Europäische Kommission legt Grünbuch zum Recht auf Familienzusammenführung vor

(Christopher Hörster)

Die Europäische Kommission hat am 15. November 2011 ihr Grünbuch zum Recht auf Familienzusammenführung veröffentlicht. Das Grünbuch startet einen Konsultationsprozess, in dem Ansichten zu der Richtlinie 2003/86/EG, die das Recht auf Familienzusammenführung regelt, und ihrer Wirkung in der Praxis eingebracht werden konnten. Nach Ansicht der Kommission ist als Konsequenz der Konsultation einerseits eine verstärkte Durchsetzung der bestehenden Regelungen, andererseits aber auch eine Überarbeitung der Richtlinie denkbar.

Die Richtlinie 2003/86/EG bestimmt, wann ein Drittstaatsangehöriger, der sich in der EU rechtmäßig aufhält, seine Familie nachholen darf, um mit ihr in der EU zusammenzuleben. Ein Problem ist die Definition des Begriffs "Familie". Die augenblickliche Richtline verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich, der Kernfamilie, bestehend aus Ehegatte und minderjährigen Kinder, den Nachzug zu erlauben. Darüber hinaus steht es den Mitgliedstaaten offen, die Definition von Familie weiter zu fassen. Strittig ist insofern vor allem, inwieweit gleichgeschlechtliche Ehepartner berücksichtigt werden können und ob ein Mindestalter des Ehepartners, welches höher als das Volljährigkeitsalter ist, möglich sein sollte. Bezüglich höherer Altersgrenzen für nachziehende Ehegatten wird oft die gewollte Verhinderung von Zwangsehen angeführt. Ob eine solche Altersgrenze über dem Volljährigkeitsalter neben dem Familiennachzug tatsächlich Zwangsehen verhindert, ist allerdings umstritten.

Eine weitere Fragestellung des Grünbuchs betrifft die anderen Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung. Unter den geltenden Regeln muss die zusammenführende Person eine begründete Aussicht auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung haben. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, zu verlangen, dass sich die zusammenführende Person mindestens einen bestimmten Zeitraum in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgehalten hat. Die Kommission fragt diesbezüglich, ob diese Kriterien geeignet sind, den Nachzug zu regeln, insbesondere, da sie den Mitgliedstaaten einen weiten Entscheidungsspielraum eröffnen, der es zulässt, die Möglichkeit der Familienzusammenführung fast gänzlich auszuschließen.

Im Zusammenhang mit den Grundsätzen des Stockholmer Programms, wonach ein einheitlicher Schutzstatus im europäischen Asylsystem erreicht werden soll, wird die Frage aufgeworfen, ob auch Personen, denen subsidiärer Schutz gewährt wird, von der Richtlinie erfasst sein sollten. Hintergrund ist vor allem, dass auch in der Neufassung der Anerkennungsrichtline eine Annäherung der verschiedenen Regelungsregime angestrebt wird.

Eine weitere Frage der Kommission betrifft die Möglichkeit, den Nachzug von Integrationsmaßnahmen, beispielsweise Sprachkursen, abhängig zu machen. In Deutschland, Frankreich und den Niederlande sind solche Tests Bedingung für die Zulassung zum Nachzug. Die Kommission vertritt hingegen die Ansicht, die Familienangehörigen dürften nur zu Integrationsmaßahmen nach Zuzug, und nicht zu Tests als Voraussetzung hierfür, verpflichtet werden. Ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zu dieser Frage ist anhängig.

Die ersten Reaktionen auf die Veröffentlichung des Grünbuches divergierten erheblich. Die niederländische Regierung beispielweise plädiert intensiv für eine Überarbeitung der Zusammenführungsrichtlinie, um die teilweise sehr restriktiven niederländischen Regelungen beibehalten zu können. So sind in den Niederlanden die für das Verfahren der Familienzusammenführung verlangten Gebühren sowie das vom Zusammenführenden nachzuweisende Einkommen im Vergleich mit den anderen Mitgliedstaaten sehr hoch angesetzt.

Die Migration Policy Group, eine Nichtregierungsorganisation, die sich schwerpunktmäßig mit europäischer Migrationspolitik befasst, sieht die Möglichkeit einer Überarbeitung der Richtline kritisch, da auch deutlich weniger einheitliche oder restriktive Regelungen die Folge sein könnten. Hinsichtlich des Zwangs zu Integrationstests, die einige Mitgliedstaaten als Zuzugsvoraussetzung vorsehen, würden diese nachweislich die sozialwirtschaftliche Integration nicht befördern. Solche Tests verringerten lediglich die Zahl der nachziehenden Familienangehörigen und gingen vorwiegend zu Lasten der schwächeren Bevölkerungsgruppen, die selbstständig keine sprachliche Fortbildung vornehmen könnten. Auch der europäische Think-Tank "European Policy Centre" mahnt an, das Thema Familienzusammenführung nicht als Mittel zur Migrationsbegrenzung, sondern aus der Sicht der getrennten Familien zu behandeln.

Aus Sicht der Kirche bleibt zu ergänzen, dass das Recht auf Familie zum Fundament der christlichen Werteordnung gehört und nicht zuletzt durch die Grundrechtecharta der Europäischen Union und die Europäische Menschrechtskonvention geschützt wird. Christliche Organisationen wie die Kommission der Migranten in Europa (CCME), der Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS), Caritas Europa, u.a. werden sich mit Unterstützung des EKD-Büros an der Konsultation beteiligen.

Das Grünbuch sowie alle Stellungnahmen finden Sie unter:



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