Der große Wurf? Europäischer Fiskalpakt in Brüssel beschlossen

(Christopher Hörster)

Am 31. Januar 2012 haben sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) auf einen Vertragstext für einen Europäischen Fiskalpakt zur stärkeren Überwachung der Haushaltsdisziplin in den Mitgliedstaaten geeinigt. Lediglich Großbritannien und Tschechien lehnten eine Teilnahme ab, Irland hat angekündigt, über die Beteiligung am Fiskalpakt ein Referendum abzuhalten. Die Unterzeichnung ist für März 2012 vorgesehen.

Der neue Fiskalpakt soll im Wesentlichen zu einer stärkeren Haushaltsdisziplin der EU-Staaten beitragen. Kernpunkt des Vertrages ist die Verpflichtung der Parteien, in ihren nationalen Rechtsordnungen eine Schuldenbremse einzuführen. Diese soll vorsehen, dass der Gesamthaushalt grundsätzlich ausgeglichen, in jedem Fall aber weniger als 0,5 Prozent Defizit des Bruttoinlandsproduktes aufweist. Ausnahmen sind nur in Notsituationen zulässig. Darüber hinaus werden die Defizitverfahren gegen Staaten mit exzessiven Defiziten weiter automatisiert. Die von der Kommission im Rahmen eines Defizitverfahrens abgegebenen Empfehlungen können nun nur noch durch eine qualifizierte Mehrheit von Eurostaaten, die sich gegen die Empfehlung aussprechen, gestoppt werden.

Um dem Pakt mehr Durchschlagskraft zu verleihen, kann die Implementierung der Schuldenbremse in das nationale Recht der Vertragsparteien zukünftig vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) überprüft werden. Allerdings haben nur die Vertragsparteien, also die Mitgliedstaaten und nicht die Kommission, das Recht, den EuGH anzurufen. Traditionell sind EU-Staaten aber sehr zurückhaltend beim Gebrauch von Klagemöglichkeiten gegen andere Mitgliedstaaten.

Um eine eventuelle Hilfe im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) von einer stärkeren Haushaltsdisziplin abhängig zu machen, müssen Länder, die Hilfen des ESM in Anspruch nehmen wollen, den Fiskalpakt bis zum 01. März 2013 ratifiziert und die Schuldenbremse im nationalen Recht eingeführt haben. Darüber hinaus sieht der Pakt regelmäßige Treffen der Eurostaaten zur stärkeren Koordinierung der Wirtschaftpolitik vor.                     

Ob der Pakt langfristig den erhofften, beruhigenden Effekt auf den Finanzmärken bewirkt, bleibt abzuwarten. Schon jetzt begegnet dem Vertragswerk aber verschiedene Kritik.

Zum einen wurde der Pakt als zwischenstaatlicher Vertrag geschlossen, weil es im Rahmen der EU keinen Konsens zu den Regelungen der Haushaltsdisziplin gab. Viele sehen in diesem Konstrukt einen Verstoß gegen das EU-Recht, vor allem, weil die normalerweise notwendigen Verfahren zur Rechtssetzung, die auch die Beteiligung des Europäischen Parlaments und der Kommission vorsehen, umgangen werden. Andere sprechen von einer Vermischung des Europarechts mit dem Völkerrecht, da der Fiskalpakt zwar ein völkerrechtlicher Vertrag ist, aber vielfach europarechtliche Elemente, wie die Beteiligung der Kommission oder des EuGH, vorsieht. Ob die ausdrücklich angestrebte Integration des Fiskalpaktes in das Unionsrecht gelingt, bleibt abzuwarten.  

Zum anderen ist das Verhältnis zu anderen Instrumenten der Haushaltsüberwachung, vor allem zum sogenannten "Six-Pack", nicht vollständig geklärt. Das "Six-Pack", bestehend aus fünf Verordnungen und einer Richtlinie, ist ebenfalls ein Regelungsregime zur schärferen Überwachung der nationalen Haushalte, allerdings als EU-Sekundärrecht verabschiedet. Daneben stehen ebenfalls die Regelungen zur Haushaltsdisziplin aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie die angestrebte Koordinierung der Wirtschaftspolitik aus dem "Euro-Plus-Pakt" (EKD-Europa-Informationen Nr. 136) und dem "Europäischen Semester". In unmittelbarem Zusammenhang hierzu stehen noch die verschiedenen Modelle für finanzielle Hilfe an Eurostaaten, bestehend aus EFSF und EFSM (die zum neuen ESM verschmelzen sollen) sowie der Beteiligung des IWF. Die vielen, in Rechtsnatur und Wirkung stark divergierenden Instrumente ergeben gemeinsam ein relativ uneinheitliches Bild einer neuen Europäischen Wirtschafts- und Fiskalunion.

Insgesamt erscheint es nachvollziehbar, dass ein so komplexer und umfangreicher integrativer Schritt wie die Konstruktion einer Wirtschafts- und Fiskalunion von 17 Staaten einer nachhaltigen Planung, eines umfassenden Ansatzes und einer differenzierten Entscheidungsfindung bedarf. Zu dieser naturgemäßen Komplexität der sich stellenden Aufgabe steht der Druck der Finanzmärkte, schnelle, umfangreiche und effektive Lösungen zu präsentieren, in einem erheblichen Spannungsverhältnis. Das Paradox: Die gewollte Beruhigung durch den großen Wurf wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach unter diesen Bedingungen nicht bewerkstelligen lassen. Denkt man an die Neuordnung Europas durch den Vertrag von Lissabon, so hatte dieser Prozess vom Verfassungskonvent Anfang 2002 bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon Ende 2009 acht Jahre gedauert.

Den Fiskalpakt im Wortlaut finden Sie unter:



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