Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Europa-Informationen Nr. 134

Europa braucht klare Regeln – Anmerkungen zur Euro-Krise

(OKR´in Katrin Hatzinger)

 

Die Euro-Krise zeigt, dass Europa sich mehr zutrauen muss und das heißt konkret, dass ein stabiler Euro und ein nachhaltiger Schuldenabbau nicht ohne eine Stärkung des Stabilitätspaktes mit entsprechenden Sanktionen bei Verstößen zu haben sind. Europa funktioniert nicht ohne Regeln und deren Einhaltung muss auf europäischer Ebene kontrolliert und bei Verstößen durch einen entsprechenden Mechanismus auch sanktioniert werden können, auch wenn dies eine weitere Verlagerung bisher nationaler Souveränitätsrechte auf die Gemeinschaft bedeuten würde.

 

Überfällige Debatten über eine europäische Wirtschaftsregierung dürfen aus Angst vor der eigenen Courage nicht länger aufgeschoben werden. Eine gemeinsame Währungspolitik ohne eine möglichst weitgehende Koordinierung der Wirtschaftspolitik ist zum Scheitern verurteilt. Es bedarf eines gemeinsamen Steuerungswillens. Haushaltsdefizite und Wirtschaftspolitik sind in Zeiten einer gemeinsamen Währung eben keine rein nationale Angelegenheit mehr. Im Ernstfall haften die Euro-Länder füreinander, wie der Fall Griechenland zeigt. Durch den Rettungsschirm von 750 Mrd. Euro ist die Risikoabsicherung für die Rückzahlung der Schulden solidarisch auf mehr und kräftigere Schultern verteilt worden. Die EU ist selbstverständlich auch eine Solidargemeinschaft, doch diese kann nur dauerhaft bestehen, wenn ihre Mitglieder verantwortungsbewusst handeln.

 

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt war schon 1974 der Auffassung, dass „die Schaffung und Anwendung gleicher ökonomischer Instrumentarien für eine Wirtschaftunion“ langfristig unerlässlich sei. Doch wie so oft setzten sich die Skeptiker durch, die aus Angst vor Fehlschlägen vor dem Schritt einer „supranationalen Koordination“ zurückschreckten.

Der Glaube, dass sich diese notwendige Koordinierung quasi von selbst einstellen würde, hat sich als Selbsttäuschung erwiesen. Aber bislang fehlte der politische Wille, die Notwendigkeit der Übertragung nationaler Kompetenzen in diesem Bereich auf EU-Ebene anzuerkennen und auch den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber zu kommunizieren. Dabei ist klar, dass die Haushaltshoheit auch in Zukunft bei den Mitgliedstaaten verbleiben wird.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich entgegen der ursprünglichen Erwartungen der Väter der Währungsunion mit der Einführung des Euro die unterschiedliche Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Länder in der Eurozone nicht angenähert haben, sondern sich vielmehr gravierende Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa auftun.

Die europäischen Mitgliedstaaten sind zudem überschuldet. Der gegenwärtige Konsum belastet künftige Generationen doppelt: Er ist nicht nachhaltig und er ist kreditfinanziert. Die Abzahlung wird auf die Zukunft vertagt. Doch auch die ökonomische Vernunft rät, dass nun ein strikter Sparkurs eingeschlagen werden muss. Wenn Staatsschulden ins Exorbitante steigen, beginnen Gläubiger an der Bonität des Schuldners zu zweifeln und die Zinsen ziehen an. Auch für private Investoren werden Anlagen damit teurer und weniger attraktiv. Schließlich kann die Inflation steigen. Doch neben Sparmaßnahmen müssen auch überfällige Reformen entschlossen angegangen werden.

