Zur Zukunft der Mehrwertsteuer

(Patrick Roger Schnabel)

Am 31. Mai 2011 endete die Konsultationsfrist zum Grünbuch der Europäischen Kommission zur künftigen Ausgestaltung der Mehrwertsteuer. Die Kommission regt darin eine stärkere europäische Harmonisierung und den Wegfall von Befreiungstatbeständen und ermäßigten Sätzen an (Europa-Informationen Nr. 136). Das EKD-Büro hat sich an der Konsultation beteiligt und auf kirchlich-gemeinnützige wie sozialpolitische Bedürfnisse aufmerksam gemacht.

Vergünstigte Steuersätze und Befreiungstatbestände dienen dazu, bestimmte Ziele besser erreichen zu können. Sie sind Instrumente politischer Steuerung. Je stärker ein Steuersystem auf Vereinheitlichung angelegt ist, desto geringer fallen diese Steuerungsmöglichkeiten aus. Die erstrebten Ziele müssen dann auf anderem Wege, z.B. durch direkte Zuschüsse/Subventionen erreicht werden. Damit kann sich der Aufwand für die Betroffenen erhöhen, da Anträge notwendig werden. Gerade dort, wo sozialpolitische Ziele durch ermäßigte Steuersätze gefördert werden sollen, haben die Begünstigten aber bisher keinen eigenen Aufwand: Sie profitieren schon beim Einkauf von den Vergünstigungen. Gleichzeitig kann dadurch sichergestellt werden, dass auch nur die Produkte und Dienstleistungen begünstigt werden, deren Förderung gesellschaftspolitischer Konsens ist. Dies wäre z.B. bei einer allgemeinen Erhöhung sozialer Transferleistungen zum Ausgleich von Verlusten durch eine Abschaffung vergünstigter Sätze nicht der Fall. Solche Vergünstigungen dienen damit direkt und unkompliziert der Verwirklichung sozialpolitischer Ziele, wie sie in der Armutsreduktion auch Bestandteil der Strategie Europa 2020 sind.

Da Entscheidungen über die Förderung bestimmter Aspekte des Zusammenlebens starken Lokal- und Regionalbezug haben und durch die unterschiedlichen Lebensbedingungen vor Ort bestimmt werden, ist hier das Subsidiaritätsprinzip zur Geltung zu bringen. Diese Entscheidung sollte auf nationaler Ebene getroffen werden. Europäische Rahmenbedingungen wie Positivlisten für Befreiungen/Vergünstigungen können gleichzeitig dazu beitragen, die Diversität und damit den Verwaltungsaufwand zu begrenzen.

Ermäßigte Sätze für Lebensmittel, kulturelle Veranstaltungen und die Leistungen gemeinnütziger Verbände und der Kirchen dienen der Sicherung des Existenzminimums und anderer sozialpolitischer Ziele. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag zum sozialen Frieden. Durch die ermäßigten Steuersätze soll vor allem für Familien und Geringverdienern die Möglichkeit auf Teilhabe und Chancengleichheit gewährleistet werden.
Die Mehrwertsteuer knüpft ausschließlich an den Konsum an. Damit belastet sie Familien und Geringverdiener stärker, weil diese einen verhältnismäßigen hohen Anteil ihres Einkommens für lebensnotwendige Konsumgüter ausgeben. Gerade Bezieher geringer Einkommen und kleiner Renten können zudem durch eine parallele Absenkung der direkten Steuern, selbst wenn diese garantiert werden könnte, nur minimal entlastet werden. Die ermäßigten Steuersätze dienen daher dem sozialen Ausgleich, weil durch sie das soziale Existenzminimum erhalten bleiben und die Teilhabe an der Gesellschaft gesichert werden soll.

Diese Zusammenhänge lassen sich auch statistisch belegen: Eine Abschaffung der ermäßigten Steuersätze würde für Geringverdiener einen Realeinkommenverlust von 2,5 % bedeuten, für die mittlere Einkommensschicht einen Verlust von 1,5 % und selbst für die oberste Einkommensschicht  0,9 %. Selbst die vollständige Nutzung der Mehrwertsteuerzugewinne zur Senkung der Mehrwertsteuer auf einheitlich 16 % würden für die unteren Einkommensschichten mit einem Realeinkommensverlust einhergehen (Studie des DIW, Wochenbericht Nr. 16/2011).

Eine sehr ausführliche Stellungnahme zur Konsultation hat das „European Charities’ Committee on VAT“ (ECCVAT) abgegeben. Auch ECCVAT betont die Bedeutung der Steuerermäßigungen für soziale Zwecke. Ein Aspekt, den das Komitee, wie auch das EKD-Büro, darüber hinaus betont, ist der durch das derzeitige Mehrwertsteuersystem entstehende Verlust für gemeinnützige Einrichtungen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind: Steuerbefreite Einrichtungen haben nicht die Möglichkeit, die (geringere) eingenommene mit der (höheren) in Rechnung gestellten Umsatzsteuer zu verrechnen. Damit werden diese gemeinnützigen Einrichtungen wie Endverbraucher behandelt. Sie müssen bei Einkäufen die Mehrwertsteuer abzugsfrei zahlen und haben keine Möglichkeit, sie an den wirklichen Endverbraucher weiter geben zu können. Damit sind erhebliche Verluste verbunden und die Ressourcen für die gemeinnützigen Zwecke werden reduziert. Zur gerechteren Gestaltung käme ein Rückerstattungsprogramm in Betracht oder zumindest eine reduzierte Mehrwertsteuerrate für alle Einkäufe einer gemeinnützigen Organisation, die dem gemeinnützigen Zweck zu Gute kommen.

Alle eingegangenen Beiträge sind abrufbar unter:

http://ec.europa.eu/taxation_customs/common/consultations/tax/2010_11_future_vat_de.htm



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