Mit Anti-EU-Rhetorik auf Stimmenfang

(Julia Maria Eichler)

Milliarden-Rettungspakete für Krisenstaaten und Flüchtlingsströme aus Afrika – das sind die Themen, die das Bild von Europa momentan in der Öffentlichkeit prägen. Und mit jeder neuen Krise, die die Nationalstaaten zwingt, Belastungen zugunsten ihrer europäischen Partner auf sich zunehmen, wird die Zerreisprobe größer. Europas Rechtspopulisten nutzen die Unsicherheit in der Bevölkerung geschickt zum Stimmenfang und haben sich die Europäische Union zum neuen Feindbild erkoren. So ebnet ihnen die Ablehnung einer tiefergehenden europäischen Integration, der Globalisierung und der „Überfremdung“ der eigenen Nation in immer mehr europäischen Ländern den Weg in die Parlamente.

Zuletzt war dies bei den Parlamentswahlen am 17. April 2011 in Finnland der Fall. Die „Wahren Finnen“ sind als „Euroskeptiker“ für den Austritt aus der Eurozone, gegen die Finanzhilfen für die verschuldeten Mitgliedsstaaten und für eine Beschränkung der Einwanderung. Sie stehen für eine härtere Linie gegenüber Europa. „Wo die Europäische Union liegt, da liegt das Problem“, sagt Timo Soini, der Präsident der Partei. Dieser Euroskeptizismus kommt an. Mit 19 % bei der diesjährigen Parlamentswahl wurden sie nicht nur drittstärkste Kraft, sondern konnten ihr bisheriges Wahlergebnis vervierfachen.

Die Finnen sind mit dieser Haltung nicht allein in Skandinavien. Die Dänische Volkspartei (DVP) unter Pis Kjaersgaard ist mit 13,9 % im dänischen Parlament vertreten. Die Minderheitsregierung in Dänemark muss der DVP immer wieder Zugeständnisse machen um Gesetze verabschieden zu können. Diesen Einfluss der EU-kritischen DVP, die die Abgabe von Teilen der dänischen Souveränität an die EU ablehnt, spürt man auch auf europäischer Ebene. Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen ist ein Erfolg der DVP, der nicht nur das Schengen-Abkommen bedroht, sondern die Idee der Freizügigkeit in Europa.

Auch den rechtspopulistishen Schwedendemokraten gelang 2010 eine Sensation, in dem sie erstmals in den Stockholmer Reichstag einzogen (5,7 %). Die aus einem rechtsradikalen Milieu stammende Partei lehnt die EU an sich ab und setzt stattdessen auf eine zwischenstaatliche Kooperation zwischen den „Nordischen Ländern“.

Auch Heinz-Christian Strache, das Gesicht der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), geht mit populistischen Ausfällen gegen die EU auf Stimmenfang. Die Finanzhilfen für Griechenland und Spanien führen seiner Meinung nach in den österreichischen Ruin. Eine weitere Osterweiterung der EU wäre eine Katastrophe, ganz zu schweigen von einem Beitritt der Türkei. Zuletzt forderte er sogar den Austritt Österreichs aus der EU. Mit 26 % liegt die FPÖ nach aktuellen Umfragen gleichauf mit den regierenden Sozialdemokraten.

Ähnlich vertritt diese europakritische Position auch die Partei für Freiheit (PVV) als drittstärkste Kraft im niederländischen Parlament. Die Zahlungen an die EU, vor allem für Schulden anderer Länder, müssten drastisch reduziert werden. Stattdessen sollte das Geld für Steuererleichterung für die eigenen Bürger genutzt werden. Eine europäische Verfassung und den Beitritt der Türkei lehnt die PVV ebenso wie die FPÖ ab.

In Frankreich hat Marine Le Pen als Vorsitzende des Front National die ursprünglichen Feindbilder der Partei um die europäische Union erweitert. Ursache von Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg und der Umsiedelung von Produktionsstätten ins Ausland sei die Einheitswährung. Nur die Abschaffung des Euro könne Frankreich wieder zu wirtschaftlichem Wachstum führen.

