann müssten die EU-Mitgliedstaaten das Abkommen ratifizieren und dementsprechend in den meisten EU-Mitgliedstaaten die nationalen Parlamente zustimmen. Dieser Ratifizierungsprozess dürfte nicht nur das Verfahren in die Länge ziehen, sondern wäre zudem auch noch mit erheblicher Unsicherheit verbunden, da in mehreren Mitgliedstaaten Referenden möglich wären.

Die öffentliche Debatte nach Kompetenzzuteilung und den daraus resultierenden Abstimmungsmodi und Zustimmungserfordernissen, die sonst nur hartgesottene Europarechtler in Ekstase zu ver-setzen mögen, zeigt das Dilemma, in dem sich die Europäische Union befindet.

Im derzeitigen politischen aufgeheizten Klima ist einerseits zu vernehmen, dass eine Verabschie-dung von Ceta als „EU-only"-Abkommen zu einer weiteren Entfremdung des „einfachen Bürgers" von der EU führen würde. Denn sie könnte die Wahrnehmung der EU als Elitenprojekt noch verstärken und als weiterer Beweis verstanden werden, dass die Union sich nicht am Willen der Bürger orientiert und undemokratisch ist. Auf der anderen Seite wird vertreten, dass auch die Referenden in den Niederlanden und Großbritannien gezeigt hätten, dass eine Zustimmung aller Nationalstaaten schwierig ist und Referenden politisch instrumentalisiert werden können, um anti-EU, anti-Establishment- oder gegen die eigene Regierung gerichtete Stimmungen innerhalb der Bevölkerung zu nutzen.

Die Situation ist verfahren. So erklärte der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zwar, dass die Europäische Kommission der Rechtsauffassung sei, dass der Abschluss des Freihandelsabkom-mens mit Kanada allein in die Kompetenz der Europäischen Union falle, legte aber nach dem Protest aus einigen Hauptstädten trotzdem einen Beschluss vor, der die Zustimmungserfordernis der einzelnen Mitgliedstaaten vorsieht. Denn die Minister, die im Ministerrat Ceta zustimmen müssten, wollen ihre nationalen Parlamente befragen.

Einigkeit scheint zwischen Mitgliedstaaten und der Kommission dahingehend zu bestehen, dass diejenigen Teile von CETA, die nicht in den Kompetenzbereich der Mitgliedsstaaten fallen, mit Zustimmung des Ministerrates vorläufig Anwendung finden sollen.

Die rein juristische Frage, ob Ceta ein „EU-only" oder gemischtes Abkommen ist, wird in letzter Instanz der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) klären. Ende dieses Jahres, spätestens Anfang 2017, wird der EuGH sein Gutachten zum Freihandelsabkommen mit Singapur vorlegen. Dem Gutachten kommt dabei Bedeutung über den konkreten Fall hinaus zu, wird doch erwartet, dass der EuGH den Streit um die Kompetenzaufteilung bei Handelsabkommen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ein für allemal klären wird.

Ob ein juristisches Gutachten aber die Debatte darüber, welche Kompetenzen auf EU-Ebene und welche auf nationaler Ebene ausgeübt werden sollten, beendet, darf bezweifelt werden.

Denn der Streit um Ceta geht über diese juristische Fragestellung hinaus und fragt vielmehr nach dem Verhältnis Europas zur Demokratie. In Zeiten von aufsteigenden Populismus, dem zunehmenden Vertrauensverlust der breiten Massen in die politische Führungen und der steigenden Anzahl von Referenden zu Grundsatzfragen steht nicht nur das altbekannte Demokratie-Defizit der Europäischen Union am Pranger, sondern auch die repräsentative Demokratie insgesamt auf dem Prüfstand.

Den Beschluss der Europäischen Kommission finden Sie hier: http://ekd.be/2afjNcC

Das CETA-Abkommen finden Sie in Englisch hier: http://ekd.be/2ay85pZ



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