Für angemessene Arbeitszeiten: Sonntagsallianz für die EU gegründet

(Patrick Roger Schnabel)

Am 20. Juni 2011 ist in Brüssel die Europäische Sonntagsallianz gegründet worden. Das Bündnis aus nationalen Sonntagsallianzen, Gewerkschaften, Kirchen und Zivilgesellschaft geht auf die Erste Europäische Sonntagskonferenz im März 2010 im Europäischen Parlament zurück (EKD-Europa-Informationen Nr. 133). Die vor gut einem Jahr begonnene Zusammenarbeit für den arbeitsfreien Sonntag und angemessene Arbeitszeiten in der EU soll damit auf eine verlässliche Basis gestellt werden. Die Gründung erfolgte im Rahmen einer Expertenkonferenz im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA). Insgesamt traten anlässlich der Konferenz über 60 Organisationen und Dachverbände der neu gegründeten Allianz bei.

Ob der Sonntagsschutz von der europäischen Ebene unterstützt werden kann, ist nicht zuletzt eine Frage der Kompetenz: Betrachtet man ihn lediglich als kulturelles oder gar religiöses Anliegen, ist er eine ausschließliche Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Nimmt man hingegen auch seine Bedeutung für den Arbeitnehmerschutz und die soziale Kohäsion wahr, kann auch die EU selbst ins Spiel kommen. Die Konferenz trug daher Argumente für die „synchronisierte Freizeit“ aus Medizin, Psychologie und Soziologie zusammen, die insbesondere den Zusammenhang zum Arbeitnehmerschutz belegen. Aber auch Vertreter von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen kamen zu Wort, um auf wirtschaftliche Aspekte hinzuweisen. Gerahmt wurde die Konferenz durch ausführliche Grußworte der Präsidenten der Gruppe II (Arbeitnehmer) und III (Zivilgesellschaft) des EWSA, die die Initiative ausdrücklich begrüßten.

Den Eröffnungsvortrag hielt Professor Dr. Friedhelm Nachrainer, der auch schon im Verfahren um deutsche Ladenschlussgesetze vor dem Bundesverfassungsgericht als Gutachter aufgetreten war. Zuletzt hat der Arbeitspsychologe die Beraterfirma Deloitte unterstützt, die im Auftrag der Europäischen Kommission eine Folgeabschätzung für europäische Arbeitszeitregelungen durchführte. Darin flossen auch die Ergebnisse aktueller Studien zur Auswirkung der Sonntagsarbeit und atypischer bzw. irregulärer Arbeitszeiten auf die Arbeitnehmergesundheit ein.

Aus allen Studien ging, so Nachrainer, klar hervor, dass sowohl Krankheits- wie auch Unfallrisiko signifikant anstiegen, wenn sonntags gearbeitet werden müsse. Das gelte sogar dann noch, wenn nicht jeder Sonntag betroffen ist. Und es gelte, wenn man andere Faktoren herausrechne, etwa das möglicherweise ohnehin höhere Risiko der von der Sonntagsarbeit am häufigsten Betroffenen Berufsgruppen. Ähnliche Befunde gäbe es bei Schichtarbeit. Der Zusammenhang zwischen atypischen Arbeitszeiten und erheblicher psychisch-physischer Beeinträchtigungen sei daher nicht von der Hand zu weisen.

Nachrainer wies zudem auf ein weiteres Phänomen hin: Soziologische Untersuchungen bei Schichtarbeitern belegten, dass diese überproportional selten am gesellschaftlichen und politischen Leben teilnähmen. Es stehe zu vermuten, dass sich das auch auf die Sonntagsarbeit übertragen lasse. Eine Ausweitung irregulärer Arbeitsrhythmen sei damit wahrscheinlich auch schädlich für die Partizipation als wichtiger Grundlage freiheitlich-demokratischer Gesellschaften.

Auf die sozialen Folgen eines erodierenden Feiertagsschutzes wiesen auch die Kirchenvertreter hin. Während die Politik die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, insbesondere von Beruf und Elternschaft fordere, zerstöre sie mit einer schleichenden Freigabe des Sonntags für immer mehr Wirtschaftszweige die Grundlagen dieser life-work-balance.

