Ab 2014 kein eigenes EU-Jugendprogramm mehr – stattdessen: "Erasmus für alle"

(Doris Klingenhagen)

Die EU-Kommission hat am 23. November 2011 unter dem Titel "Erasmus für alle" einen Vorschlag für ein neues Förderprogramm für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport ab 2014 vorgelegt. Wie bereits im Vorschlag zum Mehrjährigen Finanzrahmen der EU für den Zeitraum 2014 bis 2020 angekündigt, führt die EU-Kommission darin die Programme Lebenslanges Lernen, JUGEND IN AKTION sowie fünf internationale Kooperationsprogramme aus dem Bildungsbereich (Erasmus Mundus, Tempus, Alfa, Edulink, Zusammenarbeit mit industrialisierten Ländern) in einem gemeinsamen Programm zusammen.

In ihrer Pressemitteilung zur Veröffentlichung des Vorschlags der Kommission führt Androulla Vassiliou, EU-Kommissarin für Bildung, Kultur, Mehrsprachigkeit und Jugend, zum Ziel des Programms aus: "Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung sind die besten Investitionen in die Zukunft Europas. Bildungsaufenthalte in anderen Ländern verbessern die Fertigkeiten der Bürgerinnen und Bürger, tragen zu ihrer persönlichen Entwicklung bei und steigern ihre Anpassungs- und Beschäftigungsfähigkeit. Wir wollen dafür sorgen, dass mehr Menschen EU-Stipendien erhalten, um solche Möglichkeiten zu nutzen. Zugleich müssen wir mehr Mittel für qualitative Verbesserungen auf allen Ebenen der allgemeinen und beruflichen Bildung bereitstellen, damit wir weltweit zur Spitzengruppe zählen und die Beschäftigung und das Wachstum steigern können."

Wie ist dieser Programmentwurf (jugend-)politisch zu bewerten? In Deutschland wurden in großer Einmütigkeit – insbesondere vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), freien und öffentlichen Trägern der Jugendhilfe wie der aej (Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland), dem Deutschen Bundesjugendring, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden – jugendpolitische Anforderungen an die neue Programmgeneration formuliert. Diese knüpfen an die in zahlreichen Untersuchungen und Konsultationen nachgewiesenen Erfolge von JUGEND IN AKTION an und fordern die Fortführung eines eigenständigen Jugendprogramms.

Mit dem Vorschlag "Erasmus für alle" wird die 25-jährige Geschichte von JUGEND IN AKTION als einem eigenständigen Programm zur Förderung von Jugendarbeit und -politik beendet. Die Kommission löst mit der vorgeschlagenen Integration die bewährten Programme für Lebenslanges Lernen (Erasmus, Leonardo Da Vinci, Comenius und Grundtvig) und JUGEND IN AKTION komplett auf und fügt einzelne Formate zu drei neuen Leitaktionen zusammen: 1. Lernmobilität von Einzelpersonen, 2. Zusammenarbeit zur Förderung von Innovation und bewährten Verfahren, 3. Unterstützung politischer Reformen. Der inhaltliche, politische und praktische Mehrwert einer solchen Programmintegration für junge Menschen, die Programmpraxis und die Politik- und Praxisgestaltung sind vor allem aus der jugendpolitischen Perspektive nicht erkennbar und rechtfertigen nicht den Aufwand der mit der Integration verbundenen umfassenden Umgestaltung und den Verlust bewährter Praxis. Damit wird die von einem breiten Konsens getragene jugendpolitische Forderung mit diesem Vorschlag nicht erfüllt. Die Kommission stellt sich damit auch gegen die ablehnende Haltung von Rat und Parlament und schlägt weder sektorspezifische Säulen vor noch berücksichtigt sie zielgruppenspezifische Ansätze. Dabei verfolgt die Kommission auch keine durchgehenden Integrationslogik: Denn das Jean-Monnet-Programm bleibt als gesonderte Aktion bestehen, für Sport wird sogar ein gesondertes Kapitel eröffnet. Im Programmvorschlag "Creative Europe" werden die jetzigen Programme Kultur und Media in ihrer Struktur erhalten und als spezifische Programmsäulen zusammengeführt. Auch das kleine Programm "Europa für Bürgerinnen und Bürger" bleibt mit einem etwas geringeren Budgetansatz als eigenständiges Programm erhalten.

Die von der Kommission geplante finanzielle Ausstattung des Programms sieht eine 70-prozentige Erhöhung des Budgets vor. Aus Sicht der Kommission ist dies der entscheidende politische Fortschritt dieses Modells: Dieser Bereich werde trotz Finanzkrise nicht gekürzt, sondern sogar überproportional finanziell ausgestattet. Doch finanzielle Versprechungen, die bisher weder durch Umverteilungen oder zusätzlichen Einnahmen gedeckt sind, sollten kritisch gesehen werden. Hinzu kommt, dass sich die Kommission in der budgetären Zuordnung von Aktivitäten und der Benennung von prozentualen Mindestbudgets für die Sektoren große Spielräume lässt. In einer begleitenden Kommunikation zum Rechtstext benennt sie eine nicht bindende Untergrenze von sieben Prozent des Budgets für den Jugendbereich. Dieses entspricht in etwa dem Mittelvolumen für 2012. Die enorme Aufstockung lässt für den Jugendbereich jedoch keinen Mittelaufwuchs erkennen. Nur die Festlegung mit Aufschlüsselung nach Jahren und Aktionen garantiert ein ausreichendes Budget für den Jugendbereich, das politisch gestaltet werden kann.

