Migration, Mobilität und Sicherheit - Die zukünftige Asyl- und Migrationspolitik im südlichen Mittelmeerraum

(Katrin Hatzinger)

Die Europäische Kommission hat am 4. Mai 2011 eine Mitteilung zur aktuellen Migrations- und Flüchtlingspolitik in der EU vorgelegt und daran anknüpfend am 24. Mai ein Papier über den „Dialog mit den Ländern des südlichen Mittelmeerraums über Migration, Mobilität und Sicherheit“ vorgestellt. In der ersten Mitteilung schlägt sie u.a. kurzfristige Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingssituation im Mittelmeerraum sowie längerfristige Maßnahmen im Bereich der Asyl- und Einwanderungspolitik vor.

So hält sie an dem Zeitplan fest, bis 2012 ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) zu etablieren und bekräftigt ihre Vorschläge zur Reform der Dublin II VO. Auch soll die legale Migration in der EU gezielter als bisher gelenkt werden, um qualifizierten Personen die Einwanderung in die EU zu erleichtern und zur Deckung des erwarteten Arbeitskräfte- und Qualifikationsmangels sowie zum Ausgleich der erwarteten Abnahme der Personen im arbeitsfähigen Alter beizutragen. Außerdem soll ein strategisches Konzept für die Beziehungen mit Drittländern in Bezug auf migrationsrelevante Themen erarbeitet und die Grenzschutzagentur FRONTEX weiter gestärkt werden. Darüber hinaus wirbt sie für ein europäisches Resettlement-Programm und fordert die Mitgliedstaaten auf, Flüchtlinge im Rahmen von Neuansiedlung aufzunehmen

Die Kommission schlägt außerdem die Einführung eines klar geregelten Verfahrens auf europäischer Ebene vor, das die Bedingungen präzisiert unter denen die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen durch einzelne Schengen- Mitgliedstaaten statthaft sind.

Hintergrund ist folgender: in Italien sind seit Jahresbeginn mehr als 38.000 Menschen aus Tunesien über das Mittelmeer hauptsächlich auf der Insel Lampedusa angekommen. Dabei handelt es sich sowohl um Wirtschaftsmigranten, als auch Schutzsuchende aus Eritrea, Somalia, Äthiopien, Ghana und Nigeria. (bisher sind ca. 2.300 Asylanträge gestellt worden). Im Wege eines sog. „technischen Abkommens“ vom 5. April 2011 mit Tunesien hat Italien dem Land 100 Mio. US-Dollar Soforthilfe für die Überwachung der Küsten und Wiederaufbaukredite in Höhe von 150 Mio. Euro in Aussicht gestellt. Die beiden Länder vereinbarten eine verstärkte Zusammenarbeit zur Verhinderung irregulärer Migration sowie die Rückübernahme neu ankommenden Migranten aus Tunesien. Außerdem stellt Italien Tunesien Motorboote zur Küstenpatrouillen zur Verfügung. Italien hat daraufhin Kurzzeit-Aufenthaltstitel für mehrere tausend Migranten aus Tunesien ausgegeben, die grundsätzlich zur Weiterreise und bis zu einem drei-monatigen Aufenthalt in anderen Schengen-Ländern berechtigen, soweit ausreichende finanzielle Mittel nachgewiesen werden können. Frankreich sah die Kriterien für die Ausgabe solcher Aufenthaltstitel nicht erfüllt und hat deshalb die temporäre Wiedereinführung der Grenzkontrollen zu Italien beschlossen, was wiederum Dänemark motiviert hat, die Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland wiedereinzuführen.

Auf ihrem Gipfeltreffen am 23. und 24. Juni machten die europäischen Staats- und Regierungschefs zwar einerseits deutlich, dass der freie Personenverkehr nicht zur Disposition gestellt werden dürfe. Allerdings soll die Kommission andererseits bis September Vorschläge für einen Mechanismus vorlegen, der – ohne das Prinzip des freien Personenverkehrs zu beeinträchtigen – dann greifen soll, wenn die Schengen-Zusammenarbeit insgesamt gefährdet ist. So sei es in „kritischen Situationen“, in denen ein Mitgliedstaat nicht mehr in der Lage sei, seine Verpflichtungen gemäß den Schengen-Vorschriften zu erfüllen, ausnahmsweise denkbar, eine Schutzklausel einzuführen, die es ermögliche, Binnengrenzkontrollen wieder einzuführen. Da die Personenfreizügigkeit eine der besonderen Errungenschaften der europäischen Einigung darstellt, ist dieses langsame Aufweichen der Grundfreiheit eine beunruhigende Aussicht.

