Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte stärkt einmal mehr die Rechte von Flüchtlingen

(Christopher Hörster)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil vom 23. Februar 2012 einen Verstoß gegen die Europäische Menschrechtskonvention (EMRK) durch die italienische Abschiebepraxis im Mittelmeer festgestellt. Das Urteil erfolgte durch die große Kammer und ist daher bereits jetzt rechtskräftig.

Die italienischen Grenzschutzbehörden hatten im Mai 2009 ein Boot mit 200 vorwiegend somalischen und eritreischen Flüchtlingen 35 Meilen südlich von der italienischen Insel Lampedusa abgefangen und die Flüchtlinge auf Militärschiffen nach Tripolis gebracht, wo sie den libyschen Behörden übergeben wurden. Die Aktion geschah ohne jegliche Prüfung der Situation der einzelnen Flüchtlinge, Identitätsfeststellung oder Auskunft über die Verbringung. Grundlage dieser gängigen Praxis der italienischen Behörden war ein Übereinkommen zwischen Italien und Libyen vom Februar 2009.

Der EGMR stellte zunächst fest, dass Italien nach Art. 1 EMRK, auch wenn die Aktion außerhalb des italienischen Territoriums erfolgte, an die EMRK gebunden sei. Die Verpflichtungen aus der EMRK ergäben sich daraus, dass die Handlungen auf italienischen Schiffen stattgefunden und die Flüchtlinge ununterbrochen unter der de-jure- und de-facto-Aufsicht der italienischen Behörden gestanden hätten. Einen Verstoß gegen das Verbot der unmenschlichen Behandlung (Art. 3 EMRK) sah der EGMR in der Verbringung nach Libyen, da den Flüchtlingen einerseits bereits in Libyen eine unmenschliche Behandlung drohe, andererseits bei einer Rückverbringung in die Heimatländer Somalia oder Eritrea durch die libyschen Behörden auch dort die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung bestehe, wie insbesondere aus den Vorträgen der am Verfahren beteiligten Menschenrechtsorganisationen hervorgehe. Auch das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 13 EMRK) sei verletzt, da eine Beschwerde gegen das Vorgehen nicht möglich gewesen sei. In der Verbringung liege ferner eine konventionswidrige Kollektivausweisung (Art. 4 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK), da sie unter der Aufsicht der italienischen Behörden erfolgt sei.

Das Urteil stellt begrüßenswerterweise klar, dass es im Bezug auf die EMRK auf hoher See keine rechtsfreien Räume gibt. Auch hier muss jeder Schutzsuchende im Einklang mit den menschenrechtlichen Grundprinzipien behandelt werden.

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