Unklar bleibt im Entwurfstext, welche konkreten Aktivitäten und Förderinstrumente sich hinter der Leitaktion "Lernmobilität von Einzelpersonen" verbergen. Aufschluss darüber geben lediglich Begleitdokumente. Nur daraus kann entnommen werden, dass weiterhin Jugendbegegnungen und der Europäische Freiwilligendienst für junge Menschen innerhalb der EU und mit Partnerländern gefördert werden sollen. Die Teilnehmendenzahlen sollen in diesem Bereich um 30 Prozent steigen. Jugendinitiativen und Jugend-Demokratieprojekte mit ca. 25.000 Teilnehmenden in 1700 Projekten pro Jahr sind definitiv nicht mehr vorgesehen.

Der Entwurf der Kommission sieht zudem lediglich einen begleitenden Ausschuss für das Gesamtprogramm vor. Erstmals in der Geschichte der EU-Jugendprogramme seit 1989 würde das Programm nicht von einem eigenen jugendpolitischen Ausschuss verantwortet werden, sondern von einem bildungspolitischen. Weiter sieht der Vorschlag der Kommission künftig nur noch eine nationale Agentur pro Mitgliedstaat vor, die die Verwaltung der Mittel nach vereinheitlichten Richtlinien für die Bereiche Hochschulbildung, Erwachsenenbildung, Schulbildung, Jugendaktivitäten und Sport zuständig ist. In Deutschland müssten demzufolge vier Agenturen zu einer Großinstitution verbunden werden. Angesichts dreier beteiligter Ministerien (BMI, BMBF, BMFSFJ) ist dies praktisch problematisch und ohne Verlust politischer Kompetenzen auf der einen oder anderen Seite nahezu unmöglich.

Der Name "Erasmus für Alle" mit seiner klaren Konnotation von Exzellenzförderung und Mobilität Hochschulstudierender ist wenig geeignet für ein Programm, das auch die Teilhabe junger Menschen außerhalb des formalen Bildungssystems ermöglicht und neben Mobilitätsmaßnahmen Projekte der Partizipation und der aktiven Bürgerschaft fördern soll. Der Vorschlag gibt zudem mit dem Namensbestandteil "für alle" nur wenige Hinweise darauf, dass dieses Programm auch benachteiligte und individuell beeinträchtigte Jugendliche erreichen will.

Ein Analyse der "Life-Long-Learning"-Programme (Comenius, Erasmus, Grundtvig, Leonardo da Vinci) zeigt ebenfalls grundlegende Änderungen, die aus kirchlicher Sicht kritisch zu verfolgen sind. Der Bereich Comenius, der bisher den Bereich der Schulbildung fördert, soll sich zukünftig auf die Förderung von Personal und strategischen Partnerschaften beschränken. Nicht mehr vorgesehen sind Projekte und Maßnahmen, in die Schüler und Schülerinnen direkt einbezogen sind – sie sollen zukünftig die Angebote im Jugendbereich nutzen. Die Fortbildung von Personal soll sich zukünftig auf die Ferienzeiten konzentrieren. Dies kann in Deutschland mit unterschiedlichen Regelungen je nach Bundesland zu Schwierigkeiten führen. Ob der erzielte Effekt einer Bündelung von Ressourcen damit gelingen kann, ist ebenso noch offen.

Die Erwachsenenbildung (Grundtvig) wird im Entwurf des Programmvorschlags ausschließlich unter dem Aspekt der Berufsbildung geführt und ist als eigenständiger Bereich nicht mehr genannt. Die Kommission geht davon aus, dass Aktivitäten im Bereich der Aus- und Weiterbildung von Erwachsenen zukünftig über den Europäischen Sozialfonds gefördert werden. Außerdem verliert die Erwachsenenbildung einige Fördermöglichkeiten: Im neuen Programm "Erasmus für alle" werden vor allem niedrigschwellige Angebote wie die Grundtvig-Workshops wegfallen, da sie aus Sicht der Kommission nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben.

Sowohl für Comenius als auch für Grundtvig soll es zukünftig keine Möglichkeit mehr für "Vorbereitende Besuche" geben. Das Programm für Lebenslanges Lernen bietet zurzeit noch die Möglichkeit, Anträge innerhalb einer Partnerschaft gemeinsam vorzubereiten und auch persönliche Kontakte zu knüpfen, die die grenzüberschreitende Arbeit erleichtern.

Die Programmverhandlungen haben im Januar unter dänischer Ratspräsidentschaft begonnen. Das Europäische Parlament und der verhandlungsführende Bildungsministerrat müssen sich auf einen gemeinsamen Entwurf einigen, damit das Programm 2014 in Kraft treten kann. Es ist im Moment nicht davon auszugehen, dass die Verhandlungen noch ein eigenständiges Jugendprogramm als Ergebnis hervorbringen. Die Akteure in Deutschland haben darauf mit der Forderung reagiert, analog zum Sportkapitel wenigstens ein eigenes Jugendkapitel im Rechtstext zu verankern. Damit soll erreicht werden, dass der der gesellschaftliche Auftrag von Jugendverbänden nicht mit dem von professionellen Bildungsbehörden und Bildungsanbietern verwechselt wird und Jugendliche in Europa auch in Zukunft Freiräume haben, in denen sie sich selbstbestimmt engagieren und Erfahrungen sammeln können. Auch Akteure und Akteurinnen im Bildungsbereich mischen sich intensiv in die Verhandlungen ein, um bewährte rogrammbausteine auch in "Erasmus für alle" zu erhalten.

Hier der Link zum Programmvorschlag der Kommission:



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