Besorgniserregend ist weiterhin die humanitäre Lage in Libyen und den Grenzgebieten zu Ägypten und Tunesien. Aufgrund der Kämpfe sind fast eine Millionen Menschen aus Libyen geflohen, der Großteil von ihnen hat in Ägypten und Tunesien Aufnahme gefunden. Dramatisch ist die Situation weiterhin an den Grenzen zu Libyen, wo viele Flüchtlinge gestrandet sind, darunter rund 8.000 Personen aus Drittstaaten (v.a. Eritrea, Irak, Somalia) vom UNHCR als Flüchtlinge anerkannt und schon für die Neuansiedlung in anderen Staaten vorgesehen waren. Gemeinsam mit anderen kirchlichen Menschenrechtsorganisationen hat das EKD-Büro Brüssel Anfang April 2011 in einer Stellungnahme zur Situation im südlichen Mittelmeerraum: „Emergency in the South Mediterranean – towards a true policy of addressing humanitarian assistance, protection, cooperation and solidarity“ u.a. für schnelle humanitäre Hilfe, den Ausbau von Resettlement-Plätzen, Solidarität mit den Mittelmeeranrainern und die Schaffung von Möglichkeiten der legalen Migration ausgesprochen.

Die Mitteilung vom 24. Mai 2011 regt die Durchführung eines regionalen Schutzprogramms für Ägypten, Libyen und Tunesien an. Längerfristig werden Maßnahmen ins Auge gefasst, die in erster Linie auf die strukturellen Migrationsursachen abzielen. In diesem Zusammenhang greift die Kommission ihre Idee auf, individuell auf einzelne Länder zugeschnittener Mobilitätspartnerschaften aus dem „Gesamtansatz Migration“ zu etablieren und konkretisiert sie weiter. Die Partnerschaften sollen die legale Migration besser organisieren, die positiven Auswirkungen der Migration auf die Entwicklung verstärken und dazu beitragen, irreguläre Einwanderung wirksam zu bekämpfen. Es gilt also immer eine klare Konditionalität.

Die EKD unterstützt den umfassenden Ansatz zur Migrationspolitik, begrüßt die Reform der Dublin II VO und das Werben für ein europäisches Resettlement-Progamm ebenso wie den Vorstoß, die Möglichkeiten legaler Migration in die EU zu verbessern. Die Lösung der Situation im südlichen Mittelmeerraum kann aus kirchlicher Sicht jedoch nicht vornehmlich in der Stärkung der Grenzschutzagentur liegen (s. nachstehender Artikel).

Aufgrund fehlender parlamentarischer Kontrolle ist problematisch, dass die Kommission in ihrer am 24. Mai 2011 vorgelegten Mitteilung FRONTEX ermächtigen will, eine sogenannte „Arbeitsvereinbarung" mit „den zuständigen Behörden" Tunesiens zu verabschieden. Nach Angaben der Bundesregierung vom 14. Juni 2011 auf eine Parlamentarische Anfrage der Fraktion „Die Linke“ verfolgen diese Arbeitsübereinkommen der Agentur FRONTEX mit Drittstaaten einen mehrstufigen Ansatz, mit dem Ziel der stetigen Entwicklung der Zusammenarbeit. Auf einen strategischen Informationsaustausch zu Grenzschutzfragen und zur Migrationslage folge eine Zusammenarbeit bei der Erstellung von Risikoanalysen, gefolgt von einer möglichen Kooperation in den Bereichen Aus- und Fortbildung, Forschung und Entwicklung sowie Rückführung. Entsprechende Verhandlungen mit Ägypten, Marokko und der Türkei sollen beschleunigt werden. Zudem soll ein eigenes „Operationsprojekt" zwischen der EU und Tunesien abgeschlossen werden, das „Teil eines breiteren Maßnahmenpakets zur Bewältigung der illegalen Migration im Mittelmeerraum" werden soll.

Die Mitteilung vom 4. Mai finden Sie unter:

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0248:FIN:DE:PDF

Die Mitteilung vom 24. Mai finden Sie unter:

http://ec.europa.eu/home-affairs/news/intro/docs/110524/292/1_DE_ACT_part1_v2.pdf



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