Much ado about nothing? - Camerons Verhandlungssieg in Brüssel

(Katrin Hatzinger)

Auf dem Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am 18. und 19. Februar 2016 in Brüssel ist es zum erwarteten Showdown in Sachen „Brexit oder Bremain?“ gekommen. Für Kommentatoren dienten die vielen Sitzungen in verschiedenen Konstellationen bis tief in die Nacht aber vor allem der Inszenierung eines harten Kampfes David Camerons für britische Interessen, „ein bisschen Drama muss halt sein“.

Der britische Premier konnte sich schließlich nach dem vorher abgestimmten Drehbuch als Sieger in der Auseinandersetzung um das britische Reformpaket fühlen, dabei läuten die ausgehandelten Zugeständnisse nicht wirklich einen „fundamentalen Wandel“ in der EU ein, wie zuvor öffentlich eingefordert (EKD-Europa-Informationen Nr. 150).

Großbritannien kann künftig im Fall einer zu hohen Zuwanderung in die Sozialsysteme eine „Notbremse“ ziehen und EU-Arbeitnehmer für bis zu vier Jahre von Sozialleistungen wie Lohnaufbesserungen und Anspruch auf eine Sozialwohnung ausschließen. Diese Sonderregelung ist auf sieben Jahre begrenzt.

Auch das Kindergeld für den Nachwuchs von EU- Ausländern kann den niedrigeren Lebenshaltungskosten in deren Heimatländern angepasst werden. Die neue Regelung wird den Plänen zufolge bis 2020 nur für Neuanträge gelten. Danach können die Staaten diese Regelung auf alle Zahlungen anwenden – auch wenn diese bis dahin in anderer Höhe geflossen sind. Eine Neuerung, die auch andere EU-Staaten anwenden könnten. In Deutschland werden die Vor- und Nachteile dieses Systems gerade von der Bundesregierung errechnet.

Großbritannien wird ferner nicht zu weiteren Integrationsschritten verpflichtet und ist daher auch nicht dazu angehalten, das Ziel einer „immer engeren Union“ zu verfolgen. Bei einer künftigen Änderung der EU-Verträge soll das Recht Großbritanniens verankert werden, die Vertiefung nicht mitmachen zu müssen. Möglich seien „verschiedene Wege der Integration“, heißt es in der Vereinbarung, die an dieser Stelle eher symbolischen Charakter hat.

Nationale Parlamente sollen ein stärkeres Mitspracherecht bekommen und EU-Gesetze kassieren oder Änderungen verlangen können, wenn sie insgesamt mehr als 55 Prozent der für die nationalen Parlamente vorgesehenen Stimmen repräsentieren. Dieser Punkt ist den Briten sehr wichtig. Die Vorbehalte müssen innerhalb von zwölf Wochen nach Vorlage eines EU-Gesetzesvorhabens vorgebracht werden. Dann müssten die EU-Staaten die Bedenken in einer „umfassenden Diskussion“ erläutern. Diese „rote Karte“-Regelung geht allerdings nicht wirklich substantiell über den Status Quo der Subsidiaritätsrüge hinaus. Außerdem darf das Vereinigte Königreich nicht durch Entscheidungen der Euro-Gruppe benachteiligt werden. Die EU ver- pflichtet sich ferner zu „konkreten Schritten“ zum Bürokratieabbau, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Alle Vereinbarungen stehen unter dem Vorbehalt, dass die Briten für den Verbleib in der EU stimmen. Das Referendum wird nun am 23. Juni stattfinden. David Cameron selbst ist siegesgewiss und argumentiert damit, dass sich die Wähler nun für das „Beste beider Welten“ entscheiden könnten. Doch der Ausgang des Referendums ist völlig offen. Den Umfragen zufolge haben die Ergebnisse des Gipfels keinerlei Auswirkungen auf die Meinung der Bür- gerinnen und Bürger gezeigt. Die Lager sind immer noch fast gleich groß. Hussein Kassim, Professor für Politikwissenschaft an der University of East Anglia analysierte auf einer Veranstaltung des European Policy Center am 8. März in Brüssel, dass die Debatte um den Verbleib in der EU weniger von empirischen Beweisen und Daten, sondern von ungeprüften Gerüchten und Behauptungen bestimmt werde, wie z.B. dass Großbritannien die Kontrolle über seine Grenzen verloren habe, obwohl es nicht mal ein Schengen-Mitglied sei.

Dazu kommt, dass Schotten und Waliser mehrheitlich in der EU bleiben wollen. Sollte das Brexit-Lager sich durchsetzen, könnte Schottland das zum Anlass nehmen, ein erneutes Unabhängigkeits-Referendum durchzuführen. Cameron könnte dann tatsächlich der Premierminister sein, der nicht nur Großbritannien aus der Union geführt, sondern es auch noch gespalten hat.

Die Schlussfolgerungen des Rates und weitere Informationen zu dem Treffen finden Sie unter:
http://ekd.be/Gipfel_Verhandlungen_Brexit



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