Kollektiver Beistand – Gemeinsam ist man weniger allein?

(Julia Maria Eichler)

Am 21. Januar 2016 hat das Europäische Parlament eine Entschließung zur Anwendung der Beistandsklausel angenommen. Zuvor hatte am 17. November 2015 die französische Regierung gemäß Art. 42 Abs. 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) um Unterstützung und Beistand im Nachgang der Terroranschläge am 13. November 2015 ersucht und damit erstmalig die Beistandsklausel aktiviert. Noch am selben Tag hatten die EU-Verteidigungsminister dem zugestimmt.

Art. 42 Abs. 7 EUV wurde erst 2009 mit dem Vertrag von Lissabon aufgenommen und regelt den kollektiven Beistand der EU-Mitgliedstaaten bei einem Angriff auf einen Mitgliedstaat. Im Gegensatz zur Solidaritätsklausel in Art. 222 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), muss kein formelles Verfahren durchlaufen werden. Die Zustimmung der Verteidigungsminister im Rat hatte damit lediglich einen politisch-deklaratorischen Charakter. Die Mitgliedstaaten trifft nun die politische Pflicht zur solidarischen Hilfeleistung, die sowohl zivile als auch militärische Hilfe beinhalten kann. Art. 42 Abs. 7 EUV regelt jedoch keinen Unterstützung durch die EU selbst, sondern sieht vor, dass die zivile oder militärische Hilfe grundsätzlich bilateral erfolgt. Es obliegt jedoch dem hilfeleistenden Mitgliedstaat, Art und Umfang der Unterstützung konkret zu bestimmen. Die kollektive Beistandspflicht lässt „den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten“ unberührt, beispielsweise den deutschen Parlamentsvorbehalt und die österreichische Politik der militärischen Neutralität. Art. 42 Abs. 7 EUV bezieht sich auf auswärtiges Handeln und einen Angriff im Sinne von Art. 51 UN-Charta. Die Beistandspflicht geht nicht über die Beistandspflicht nach Art. 5 des Nordatlantikvertrages hinaus, welcher den NATO-Mitgliedern einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Inhalts des zu leistenden Beistands gewährt und nicht zwingend den Einsatz militärischer Mittel umfasst. Nach der Solidaritätsklausel des Art. 222 AEUV handeln die EU und die Mitgliedstaaten mit zivilen oder militärischen Mitteln gemeinsam und solidarisch im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer von Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist.

Ein Grund, warum Frankreich Art. 42 Abs. 7 EUV gewählt haben dürfte, ist wohl der bilaterale Charakter der Norm. Die EU-Institutionen müssen nicht einbezogen werden. Frankreich hat für seine Operationen in Syrien, im Irak und in der Sahelzone Unterstützung bei den anderen EU-Staaten angefordert. Darüber hinaus hat Frankreich die anderen Mitgliedstaaten aufgefordert, mehr zu EU- und UN-Operationen in Afrika beizutragen, um die französischen Kräfte zu entlasten.

Die fehlende Einbindung der EU-Institutionen ist einer der Hauptkritikpunkte des Europäischen Parlaments in seiner Entschließung. Fraktionsübergreifend stimmt das Parlament darin überein, dass es der Festlegung praktischer Maßnahmen und Leitlinien mit Blick auf künftige Fälle einer Anwendung der Beistandsklausel bedürfe. Der Rat und die Mitgliedstaaten sollten umgehend einen strategischen Rahmen   erstellen, der bei der Anwendung von Artikel 42 Absatz 7 EUV der Orientierung dienen könne und in dem ein Zeitplan, eine Überprüfungsklausel sowie Überwachungsmechanismen vorgesehen sein sollten. Das Parlament erachtet die Anwendung der Beistandsklausel als einzigartige Chance, die Grundlagen für eine starke und tragfähige Europäische Verteidigungsunion zu schaffen. Im Hinblick auf die Deradikalisierung, vor allem von jungen Menschen, die Prävention von gewaltsamem Extremismus und die Terrorismusbekämpfung müsse ein breiter Ansatz verfolgt werden, der auf die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und Kriminalprävention sowie auf gezielte Polizeiarbeit und Sicherheitsmaßnahmen ausgerichtet sein müsse. Es müsse eine gemeinsame EU-Außenpolitik zur Zukunft Syriens sowie des gesamten Nahen Ostens vereinbart werden.

Die bisherigen Reaktionen auf Frankreichs Anfrage umfassen logistische Unterstützung der Operationen in der Levante und Unterstützung bei den Luftangriffen sowie Unterstützung der französischen Operationen in Afrika und von EU- und UN-Missionen. Großbritannien beteiligt sich an Luftangriffen und erlaubt Frankreich die Nutzung des Royal Air Force Stützpunkts Akrotiri auf Zypern. Deutschland hat im Eildurchgang am 04. Dezember 2015 den Einsatz von 1200 Soldaten in Syrien durch den Bundestag gewunken, der Aufklärungsflüge, Luftbetankung und den Schutz eines französischen Flugzeugträgers umfasst. Fast die Hälfte der EU- Mitgliedstaaten hat bereits angekündigt oder entscheidet derzeit darüber, ihren Beitrag zu EU- und UN-Missionen in der Sahel-Zone, Mali, Zentralafrika oder Mittelmeer zu erhöhen. Im nichtmilitärischen Bereich haben mehrere Mitgliedstaaten ihre Unterstützung angekündigt, zur Verstärkung des Austauschs von Geheimdienstinformationen und der Kooperation in der Außenpolitik, wobei letzteres innerhalb der Wiener Verhandlungen zu Syrien vollzogen werden soll.

Die Entschließung des  Europäischen Parlaments finden Sie unter:
http://ekd.be/EP_Entschliessung



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