Unabhängige Einschätzung und kritische Bewertung: Eine europäische Rating-Agentur

(Christoph Schnabel)

Drei Rating-Agenturen haben die Deutungshoheit über die Bonität von Staaten; Standard & Poor‘s, Moody’s und Fitch Rating. Dass man mit dieser Meinungsmacht nicht nur Stimmungen erzeugt, sondern auch das Marktgeschehen direkt beeinflussen kann, wurde in der Staatsschuldenkrise deutlich. Zu welchen Konditionen sich ein Staat Geld besorgen kann, hängt von dem Urteil dieser drei Agenturen ab. Hinzu kommt  die Tatsache, dass alle drei Agenturen ihren Sitz in den Vereinigten Staaten haben, was sich historisch erklären lässt und bis zur Staatsschuldenkrise auch keine Bedenken hervorgerufen hat. Nun treten zwei Punkte für die europäische Kommission als kritisch in den Vordergrund; erstens die Abhängigkeit von Agenturen, die sich in den USA befinden und kein europäisches Pendant haben und zweitens die Tatsache, dass es sich bei diesen drei um ein faktisches Oligopol handelt (Pressemitteilung der Europäischen Kommission 15.11.2011). Um  diese zwei Probleme anzugehen, hat die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung und eine Richtlinie gemacht (2011/0361 (COD).

Beide Punkte sind genauer zu betrachten. So gibt es bereits Agenturen mit einem Sitz in Europa, wie z. B. die Euler Hermes in Deutschland. Der Bekanntheitsgrad dieser kleinen Agenturen ist jedoch nicht sehr hoch, dementsprechend werden ihre Einschätzungen von Marktakteuren weniger wahrgenommen. In diesem Zusammenhang tritt ein weiterer Faktor zu Tage. Da es sich bei den Ratings lediglich um eine Einschätzung handelt, ist die Reputation einer Rating-Agentur von entscheidender Bedeutung. Die bestehenden kleineren Agenturen sind noch nicht so lange tätig, als dass sie sich diese Reputation hätten erarbeiten können.

Die Europäische Kommission bietet vier Ansätze zur Beseitigung der Abhängigkeits- und Oligopol-Problematik. Erstens sollen die beteiligten Finanzinstitute, also jene Institute, die  Bewertungen für ihre Arbeit nutzen, nicht nur auf die Bewertung der Rating-Agenturen zurückgreifen, sondern "mit der gebotenen Sorgfalt eigene Prüfungen durchführen". Zweitens sollten die Messindikatoren transparenter gestaltet und die bewerteten Staaten werden besser über die vorstehende und laufende Bewertung informiert werden.

Drittens setzt sich die Kommission für eine strikte Unabhängigkeit der Rating-Agentur ein, um Interessenkonflikte zwischen den Bewertenden und Bewerteten zu vermeiden. Viertens soll eine Rating-Agentur für eine fahrlässige Einschätzung zur Kreditwürdigkeit haften.

Niemand möchte bewertet werden, ohne die Maßstäbe hierfür zu kennen, daher kann die Forderung nach mehr Transparenz auch als eine Forderung nach einem fairen Umgang zwischen Akteuren der Wirtschaft betrachtet werden. Ebenso ist die Verantwortung, mit der eine Bewertung getroffen wird, klar zu regeln. Da mit einer falschen Bewertung auch weitreichender ökonomischer Schaden angerichtet werden kann, ist zu klären, wer für den Schaden aufkommt.

Dass eine ernst zu nehmende europäische Rating-Agentur, die ein Gegengewicht zu den US-amerikanischen Agenturen darstellt, bereits 2012 entstehen könnte, beruht unter anderem auf der Initiative der Unternehmensberatung Roland Berger.

"Wir müssen den Markt für Ratingagenturen grundlegend verändern, wenn wir die Risiken für das Finanzsystem in den Griff bekommen wollen", sagte Markus Krall, Senior Partner bei Roland Berger der Süddeutschen Zeitung. Eine neue europäische Agentur wird sich erst bewähren müssen und einen tatsächlichen Mehrwert gegenüber den bestehenden Agenturen darstellen. Roland Berger geht davon aus, innerhalb von zwei bis drei Jahren so eine Agentur aufgebaut zu haben. 

Dies wird sicherlich nicht durch angenehmere Bewertungen z. B. für hoch verschuldete Staaten gelingen, dadurch wird auch keine Unabhängigkeit von den drei großen amerikanischen Agenturen ermöglicht. Mit der Hoffnung auf eine stärkere Objektivität sollte also nicht die Erwartung an bessere Ergebnisse der Bewertungen gebunden sein.



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