Andere Gründe hat die EU-Verdrossenheit der italienischen Regierung von Silvio Berlusconi. Die beklagt sich, dass die EU Italien erst seiner nationalstaatlichen Kompetenzen berauben wolle und dann keinerlei Solidarität zeige, während Italien unter den Flüchtlingsströmen aus Afrika leide.

Das von der nationalkonservativen Fidesz regierte Ungarn geht im Gegensatz zu den Rechtspopulisten anderer Länder nicht mit brachialen Parolen auf Konfrontationskurs zu der EU, sondern mit Taten. Die Fidesz erhielt 2010 eine 2/3 Mehrheit im ungarischen Parlament und damit die Möglichkeit, im Alleingang eine neue Verfassung zu erlassen. Nach dem umstrittenen Mediengesetz wirft nun auch die Verfassungsreform die Frage auf, in welchem Umfang sich Ungarn zu den europäischen Grundsätzen von Menschenrechten, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit bekennt.

Besorgnis über diese Verfassung äußerte u.a. die Venedig-Kommission des Europarates. Dem Verfassungsgebungsprozess fehlte es an Transparenz, öffentlicher Beteiligung, einem Dialog zwischen Regierung und Opposition und der nötigen Zeit. Die Beschneidung der Kompetenzen des Verfassungsgerichts macht der Kommission ebenso Sorgen, wie die Einschränkung der Rechte der Opposition, aber auch der einfachen Bürger, was z.B. die Klagemöglichkeit vor dem Verfassungsgericht anbelangt. Dies sei demokratiegefährdend. Bedenklich ist ebenso die große Anzahl der über 50 sog. Kardinalsgesetze, beschneiden sie doch in zentralen Politikfeldern die Kompetenz und den Handlungsspielraum jeder künftigen Regierung. Die Venedig- Kommission wies darauf hin, dass das Funktionieren eines demokratischen Systems von seiner Fähigkeit auf Veränderungen zu reagieren abhängt. Geschützt durch eine 2/3 Mehrheit nehmen diese Gesetze einen Rang zwischen Verfassungs- und einfachgesetzlicher Ebene ein. Der Schutz der Familie, Renten- und Steuerfragen und andere einfachpolitische Fragen können somit nicht mehr durch eine einfache Mehrheit verändert werden. Der Weg für poltische Umgestaltungen geht damit nur unter Beteiligung der Opposition und wird erschwert. Die Fidesz, die derzeit über eine 2/3 Mehrheit verfügt, sichert sich somit auch für den Fall einer künftigen Oppositionsrolle einen starken politischen Einfluss.

Durch die Erhöhung der Anzahl der Verfassungsrichter, die Senkung des Pensionsalters und die Möglichkeit einer zweiten Amtszeit, werde zudem die politische Abhängigkeit der Verfassungsrichter ausgeweitet. Darüber hinaus werden künftig Volksentscheide beschränkt und Referenden zu Verfassungsänderungen und den Wahlgesetzen ebenso wie Volksbegehren abgeschafft. Gekrönt wird diese neue Verfassung schließlich durch ein „Nationales Glaubensbekenntnis“, dass unter Bezugnahme auf die Nationalhymne das Land auf Gott, König, Krone und Kirche einschwört und in einer für Präambeln unüblichen Art und Weise einen konstitutiven Charakter aufweist, der Andersglaubende zumindest auf den ersten Blick nicht berücksichtigt.

In diesem Heft ist schon an verschiedener Stelle von der Notwendigkeit die Rede gewesen, Europa in der Krise besonders „den Rücken zu stärken“. Anhand der hier dargestellten Tendenzen wird klar: Europas Rückhalt in den Bevölkerungen ist noch so gering, dass äußere Krisen schnell zur inneren Krise der Union werden können. Anti-EU-Rhetorik garantiert schon vielerorts den Einzug in die Parlamente.

Aus kirchlicher Sicht ist es dringlich, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Nur im echten Miteinander, das auch Spannungen aushält, kann Europa weiterhin Freiheit, Frieden, Sicherheit und Wohlstand garantieren. Rückfälle in Nationalismen mögen reizvolle einfache Antworten sein, Lösungen für unsere Herausforderungen bieten sie nicht.

Die Stellungnahme der Venedig-Kommission finden Sie hier:
http://www.venice.coe.int/docs/2011/CDL-AD%282011%29016-e.pdf 



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