Deshalb ist es richtig und wichtig, dass seit März in einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des EU-Ratsvorsitzenden Herman van Rompuy Vorschläge zur Stärkung der Euro-Zone diskutiert werden, die im Oktober dem Europäischen Rat vorgestellt werden sollen. Dazu zählen die Stärkung der Haushaltsdisziplin, die Überwachung der Wettbewerbsfähigkeit und die Reaktion auf staatliche Liquiditätskrisen wie im Fall Griechenland. So sollen die Mitgliedstaaten jährlich im Frühjahr ihre Haushaltspläne vor der parlamentarischen Beratung zu einer Vorprüfung nach Brüssel übermitteln und darlegen, wie sie die Stabilitätskriterien einhalten wollen, damit die EU-Kommission, aber auch die übrigen Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, rechtzeitig einen Überblick über das Ausmaß von Wachstum und Inflation sowie Einnahmen, Ausgaben und Defizite zu erhalten, bevor sie ihr Urteil abgeben. Nach dem Willen von Bundesfinanzminister Schäuble sollen die Programme außerdem einer strengeren, externen Kontrolle unterworfen werden, z.B. durch die Europäische Zentralbank. Auch will Schäuble, dass die Mitgliedstaaten nach deutschem Vorbild eine Schuldenbremse in ihrem nationalen Recht verankern. Gegenüber Mitgliedstaaten, die mit ihrem Staatsdefizit die Vorgaben des Stabilitätspaktes von 3% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) überschreiten, sollen künftig Sanktionen verhängt werden können: z.B. ein vorübergehender Entzug des Stimmrechts (so der deutsche Vorschlag, der allerdings vertragliche Veränderungen bedeuten würde) oder der Ausschluss von EU-Mitteln aus den Strukturfonds. Van Rompuy machte deutlich, dass es v.a. darum gehe, bei Verstößen gegen den Pakt früher als bisher reagieren zu können. Dazu müsste eine neue Bandbreite von Sanktionen geschaffen werden, die „progressiver und konsistenter“ sein müssten, so van Rompuy nach dem zweiten Treffen der Task Force am 7. Juni 2010 in Brüssel. Was die Überwachung der Haushaltsdisziplin anbelangt, sollte die Höhe der öffentlichen Verschuldung stärker in den Blick genommen und im Fall, dass ein Staat seine Schulden nicht schnell genug reduziert, ein Verfahren zur Vermeidung „exzessiver Schulden“ eingerichtet werden. Wichtig sei es auch, die Unabhängigkeit nationaler Statistikämter und - behörden von staatlicher Einflussnahme sicherzustellen. Schließlich müssen die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten entschieden angegangen werden. Dazu ist die Kommission gebeten worden, Indikatoren für die Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln, um Fehlentwicklungen rechtzeitig Einhalt bieten zu können. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem Gipfel am 17. Juni 2010 diese Linien bestätigt.

 

Die europäische Integration ist kein geradliniger Prozess, sondern ein wechselvolles Auf und Ab. In ihrer 60-jährigen Geschichte hat die Integration immer wieder Rückschläge hinnehmen müssen. Das Zusammenspiel zwischen nationaler und europäischer Ebene, ebenso wie Europas Vielfalt machen seinen Charme aus, stellen aber auch seine Achilles-Ferse dar. So zeigt die Krise des Euro-Raums wie sich die unterschiedlichen Mentalitäten bis in die Wirtschaftspolitik hinein auswirken können. Wie schon im Fall des Europäischen Verfassungsvertrages, der erst nach mehreren ablehnenden Referenden und einer „Reflexionsphase“ schließlich als Vertrag von Lissabon konsensfähig war, dürfen notwendige Reformen nicht länger als Elitenprojekte wahrgenommen werden.

 

Europa bedarf mehr engagierter Fürsprache und besserer Vermittlung. Dabei muss sicherlich nicht alles europäisch geregelt werden, und das Lissabon-Urteil des BVerfG bietet hier eine gute Orientierung, wenn es um die Kernbereiche staatlicher Souveränität geht.Das Bundesverfassungsgericht selbst hat eine via media zwischen europäischem Bundesstaat und zahnloser Binnenmarktverwaltung aufgezeigt, indem es die grundsätzliche Integrationsfreundlichkeit des Grundgesetzes betont hat. Tatsächlich hat der Nationalstaat zu seinem eigenen Überleben Europa noch nie so nötig gehabt wie heute und nie sind uns die politischen Versäumnisse der Vergangenheit so unbarmherzig vor Augen geführt worden wie in den Zeiten der Euro-Krise. Europa ist ohne Alternative, will man im globalen Wettbewerb mit den USA und Japan und den immer selbstbewussteren Schwellenländern bestehen. Aber auch wenn es darum geht in anderen Politikbereichen international Akzente zu setzen. 

Allerdings darf es auch nicht erst wie im Fall Griechenlands zum Äußersten kommen, bevor man einsieht, dass mehr Koordinierung und Kontrolle auf europäischer Ebene notwendig sind. Dass der europäische Integrationsprozess neben gegenseitiger Stärkung und immensen wirtschaftlichen Vorteilen, z.B. durch den Binnenmarkt auch gegenseitige Abhängigkeiten schafft, dürfe eigentlich niemanden überraschen. Doch das Manko einer Währungsunion ohne Wirtschaftsregierung sollte nach dem Willen des politisch Handelnden möglichst niemandem auffallen. Dementsprechend reagierte zumindest die deutsche Öffentlichkeit auf die Aussicht deutscher Bürgschaften für griechische Schulden ablehnend. Dabei haben es Politiker fahrlässig versäumt, der Bevölkerung zu erläutern, dass eine gemeinsame Währung nicht nur entspanntes Reisen, sondern natürlich auch wirtschaftliche Abhängigkeit bedeutet.

 

 60 Jahre nach der Schuman-Erklärung, in der der französische Außenminister dazu aufrief, die französische und deutsche Kohle- und Stahlproduktion einer internationalen Behörde zu unterstellen, hat Europa mehr Optimismus verdient, aber auch mehr Wahrhaftigkeit.



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