Aus den Länderberichten, die das Schlusspodium bestimmten, erfuhren die rund 90 Teilnehmer der Konferenz, dass es insbesondere in Mittel- und Osteuropa schlecht um die gemeinsame Freizeit bestellt sei. Die völlige Deregulierung nach Abschaffung der Planwirtschaft habe den Sonntag der völligen Beliebigkeit freigegeben. Zwanzig Jahre später sei es an der Zeit, hier gegen zu steuern. Das werde auch von der Bevölkerung so gesehen. In Polen etwa hätten, so ein Vertreter von Solidarność, vor fünf und erst recht vor zehn Jahren viel mehr Menschen angegeben, Sonntags einkaufen gehen zu wollen als heute. Inzwischen gebe es aber eine Rückbesinnung auf andere Werte wie das Pflegen sozialer Beziehungen. Das müsse auch die Politik begreifen.

Rückhalt haben die Bemühungen der Allianz auch bei vielen Vertretern der so genannten „Kleinen und Mittleren Unternehmen“, also des unternehmerischen Mittelstands. Hier sieht man sich einem enormen Marktdruck ausgesetzt, wenn 24/7 (rund um die Uhr, die ganze Woche) zum Normalmaß der Arbeit wird. Das können nur Ketten und die Großindustrie leisten, die mit Vorstößen zur weiteren Liberalisierung kleinere Konkurrenten aus dem Geschäft drängen.

Dabei sind sich die Vertreter der Allianz durchaus bewusst, dass Ausnahmen erforderlich sind. Nur müssten diese dann, so Fabrice Warneck vom Dachverband der europäischen Dienstleistungs-gewerkschaften UNI Europa, auch entsprechend vergütet werden. Aber auch Sonntagszuschläge und Steuerbefreiungen hingen davon ab, dass der Sonntag grundsätzlich arbeitsfrei für alle sei. Möglich müsse sein, gesetzlich oder tarifvertraglich abgesichert, dass Menschen „für den Sonntag“ arbeiteten – etwa bei Kulturveranstaltungen. Auch die Versorgungsdienstleistungen, Polizei, Krankenhäuser etc. müssten normal funktionieren können.

Tatsächlich hängt heute schon der Sonntagsschutz in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht nur von der Rechtslage, sondern auch von der Wirtschaftsstruktur ab. In Großbritannien mit seiner liberalisierten Arbeitszeitgesetzgebung arbeitet doch faktisch ein geringerer Prozentsatz von Arbeitnehmern an Sonntagen als in Deutschland mit seinem sogar verfassungsrechtlich verankerten Schutz. Hier zeigt sich der Unterschied der Dienstleistungsgesellschaft zur Industriegesellschaft: In der Schwerindustrie kann oft nicht einfach „abgeschaltet“ werden, während Banken ihr Wochenende natürlich einhalten.

Die Europäische Sonntagsallianz will in Zukunft den Austausch über gesetzliche Regelungen, über Gerichtsurteile und erfolgreiche Initiativen für einen besseren Schutz fördern – auch, durch eine neue Homepage. Ein wichtiges Anliegen ist den Veranstaltern aber auch die politische Arbeit. Derzeit beraten die Europäischen Sozialpartner über eine Revision der Arbeitszeitrichtlinie. Scheitern sie, wie viele Beobachter erwarten, wird die EU-Kommission einen neuen Vorschlag vorlegen. Die Allianz möchte, dass in beiden Fällen der Sonntagsschutz angemessen berücksichtigt wird.

Reichen die guten Argumente hierfür nicht aus, stünde ab Frühjahr 2012 ein weiteres Instrument zur Verfügung: Die Europäische Bürgerinitiative. Die Sonntagsallianz muss nun sehr gut prüfen, ob sie diese nutzen kann. Das hängt auch davon ab, in welchem Stadium sich das Gesetzgebungsverfahren dann befindet. Und sie muss klar machen, worum es geht: Nicht europäische Gleichmacherei, die auf nationale Besonderheiten keine Rücksichten nimmt, sondern um europäische Abstimmung in einer wichtigen Frage der Arbeitnehmerrechte in einer engen Wirtschaftsunion. Die alte Formulierung der Arbeitszeitrichtlinie ließ für nationale Besonderheiten Spielraum. Dieser sollte erhalten bleiben. Ist das gewährleistet, hätte die Initiative eine Chance. Denn kaum jemand will selbst am Sonntag arbeiten müssen.

Die Allianz finden Sie unter:
http://www.europeansundayalliance.eu/ 

 



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