„Werte brauchen Quellen“: Diskussionsabend über den Dialog zwischen Kirche und EU

(Katrin Hatzinger)

Im Themenjahr der Reformationsdekade „Reformation und Politik" stand am 8. April 2014 der Dialog zwischen Kirchen und der EU im Mittelpunkt einer Abendveranstaltung im EKD-Büro.

Lange Zeit galt die EU als „religiös unmusikalisch". Aufgrund der unterschiedlichen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten war es nicht selbstverständlich, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften als gesellschaftliche Kräfte an der Ausgestaltung des demokratischen Gemeinwesens mitwirken. Doch im Zuge der fortschreitenden Integration setzte sich auch in der Europapolitik die Erkenntnis durch, wie wichtig es ist, Europa „eine Seele zu geben". So war es nur folgerichtig, dass nach der gescheiterten Verfassungsdebatte mit Art. 17 Abs. 3 im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) der Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften als gesellschaftspolitische Kräfte Anerkennung gefunden hat.

Dr. Patrick Roger Schnabel, Pfarrer der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz und Referent für den Kirchlichen Entwicklungsdienst und Kuba im Berliner Missionswerk, war von 2007 bis 2011 zunächst als Sondervikar, später als Juristischer Referent im EKD-Büro tätig. Er hat über den Dialog zwischen den Kirchen und der EU promoviert.

In seiner im März 2014 bei Mohr Siebeck erschienenen Arbeit „Der Dialog nach Art. 17 III AEUV. In Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags" untersucht er den Dialog und ordnet ihn in die Verhältnisbestimmung von Staat und Gesellschaft ein. Ferner untersucht er seine spezifische Begründung in Abgrenzung zu dem in Art. 11 Abs. 2 AEUV geregelten Dialog mit der Zivilgesellschaft. Dabei weist er nach, dass beide Dialoge im Zusammenhang von Bemühungen um mehr „partizipative Demokratie" zu verstehen sind, von der sich die Union eine Verbesserung ihrer Gesetzgebungsqualität und eine Erhöhung ihrer Akzeptanz verspricht. Er kommt zu dem Schluss, dass die Union mit der Normierung eines eigenständigen Dialogs das religiöse Selbstverständnis angemessen berücksichtigt und - bei gleichzeitiger Nicht-Beeinträchtigung des mitgliedstaatlichen Religionsrechts - einen aktiven Zugang zu diesen Gemeinschaften sucht.

Eingangs gab Dr. Schnabel eine Einführung in die historische Herleitung des Dialogs als Bestandteil zunehmender Integration und guter Regierungsführung auf dem Weg von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft. Im Anschluss diskutierte das Podium aus verschiedenen Blickwinkeln die aktuelle Relevanz des Dialogs. Katharina von Schnurbein brachte als Beraterin des Büros für europäische Politikberatung (BEPA) der EU-Kommission für den Dialog nach Art. 17 Abs. 3 AEUV die Perspektive der EU-Kommission ein. Laurens Hogebrink, ehemaliges Mitglied der Kommission Kirche und Gesellschaft der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), forscht schon lange über dieses Sujet und war selbst aktiv an der Etablierung von Dialogstrukturen beteiligt. Als Leiterin des EKD-Büros brachte OKR‘in Katrin Hatzinger den Blick und die praktische Erfahrung von Kirche als Dialogpartner ein. Isabel Guzman, die Brüsseler Korrespondentin des Evangelischen Pressedienstes, moderierte den Abend.

Einigkeit herrschte darüber, dass Kirchen viel in den Dialogprozess einzubringen haben, von der Erfahrung der Einheit in versöhnter Verschiedenheit über die Werte von Vergebung, Versöhnung und Solidarität. Dazu kommt die praktische Erfahrung, z. B. in der Arbeit von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Nicht zuletzt sind die Kirchen aber auch selbst Betroffene europäischer Gesetzgebung (Beispiel: Datenschutz) oder Experten, deren Wissen in den Gesetzgebungsprozess einfließen sollte. Doch noch fehlt es an einem speziellen Konsultationsverfahren. Hier nannte Frau von Schnurbein als gutes Beispiel für die Einbeziehung von Kirchen und Religionsgemeinschaften durch die EU-Institutionen die Befragung der Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der Erstellung der Leitlinien zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit für den Europäischen Auswärtigen Dienst (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 143).

Dr. Schnabel lobte Art. 17 als gelungenes Modell für die Versöhnung der nationalen Besonderheit (Abs. 1) und der europäischen religiösen Vielfalt (Abs. 3).

Abschließend äußerte Frau von Schnurbein den Wunsch nach mehr europäischen Verlautbarungen der Kirchen. Laurens Hogebrink machte eine gewisse Europamüdigkeit unter den Kirchen aus und forderte neue Europadenkschriften. Seit den 1990er Jahren hätten sich die Kirchen, auch ökumenisch, aus der Europadebatte zurückgezogen. Katrin Hatzinger verwies auf verschiedenen kirchliche Europatexte, von „Ecclesia in Europa" bis hin zum Wort des Rates der EKD zu Europa und wünschte sich nicht unbedingt mehr Schriften, sondern dass die Kirchen selbstbewusst und selbstverständlich in die Debatte über die Zukunft Europas eintreten.



erweiterte Suche