Auf ein Neues - EU-Kommission legt geänderte Vorschläge zu Asylrechtsinstrumenten vor

(Julia Maria Eichler / Katrin Hatzinger)

Nachdem aus den Mitgliedstaaten harsche Kritik an den Vorschlägen der EU-Kommission zur Überarbeitung der Richtlinie über die Aufnahmebedingungen und der Asylverfahrensrichtlinie laut geworden und auch unter belgischer Ratspräsidentschaft keine nennenswerten Fortschritte in den Verhandlungen zu verzeichnen waren (EKD-Europa-Informationen Nr. 134), sah sich die Europäische Kommission veranlasst, am 1. Juni 2011 veränderte Vorschläge zu den genannten Asylrechtsinstrumenten vorzulegen.

Schon 2009 hatte die Europäische Union sich im Rahmen des Stockholmer Programms zu der Errichtung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) verpflichtet. Bis 2012 sollte ein „gemeinsamer Raum des Schutzes und der Solidarität“ geschaffen werden. Zur Umsetzung dieses Ziels werden seit einigen Jahren neben der Aufnahmerichtlinie und Asylverfahrensrichtlinie drei weitere Neufassungen im Europäischen Parlament und Rat diskutiert: die Änderungen der Dublin II und der Eurodac-Verordnung sowie der Qualifikationsrichtlinie. Während die Verhandlungen zu den Verordnungen sich sehr schwierig gestalten, ist über die Neufassung der Qualifikationsrichtlinie immerhin eine Einigung in Sicht. Diese Richtlinie von 2004 beinhaltet eine Reihe von Kriterien, die für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes ausschlaggebend sind, und legt die jeweils damit verbundenen Rechte fest. Mit der Überarbeitung werden nun die Rechte von subsidiär Geschützen denen von Flüchtlingen weitestgehend angeglichen. Zudem wird ein erweiterter Familienbegriff angewandt, der nicht nur verheiratete Paare und deren Kinder, sondern auch den Vormund von Minderjährigen umfasst. Außerdem werden z.B. die Vorschriften zu den internen Fluchtalternativen und den Akteuren, die Schutz gewährend können, klarer gefasst. Die Richtlinie betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen wurde bereits im Mai dieses Jahres um die Anwendung auf Personen mit internationalen Schutzstatus erweitert.

Mit der ersten Überarbeitung der Richtlinie über die Aufnahmebedingungen im Jahr 2008 war die Erwartung menschenwürdiger unionsweit vergleichbarer Aufnahmebedingungen verbunden. Um eine einfachere kostengünstigere Umsetzung für die Mitgliedsstaaten zu erreichen, wird den Staaten in dem neuen Vorschlag mehr Spielraum bei der Umsetzung einiger Maßnahmen eingeräumt. Rechtsbegriffe werden genauer definiert, Aufnahmenormen und -regelungen vereinfacht und andere Vorschriften flexibilisiert.
Die meisten Änderungen gibt es bei den Vorschriften zum Gewahrsam (Art. 8 ff). Positiv hervorzuheben ist, dass die Gründe für die Ingewahrsamnahme klarer und strenger gefasst werden. Es bedarf einer Einzelfallprüfung, die das Vorliegen der notwendigen (abschließend benannten) Gründe, die Verhältnismäßigkeit und die Notwendigkeit feststellt. Daneben müssen erforderliche Garantien, wie die Möglichkeit zur Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfes und die unentgeltliche Inanspruchnahme einer rechtlichen Beratung, gewährleistet werden. Allerdings kann die Entscheidung über den Gewahrsam künftig auch durch Verwaltungsbehörden, nicht mehr allein durch Justizbehörden vorgenommen werden (Art. 9 Abs. 2) und der Zugang zu unentgeltlicher Rechtsberatung ist an strengere Voraussetzungen geknüpft als in dem ursprünglichen Änderungsvorschlag (Art. 9 Abs. 5). Hinsichtlich der Haftbedingungen sind nun in besonderen Fällen Ausnahmen vorgesehen, die auch die Unterbringung von Asylsuchenden in Gefängnissen erlauben (Art. 10 Abs. 6). Es bleibt bei dem Verbot, unbegleitete Minderjährige in Haftanstalten (Art. 10 Abs. 6 a) einzusperren. Allerdings wird von dem absoluten Verbot abgerückt, unbegleitete Minderjährige überhaupt in Gewahrsam zu nehmen.; dies soll in besonderen Ausnahmefällen für den kurz möglichsten Zeitraum zulässig sein. Sie müssen aber getrennt von Erwachsenen untergebracht werden (Art. 11 Abs. 2).

