EuGH erlaubt Inhaftierung eines Asylbewerbers aus Gründen der nationalen Sicherheit

(Julia Maria Eichler, Juristische Referentin)

Im Rahmen eines Eilvorabentscheidungsverfahrens hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) am 15. Februar 2016 in Luxemburg entschieden, dass das Unionsrecht die Inhaftierung eines Asylbewerbers gestattet, wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung erforderlich ist (C-601/15).

Der Kläger hatte 1995 in den Niederlanden einen ersten Antrag auf Asyl gestellt, der abgelehnt wurde. 2012 und 2013 stellte er weitere Asylanträge. Der zuständige Staatssekretär lehnte den letzten Asylantrag 2014 ab, ordnete an, dass der Kläger die EU unverzüglich verlassen müsse und verhängte ein Einreiseverbot von zehn Jahren.

Von 1999 bis 2015 war der Kläger wegen verschiedenen Straftaten in 21 Fällen zu Geld und Freiheitsstrafen verurteilt worden, zuletzt wegen Missachtung des gegen ihn verhängten Einreiseverbots. Während der letzten Freiheitsstrafe stellte der Kläger einen vierten Asylantrag. Nach Ende der Freiheitsstrafe wurde er als Asylbewerber inhaftiert.

Der vorlegende niederländische Raad van State fragte den EuGH nach der Rechtmäßigkeit der Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU), vor allem vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung zur Inhaftierung von Asylbewerbern des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er wollte wissen, ob Art. 8 der Aufnahmerichtlinie, der vorsieht, dass ein Asylbewerber aus Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung inhaftiert werden kann, mit dem in Art. 6 der EU-Grundrechte-Charta verankerten Recht auf Freiheit und Sicherheit vereinbar ist.

Der Gerichtshof stellte fest, dass die Grundrechte-Charta der EU in Art. 6 jedem Menschen nicht nur das Recht auf Freiheit gewähre, sondern auch auf Sicherheit. Der Schutz der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung trage auch zum Schutz der Rechte und Freiheit anderer bei. Dieser dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung entspreche auch die in der Richtlinie vorgesehene Inhaftierung. Jede Einschränkung der Ausübung des Rechts auf Freiheit des Asylbewerbers müsse im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs durch eine Inhaftierung verhältnismäßig sein und sich auf das Notwendigste beschränken.

Der Gerichtshof stellte insofern fest, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern an diverse Voraussetzungen geknüpft sei, so etwa hinsichtlich der Dauer, der Alternativen zur Haft und den darüber hinaus in Art. 9 der Aufnahmerichtlinie enthaltenen Verfahrensgarantien.

Hinzu komme, dass die Auslegung der Begriffe „öffentliche Sicherheit“ und „öffentliche Ordnung“ den nationalen Behörden nur einen engen Spielraum einräume. So setzte der Begriff der öffentlichen Ordnung jenseits einer sozialen Störung voraus, dass eine „tatsächliche, gegenwärtige und hinreichende erhebliche Gefahr“ vorliege, die „ein Grundinteresse der Gesellschaft“ berühre. Da der Begriff der öffentlichen Sicherheit sowohl die innere, als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats umfassen könne, berühre „die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung, ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker, oder eine Beeinträchtigung der militärischen Inter- essen, die öffentliche Sicherheit“. Insofern bewahre die Richtlinie die Balance zwischen dem Recht auf Freiheit des Asylbewerbers und dem Schutz der nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung.

Der EuGH führte weiterhin aus, dass die Stellung eines erneuten Asylantrags durch eine Person, gegen die eine Rückkehrentscheidung ergangen sei, diese Entscheidung nicht hinfällig mache. Der Raad van State hatte dem Gerichtshof mitgeteilt, dass nach der niederländischen Rechtsprechung die Stellung eines Asylantrags durch eine Person, die von einem Rückführungsverfahren betroffen sei, zur Folge habe, dass eine frühere Rückkehrentscheidung hinfällig werde.

Insofern betonte der EuGH, dass die praktische Wirksamkeit der Rückführungsrichtlinie (2008/115/ EG) verlange, dass ein eingeleitetes Verfahren, das zu einer Rückkehrentscheidung, gegebenenfalls verbunden mit einem Einreiseverbot, geführt habe, in dem Stadium, in dem es wegen der Stellung eines Asylantrags unterbrochen wurde, wieder aufgenommen werden könne, wenn der Antrag erstinstanzlich abgelehnt wurde. Im Ergebnis stellt der Gerichtshof fest, dass die Gültigkeit der Richtlinie

2013/33 durch die Gestattung solcher Inhaftierungsmaßnahmen, deren Umfang aufgrund der Erfordernisse der Verhältnismäßigkeit eng begrenzt ist, nicht in Frage gestellt werde.

Das Urteil des EuGH finden Sie in französischer Sprache unter:
http://ekd.be/EuGH_Haft_Sicherheit_Asylbewerber



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