Junge Muslime als Partner - Die Herausforderung Radikalisierung gemeinsam meistern

(Doris Klingenhagen, Referentin für Jugend- und Bildungspolitik und Sebastian Schwab)

Die Terroranschläge des vergangenen Jahres haben die Frage nach der Ideologisierung und der Radikalisierung junger Menschen im Namen des Islams verstärkt in den Blickpunkt politischer Diskussionen in der EU gerückt. In Brüssel hat am 26. Januar 2016 dazu ein gemeinsames Fachgespräch vom EKD-Büro und der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej) „Junge Muslime als Partner. Gemeinsam. Gegen Radikalisierung und Diskriminierung.“ stattgefunden. In ihrer Einführung wies OKR´in Katrin Hatzinger auf das durchaus umstrittene neue Schlagwort „Generation Allah“ hin, das Ahmad Mansour durch sein gleichnamiges Buch geprägt hat. „Generation Allah“ umschreibe ein Denken und Handeln von jungen Menschen, das nicht mit den Werten unserer pluralistischen Gesellschaft vereinbar sei. Dabei machten wir es uns zu einfach, wenn wir Islamismus als vorübergehende Jugendkultur oder als rein muslimisches Problem abtun, denn die Basis für Radikalisierung unter Jugendlichen sei generell nicht gering. Gleichzeitig betonte sie, dass es beim Kampf gegen Radikalisierung nicht um den Kampf des Westens gegen den Islam, sondern um das engagierte Eintreten einer aufgeklärten Wertegemeinschaft für ein Miteinander in Vielfalt gehe. Gemeinsam müssten Fragen von Diskriminierung, Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit bearbeitet und die muslimischen Jugendverbände in ihrer Präventionsarbeit unterstützt werden.

Michaela Glaser vom Deutschen Jugendinstitut führte in die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu gewaltorientiertem Islamismus unter jungen Menschen ein und warnte vor vorschnellen Zuschreibungen. Sie wies auf verschiedene Erklärungsfaktoren wie jugendphasenspezifische Motive, Entfremdung und Diskriminierung oder den Wunsch nach Gemeinschaft und sozialen Beziehungen hin. Zutage trat zweierlei: Erstens, dass es noch zu wenig Forschung zum Phänomen gibt, so dass es an einer gesicherten Befundlage mangelt und zweitens, dass an jeden Stellen, wo bereits Erkenntnisse vorliegen, keine „einfachen Lösungen“ parat stehen. Denn Radikalisierung, so Glaser, sei weder allein eine Frage der fehlgeleiteten Religiosität noch seien Diskriminierungserfahrungen und wirtschaftliche Marginalisierung als alleinige Ursachen auszumachen. Eine einfache „Checkliste“ für die Erkennung einer Radikalisierungsgefahr lasse sich darum nicht aufstellen. Zur richtigen Sichtweise dieses Phänomens gehöre zudem das Einsehen, dass nicht jeder Jugendliche, der sich zeitweilig dem salafistischen Milieu zuwende, zwangsläufig als potentieller Terrorist anzusehen sei. Danach führte OKR Dr. Detlef Görrig, zuständig für den interreligiösen Dialog im Kirchenamt der EKD, die Relevanz des interreligiösen Dialogs in der Gewaltprävention aus. Er betonte, dass ein solcher Dialog insbesondere den Abbau von Vorurteilen bewirken könne, weil er über die Wahrnehmung der unterschiedlichen Religion hinaus das Erkennen von Gemeinsamkeiten ermögliche. Gleichzeitig warnte er davor, den interreligiösen Dialog mit politischen Erwartungen zu überfrachten. Er sei kein Allheilmittel, sondern allenfalls ein Teil von vielen Instrumenten bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Radikalisierung. Nach den theoretischen Grundlegungen stellte Samy Charchira, Sozialpädagoge und Sachverständiger der deutschen Islamkonferenz, das Projekt „Ibrahim trifft Abraham“ vor, in dem anschaulich gezeigt wurde, was interkulturelle und interreligiöse Arbeit mit jungen Menschen aus sozial benachteiligten Verhältnissen an Verständigungsarbeit leisten kann. So stellten die am Projekt beteiligten Jugendlichen u. a. den Streit um den Moscheebau in Köln nach – gleichwohl mit vertauschten Rollen, sodass Juden die Position der Muslime, Muslime die der Christen und Christen die der Juden einnahmen.