Darüber hinaus bleibt es bei dem Ansatz der Kommission für die Antragssteller ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten und dabei Personen mit besonderer Schutzbedürftigkeit, wie Minderjährigen und Folteropfern besondere Beachtung zu schenken. Sinnvoll erscheint die Einführung von Bezugsgrößen, durch die Leistungen quantifiziert und konkret umgesetzt werden können (Art. 17 Abs. 5), ebenso wie die Bereitstellung einer angemessenen materiellen Unterstützung für Asylbewerber (Art. 17). Die Kommission räumt den Mitgliedstaaten im Gegensatz zu ihrem ursprünglichen Änderungsvorschlag von 2008 nun jedoch wieder ein großes Ermessen ein, die Gewährung materieller Unterstützung einzuschränken bzw. ganz einzustellen (Art. 20 Abs. 1).
Um die Integration und Eigenständigkeit der Asylsuchenden zu fördern, setzt der Vorschlag weiterhin auf die Möglichkeit der Beschäftigungsaufnahme (Art. 15 Abs.1). Dabei bleibt die Kommission bei ihrem Vorschlag, den Schutzsuchenden nach sechs Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, allerdings kommt sie den Mitgliedstaaten insofern entgegen, als dass diese Frist in bestimmten Fällen noch einmal um weitere sechs Monate verlängert werden kann (Art. 15 Abs. 1 S.2.). Die Möglichkeit des Arbeitsmarktzugangs ist in der Vergangenheit von Mitgliedstaaten wie Deutschland stark kritisiert worden. Zur Begründung für ihr Festhalten an dem Punkt weist die Kommission u.a. darauf hin, dass die zwangsweise Arbeitslosigkeit die Schwarzarbeit fördern und die Zahlung von Sozialleistungen zusätzliche Kosten verursachen würde.

Der neue Vorschlag der Kommission zur Asylverfahrensrichtlinie unterscheidet sich bei genauem Hinsehen nur in wenigen Punkten von dem Vorschlag aus dem Jahr 2009. Auffällig ist jedoch, dass der Bericht des Europäischen Parlaments zu der Richtlinie so gut wie keinerlei Beachtung gefunden hat. Das Parlament hatte erhebliche Änderungen an den „Drittstaaten-Regelungen“ gefordert. Nun finden sich die hoch umstrittenen Vorschriften zu den sicheren Dritt- und Herkunftsländern (Art. 36ff) weiterhin in dem Vorschlag.

Vor allem wurden die bisherigen Vorschriften, die den Zugang zum Verfahren, Durchführung der persönlichen Anhörung und die Höchstdauer des Asylverfahrens regeln, auf ihre Klarheit und Einfachheit hin überprüft, um eine möglichst effektive Umsetzung zu gewährleisten. Gleichzeitig soll die neue Richtlinie potenziellen Missbrauch besser bekämpfen. Dafür ist eine Beschleunigung der Verfahren vorgesehen und die problematische Möglichkeit einer Prüfung von Anträge schon an den Grenzen (Art. 31 Abs. 6, Art. 43), jedenfalls dann, wenn offensichtlich falsche oder unwahrscheinliche Angaben gemacht wurden, die widersprüchlich sind und aufgrund hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen zur Begründung eines Antrags eindeutig nicht überzeugend sind. Diese Möglichkeit besteht ebenfalls, wenn der Antragssteller eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung darstellt. Insgesamt stellt dieser Fokus auf die Möglichkeit der beschleunigten Verfahren eine klare Verschlechterung dar.

