"Mit tiefgreifendsten Unterschieden leben" - Die "Global Charter of Conscience"

(Dr. Anna Donata Quaas)

Im Europäischen Parlament ist am 21. Juni 2012 auf Einladung der schwedischen Abgeordneten Sari Essayah (EVP) die "Globale Charta der Gewissensfreiheit" vorgestellt worden.
Ziel der Charta ist es, den 18. Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), der das allgemeine Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit proklamiert, wieder in das Zentrum der  öffentlichen Diskussion zu rücken.

Zur Vorstellung der Charta und zur Diskussion ihres Inhalts waren Os Guiness (Initiator der Charta), Thomas Schirrmacher (Religionssoziologe und Mitautor der Charta) und Heiner Bielefeldt (Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats) eingeladen.

"Living with deepest differences" (mit tiefgreifendsten Unterschieden leben) ist eins der Grundaxiome des Dokuments. An Fragen des Gewissens, der religiösen und weltanschaulichen Überzeugung würden tiefgreifende, existentielle Unterschiede zwischen Menschen deutlich. Diese Unterschiede seien gegeben und sollten nicht nivelliert werden. Trotzdem sei ein "robust dialogue" möglich und erstrebenswert. Dabei sei zu unterscheiden zwischen der Person und ihren Überzeugungen. Die Freiheit des Gewissens schütze die Person; ihre Überzeugungen jedoch könnten respektvoll diskutiert und in Frage gestellt werden.

Ein weiterer Leitgedanke der Charta ist die Idee eines "civil public square" (zivilen, öffentlichen Platzes). Im Gegensatz zum "sacred public square" (heiligen, öffentlichen Platz), der von einer bestimmten Religion eingenommen werde und für andere Glaubensrichtungen keinen Raum lasse und einem "naked public square" (leeren, öffentlichen Platz), der Religionen aus dem öffentlichen Leben verbanne, propagiert die Charta einen "civil public square" als Vision eines öffentlichen Lebens, das gleichzeitig freie Glaubensentfaltung und Religionslosigkeit ermöglicht.

Dabei erhebt die "Globale Charta für Gewissensfreiheit" den Anspruch, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit für jeden Menschen maximieren zu wollen und Einschränkungen dieser Freiheit nur ausnahmsweise und unter klar definierten Bedingungen zuzulassen.
Auch die Rechte unpopulärer Gruppen und kleinster Minderheiten müssten geschützt werden. Im Blick auf Minderheiten sei ein demokratisches System zum Schutz der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit unzureichend, da darin Einzelpersonen und Minderheiten nicht genügend berücksichtigt würden.
Die Gewissensfreiheit sei Grundlage der Demokratie. Da Menschenrechte vom Staat unabhängig und ihm vorgeordnet seien, könne der Staat diese auch nicht gewähren, sondern habe sie für alle Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

Die UN-Menschenrechtscharta wird in diesem Jahr 64 Jahre alt. Einem Bericht des Pew-Forschungszentrum zu Religion und öffentlichem Leben zufolge leben drei Viertel der Erdbevölkerung in Ländern, in denen die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit eingeschränkt ist.

Die "Globale Charta der Gewissensfreiheit" versteht sich als Herausforderung und Verheißung. Die Herausforderung liegt darin, mit den "tiefgreifendsten" Unterschieden zu leben. Die Verheißung besteht darin, den "civil public square" so zu gestalten, dass Menschen mit und ohne religiöse Überzeugungen in Frieden zusammen leben können.
 
Weitere Informationen zur "Globalen Charta für Gewissensfreiheit" finden Sie hier:



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