So viel gegenseitiges Verständnis existiere jedoch noch nicht überall, so Volkan Canan von der Islamischen Jugend in Bayern. Er kenne selbst keinen Fall von Radikalisierung in seinem Umfeld, aber viele Berichte von Diskriminierung gegenüber praktizierenden Muslimen. Das belaste viele Jugendliche sehr, folgten daraus auch oft unangenehme Erfahrungen im Alltag. Sein Verband widme sich darum der Jugendarbeit und der Stärkung der Gemeinschaft nach innen: Während christliche Jugendverbände in der Fläche präsent seien und so Schutz- und Freiräume für gläubige Jugendliche böten, seien solche Orte für gläubige Muslime noch rar gesät. Insbesondere in Moscheen seien die Angebote oft ausschließlich auf religiöse Bildung ausgelegt. In seinem Verband würden Spaß, Sport, Gemeinschaft und gemeinsames Engagement in den Mittelpunkt gestellt und dabei Religion nicht ausklammert. Ähnliche Alltagserfahrungen wusste Malika Mansouri zu berichten. Sie war bis 2015 Vorsitzende der Muslimischen Jugend Deutschlands (MJD). Der Verband engagiere sich für eine liberale Agenda und habe das Thema Radikalisierung schon lange erkannt. Sie bekräftigte die Aussage Glasers, dass „Checklisten“ nicht möglich seien, die Gesellschaft aber allzu oft verleitet sei, genau solche Etikettierungen und Kategorisierungen vorzunehmen. Für sie sei der Schlüssel zum Abbau solcher Kategorien und zur Prävention von Radikalisierung die proaktive Vermittlung einer „deutsch-muslimischen Identität“ und Angebote der strukturellen Teilhabe für junge Muslime. So würden aktuell viele Deutsch-Muslime durch ihre Mehrsprachigkeit erstmals gesellschaftliche Anerkennung als Brückenbauer erfahren, indem sie z. B. als Dolmetscher für die ankommenden Flüchtlinge gebraucht würden. Dass die Anerkennung einer solchen Identität noch immer nicht selbstverständlich sei, stellte auch Helga Trüpel, Europaabgeordnete von Bündnis 90 DIE GRÜNEN und Vizepräsidentin des Jugend- und Bildungsausschusses fest. Die Fragen nach Identität und Zugehörigkeit seien zentral für die Bemühungen auf europäischer Ebene. Gleichzeitig betonte sie die Wichtigkeit der Einforderung europäischer Werte. Sie setze sich für eine stärkere finanzielle Unterstützung von Projekten u. a. im Programm Erasmus + ein, die genau darauf abzielen. Auch die Sprachfähigkeit und Reflexion über den eigenen Glauben müsse bei jungen Musliminnen und Muslimen gefördert werden und junge Menschen müssten in Schulen vielmehr von anderen Religionen erfahren. Samy Charchira begrüßte die Aktivitäten der muslimischen Jugendorganisationen und -verbände. In diese müsse noch viel mehr investiert werden und dies nicht nur in Form von Projekten. Seine Erfahrung mit Jugendlichen sei, dass da wo ihnen ohne Zuschreibungen begegnet wird, Räume und Möglichkeiten der Selbstgestaltung eröffnet werden und Mitarbeitende sich auf ihre Themen und Lebenswelt einlassen, wirksame Präventionsarbeit beginnt. Einig war sich das Podium, dass es weiterer struktureller Kontakte, interkultureller und interreligiöser Dialoge, Kooperationen und Partnerschaften zwischen muslimischen und anderen gesellschaftlichen Akteuren bedürfe, um junge Menschen frühzeitig von Radikalisierungswegen abzuhalten.



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