Dublin-II-Reform: Aussetzungsmechanismus ist vom Tisch

(Katrin Hatzinger)

In der schwierigen Debatte um die Reform der sog. Dublin-II-Verordnung ist der Vorschlag der EU-Kommission, in Fällen einer Überlastung des zuständigen Mitgliedstaates die Überstellung von Schutzsuchenden in diesen Staat auszusetzen, nicht mehr Bestandteil der politischen Diskussionen. Die EU-Innenminister haben sich auf ihrem informellen Treffen in Kopenhagen am 26. und 27. Januar 2012 einstimmig dagegen ausgesprochen. Stattdessen soll ein Frühwarnmechanismus etabliert werden und die Entwicklung von Vorsorgekapazitäten für Asylkrisen für Solidarität im Dublin-System sorgen. Offensichtlich ist dieser neue Kurs auch bereits vom Europäischen Parlament in informellen Gesprächen gebilligt worden.

Der Vorschlag der polnischen bzw. dänischen Ratspräsidentschaft sieht ein Monitoring nationaler Asylsysteme mit Hilfe des Europäischen Asylunterstützungsbüros (EASO) vor. Der neue "Frühwarn- und Vorsorgeprozess" soll in Form eines Asylbewertungsverfahrens vorangebracht werden. Das Konzept soll dazu beitragen, gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Asylpolitik zu schaffen und als Frühwarnsystem fungieren, um Entscheidungen über die Anwendung von Notfallmaßnahmen in solchen Situationen zu erleichtern. Dabei sind die Mitgliedstaaten angehalten, im Rahmen eines Asyl-Management-Berichtswesens vierteljährlich an EASO und die Kommission über die Entwicklungen vor Ort zu berichten und Statistiken z. B. über die Zahl der Asylsuchenden, Anerkennungsraten etc. zur Verfügung zu stellen. Im Fall von Unstimmigkeiten oder eines erhöhten Drucks auf die Asylsysteme sollen die Kommission und EASO möglichst nach einem Besuch vor Ort einen präventiven Aktionsplan erarbeiten, um den Mängeln im Asylsystem abzuhelfen. Gleichzeitig sollen die Mitgliedstaaten über alle Aktivitäten informiert werden und auf freiwilliger Basis Unterstützung leisten können.

Ob der neue Mechanismus, der sehr aufwendig und bürokratisch erscheint und damit Kosten verursachen wird, am Ende die Lösung aus der Blockade der Dublin-Reform bringen wird, ist fraglich. Ein zu begrüßender Nebeneffekt dieses neuen Mechanismus wird allerdings sein, dass sich die Mitgliedstaaten künftig genauer mit den Asylsystemen der anderen Mitgliedstaaten befassen müssen und Missstände nicht länger ignorieren können. Dies ergibt sich zudem auch aus dem EuGH-Urteil vom 21. Dezember 2011 (siehe vorangehender Artikel).

All das ändert aber nichts an dem grundlegenden Manko des Dublin-Systems, das darin besteht, dass es schlicht und ergreifend nicht funktioniert, was nicht zuletzt die Rechtsprechung von EGMR und EuGH verdeutlicht.

Dabei sind allerdings nicht nur die unzureichenden Asylsysteme in Staaten wie Griechenland, Malta oder Italien ein Problem, auch in Ungarn z. B. weist das Asylverfahren zahlreiche Mängel auf. So sind nach Berichten des ungarischen Helsinki-Vereins Asylsuchende u. a. von unmittelbarer Abschiebung in Verfolgung bedroht. In diesem Kontext fällt auf, dass sich die Europäische Kommission in Fragen der Umsetzung des Asylaquis unverständlicherweise mit der Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren sehr zurückhält. Mehr Druck aus Brüssel über die Aufforderung in der Mitteilung zu Solidarität in der EU-Asylpolitik (siehe voranstehender Artikel) wäre hingegen angebracht.

Wichtig wäre es in den Verhandlungen der Minister, die Dublin-II-Verordnung wieder an ihrem ursprüngliche Ziel zu orientieren: eine klare Zuständigkeitsregelung, um Asylsuchenden Zugang zu internationalem Schutz zu verschaffen. Dazu ist eine unabänderliche Prämisse, die Qualität der Asylsysteme der EU zu verbessern. Von EASO in Malta sollte man in dieser Frage keine Wunder erwarten. Angesichts seiner bislang knappen finanziellen und personellen Kapazitäten und der überzogenen Erwartungshaltung der Mitgliedstaaten sollte man realistisch bleiben. Die praktische Zusammenarbeit kann zudem nicht die grundlegenden Konstruktionsfehler des Dublin-Systems lösen. Nötig wären EU-weit vergleichbare hohe Asylrechtsstandards und eine klare Ausrichtung an den Schutzbedürfnissen der Asylsuchenden. Schließlich müsste weiterhin ein gerechtes Verteilungssystem innerhalb der EU geschaffen werden, um die Überlastung nationaler Systeme zu vermeiden und Grundrechtsverstöße abzustellen.

Solidarität ist das Zauberwort der Stunde. Unter dieser Überschrift werden die Mitgliedstaaten die Reform der Dublin-Verordnung weiter diskutieren, wobei die Debatte weniger von gegenseitigem Verständnis als von tiefem Misstrauen geprägt ist. Doch dabei sollten die Innenminister nicht aus dem Auge verlieren, dass es hier nicht nur um Solidarität untereinander, sondern im Sinne der Glaubwürdigkeit der EU zu allererst um Solidarität mit den besonders Schwachen gehen muss.

Den ersten Vorschlag der polnischen bzw. dänischen Präsidentschaft zu dem Mechanismus finden Sie unter:



erweiterte Suche