"Beredte Loyalität" - Der Rat der EKD in Brüssel

(Katrin Hatzinger)

Am 26. Mai 2011 hat der Rat der EKD Brüssel und die EU-Institutionen besucht. Als roter Faden zog sich die Frage nach der Verfasstheit der Europäischen Union angesichts der weiterhin ungelösten Schuldenkrise, dem Erstarken nationalkonservativer Kräfte und der Debatte um den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen an den Außengrenzen durch den zweitägigen Aufenthalt, der auch die reguläre Ratssitzung umfasste.

Im Rahmen des Besuchsprogramms kam es zu einer Begegnung mit EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, in der das gemeinsame Anliegen im Vordergrund stand, bis zum Jahr 2012 ein gemeinsames europäisches Asylsystem mit hohen Schutzstandards und fairen Verfahrensregeln zu befördern. Die Vertreter des Rates und die Kommissarin waren sich angesichts der Umbruchsituation in Nordafrika und der damit einhergehenden Verschärfung der Menschenrechtssituation einig, dass im Umgang mit Flüchtlingen und Schutzsuchenden die EU in der Verantwortung stehe, eine menschenwürdige Behandlung und Zugang zu Asylverfahren zu garantieren. Auch gelte es legale Migrationswege in die EU zu eröffnen.

Auf Einladung des Präsidenten des Europäischen Parlaments (EP), Jerzy Buzek, vertreten durch die Fraktionschefin der Grünen im EP, Rebecca Harms, war der Rat der EKD zu Gast im Parlament. Neben Fragen des Dialogs zwischen Kirchen und Politik auf europäischer Ebene stand auch die Debatte um eine europäische Energiepolitik nach Fukushima im Mittelpunkt des Austauschs. Mit dem Kabinettschef von Kommissionspräsident Barroso, Johannes Laitenberger, diskutierten die Ratsmitglieder die aktuellen Herausforderungen des europäischen Einigungsprozesses, und mit dem Ständigen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union, Botschafter Peter Tempel, deutsche Anliegen in der Europapolitik.

In einem öffentlichen Gedankenaustausch mit dem deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger in der Ständigen Vertretung konstatierte der Ratsvorsitzende der EKD, Präses Schneider, Europa habe angesichts sehr eloquenter Gegner zu wenige beredte Befürworter. Das Einigungswerk dürfe die Menschen aber nicht gleichgültig lassen:

„Darum fordere ich auf: Lassen Sie uns im Konkreten über Europa streiten! Lassen Sie uns entschieden allen denen entgegentreten, die unser europäisches Projekt allein aus wirtschaftlichen Erwägungen und in nationaler Engherzigkeit ganz grundsätzlich infrage stellen.“

„Beredte Loyalität“ sei eine angemessene Form kirchlichen „Einmischens“ und „Mitmischens“ in politischen Prozessen:

„In beredter Loyalität zu dem Friedensprojekt Europa will ich diesem Rückfall in einen nationalen Egoismus und diesem Primat einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Bewertung widersprechen. Als Kirche und als Christenmenschen sind wir gehalten, eine grundlegende Bejahung solidarischer mitmenschlicher Zusammengehörigkeit zu stärken. Unser Glaube an Gott, den Herrn aller Welt und den Vater aller Menschen, sucht dabei immer neu die Grenzen nationaler Egoismen zu überschreiten. Die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung und unsere menschliche Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung können nicht national eingelöst werden, sie sind globale Anliegen“,

sagte der Ratsvorsitzende in Brüssel.

„Beredte Loyalität“ dürfe sich aber auch in der Kritik an einzelnen Vorhaben ausdrücken. Dabei sei es auch legitim, über Entscheidungsstrukturen zu streiten. Die EU müsse weiter gegen ihr Demokratiedefizit arbeiten, damit die Menschen nicht befürchten müssen von wichtigen Entscheidungen abgekoppelt zu werden. Die Stärkung des Europäischen Parlaments und nationaler Parlamente bei wichtigen Weichenstellungen sei daher der richtige Weg.

Dabei seien alle gefordert, sich zu der Idee des geeinten Europas zu verhalten, nicht nur die Politiker:

„Damit die Europäische Union zu ‚unserem‘ Europa wird, müssen wir sie unterstützen und mitgestalten – nicht nur über unsere Mitgliedstaaten oder über die Wahlen zum Europäischen Parlament, sondern auch direkt als Bürger, als Verbände und auch als Kirchen.“

Die Kirche lasse sich nicht beirren, nachhaltig und mit langem Atem das Friedensprojekt Europa weiter voranzutreiben:

„Die Kirche sucht immer wieder neu nach Perspektiven der Versöhnung und der Überwindung von Gewalt. Die Vision eines vereinten Europas und der gegenwärtige Prozess ihrer Verwirklichung und Gestaltung ist eine solche Perspektive.“



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