Normale Asylverfahren sollen zukünftig innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen sein, allerdings sind nun auch zahlreiche Ausnahmen von diesem Grundsatz (Art. 31 Abs. 3) vorgesehen. Zur Umsetzung soll vor allem der frühzeitige Zugang zu Unterstützungsangeboten dienen (Art. 24 Abs. 2), durch die dem Antragsteller eine bessere Beteiligung am Verfahren ermöglicht werden kann. Allerdings wird kostenlose Rechtsberatung und gerichtliche Vertretung im Rechtsbehelfsverfahren (Art. 20 Abs. 2) künftig nur gewährt, wenn der Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg hat.

Die Richtlinie trifft auch eine klarere Regelung für Folgeanträge (Art.40). Sie legt fest, dass Folgeanträge auf internationalen Schutz möglich sein müssen, wenn sich die persönlichen Umstände geändert haben. Ein Folgeantrag ist aber unzulässig, wenn er sich nicht durch neue Umstände rechtfertigen lässt. Von dem Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet kann trotz Folgeantrags abgewichen werden um Missbrauch abzuwehren. Um den Zugang zum Schutz für Asylbewerber zu garantieren, sind einfachere Regeln für die Aus- und Weiterbildung von Grenzbeamten und anderer Bediensteter, die mit potentiellen Antragstellern in Kontakt treten, nötig (Erwägungsgrund 21). Daneben wurden die Regelungen bezüglich der Eingangsphase des Asylverfahrens genauer gefasst (Art. 6).

Auf Ihrem Gipfel am 23. und 24. Juni 2011 unterstrichen die Staats- und Regierungschefs das Ziel, das GEAS bis 2012 zu vollenden. Es solle auf hohen Schutzstandards beruhen, verbunden mit fairen und wirksamen Verfahren, die Missbrauch verhindern und eine zügige Prüfung von Asylantragen ermöglichen, so dass die Tragfähigkeit des Systems gewährleistet sei. Die geänderten Vorschläge der Kommission würden eine „neue Basis“ für die anstehenden Verhandlungen bieten, die nun zügig aufgenommen werden sollten. Ob die Änderungsvorschläge der Kommission in der jetzigen Form angenommen werden, darf aber bezweifelt werden. Insbesondere konservativen Regierungen äußerten bereits im Vorfeld ihre Bedenken, die Vorschläge könnten einseitig die Rechte der Asylbewerber stärken, die Kosten in die Höhe treiben und bewährte nationale Verfahren aushebeln, während Mechanismen zum Vorbeuge vor Missbrauch kaum enthalten seien.

Die Aussicht immer weiterer Flexibilisierungsmöglichkeiten bei der Anwendung europäischer Vorschriften im Asylrecht schürt jedoch die Besorgnis von Kirchen und Menschenrechtsorganisationen, dass so wieder weitere Einfallstore für Ungleichbehandlungen eröffnet werden. Ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem kann aber nicht darin bestehen, unterschiedliche Standards in der EU zu manifestieren und die Rechte der Antragsstellenden weiter zu beschneiden. Die Vorstellungen der Innenminister der Mitgliedstaaten und von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisation, was mit einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem gemeint ist, gehen jedenfalls immer weiter auseinander. 


Den Vorschlag zur Richtlinie über die Aufnahmebedingungen finden Sie hier:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0320:FIN:DE:PDF

Den Vorschlag zur Asylverfahrensrichtlinie finden Sie unter:
http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/malmstrom/archive/1_DE_ACT_part1_v4.pdf



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