Umbruch in Nordafrika: Justiert die EU ihre Nachbarschaftspolitik neu?

(Julia Maria Eichler / Patrick Roger Schnabel)

Umbruch in Nordafrika: Justiert die EU ihre Nachbarschaftspolitik neu?

Am 25. Mai 2011 präsentierten Catherine Ashton, Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, und Stefan Füle, Kommissar für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik, einen Vorschlag zur Reform der Nachbarschaftspolitik für den Bereich der südlichen und östlichen Mittelmeerländer. Die Ereignisse des so genannten „arabischen Frühlings“ hatten eine Anpassung nötig gemacht.

Kennzeichnend für diese neue Generation von Nachbarschaftspolitik sind die präziseren Vorgaben, die mit jedem einzelnen Land individuell ausgehandelt und bindend vereinbart werden sollen. Ziel ist dabei eine stärkere Unterstützung von demokratischen und sozioökonomischen Reformen. Begleitet werden die Hilfsangebote durch jährliche Berichte, die eine Evaluierung ermöglichen sollen.

Die Idee, die dahinter steht, ist, dass die Unterstützung von dem jeweiligen Fortschritt bei der Umsetzung der Reformen abhängt. Staaten die ihre demokratischen und wirtschaftlichen Reformen aktiv und erfolgreich angehen, können dafür belohnt werden: „more for more“. Je mehr Reformen, desto mehr Möglichkeiten und Unterstützung. Die EU lockt dabei mit einem besseren Marktzugang, größerer Mobilität und finanzieller Unterstützung. Länder, die sich den Reformen jedoch verweigern, drohen Sanktionen bis hin zur Kürzung der Zahlungen: „less for less“. Die bisherige starre Teilung der Mittel 1/3 für östliche und 2/3 für südliche Mittelmeerländer wird damit hinfällig. Das Geld bekommt, wer reformiert.

Voraussetzung für die Gewährung von Hilfen sind Demokratisierung und die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit. Dabei sei es nicht das Ziel, den Empfängerländern ein bestimmtes demokratisches Modell überzustülpen, sondern es gehe um die Erfüllung bestimmter festgelegter Kriterien, die für eine stabile Demokratie unverzichtbar sind, wie zum Beispiel freie Wahlen, Vereinigungsfreiheit, eine unabhängige Justiz, Bekämpfung der Korruption und die demokratischen Kontrolle der Armee und Sicherheitskräfte. Basis sei dabei die gemeinsame Verantwortung und das gemeinsame Bekenntnis zu Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit.

Einen weiteren wichtigen Grundpfeiler stellt die Zivilgesellschaft dar. Ihr soll in der zukünftigen Nachbarschaftspolitik, die sich nicht mehr nur auf Kontakte zur Regierung begrenzen will, eine größere Rolle zukommen.

Der wohl wichtigste Grund für die Instabilität vieler Mittelmeerländer sind die massiven wirtschaftlichen und sozialen Probleme. Um diesen zu begegnen, sei ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt Arbeitsplätze zu schaffen und eine wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Dafür bedarf es der Förderung von Investitionen, der Stärkung der Handelsbeziehungen, einer stärkeren Zusammenarbeit vor allem in den Bereichen Entwicklung, Klimawandel, Umwelt und Energie und die Beteiligung der Mittelmeerländer an EU-Agenturen und Programmen. Zur Umsetzung werden Mittel in Höhe von 1,2 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt.

Kritiker bezweifeln, dass die zur Verfügung gestellten Mittel ausreichen werden, ebenso wie sie die Kompetenz zur Überprüfung der Einhaltung der Kriterien und den Willen der Mitgliedsstaaten ihre Märkte zu öffnen und mehr Mobilität zu zulassen, in Frage stellen.

Der entscheidende Hinderungsgrund für eine wirklich neue, die Erfahrung der jungen Revolutionen aufnehmende Nachbarschaftspolitik liegt jedoch an anderer Stelle: Es gibt immer noch keine wirklich klare Linie der EU- und mitgliedstaatlichen Außenpolitik im Umgang mit autokratischen bis diktatorischen Regimen. So zukunftsweisend die Rhetorik des „more for more“ und „less for less“ klingt: Ist die (finanziell schwache) Nachbarschaftspolitik im engeren Sinne nicht in einen kohärenten außenpolitischen Ansatz eingebettet, kann sie wenig ausrichten.

Das jüngste Beispiel für eine inkohärente, ja widersprüchliche Außenpolitik sind die wahrscheinlichen Panzerlieferungen Deutschlands an Saudi-Arabien. Die Begründung, das Regime sei ein Stabilitätsgarant im Nahen Osten und daher von einer geostrategischen Bedeutung, die andere Ziele (und Werte) überlagere, hat man zuvor über das Regime von Colonel Gaddafi gehört. Auch er galt als Stabilitätsfaktor, insbesondere gegen unerwünschte Migration.

Das Beispiel Syrien zeigt, dass nicht überall robuste Interventionen möglich oder sinnvoll sind. Vielleicht hätten sie auch in Libyen vermieden werden können. Aber sicher wird sich Europa keinen Kredit in der Region erwerben, wenn Interventionen in einigen Fällen die Unterstützung autokratischer (und religiös radikaler) Regime in anderen Fällen gegenüber steht. Europa wird sich entscheiden müssen, ob es in seiner Nachbarschaft auf Stabilität durch Demokratisierung und sozialen Frieden oder durch die alten Diktaturen setzt.



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