Die östlichen Nachbarn stellen Europa auf die Probe - Wie weiter mit der Ukraine und Russland?

(Martin Kasperek)

Die Ukraine hält die europäische Außenpolitik seit mehreren Monaten auf Trab: Die Weigerung von Präsident Janukowitsch, das Assoziierungsabkommen mit der EU auf dem Gipfel zur Östlichen Partnerschaft im November 2013 zu unterzeichnen (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 144), hatte zu teils gewaltsamen Protesten geführt, vor allem auf dem Maidan-Platz in Kiew. Diese Proteste sorgten für die Absetzung von Janukowitsch und die Einsetzung einer Übergangsregierung. Gegen diese neue Regierung regte sich Widerstand vor allem auf der mehrheitlich von Russischstämmigen bewohnten Krim. Diese organisierten am 16. März 2014 ein Referendum, das unter der massiven Präsenz (para-)militärischer russischer Truppen stattfand und in dessen Folge die Halbinsel in die Russische Föderation eingegliedert wurde. Das Referendum wurde von der UN-Vollversammlung für ungültig erklärt, sein Ergebnis wird auch von der EU nicht anerkannt. Es wird nun befürchtet, dass Russland seinen Einfluss in weiteren Regionen vor allem im Osten der Ukraine vergrößern möchte, wo teils mehrheitlich Russisch gesprochen wird.

Auf ihrem Gipfel am 21. März 2014 reagierten die EU-Staats- und Regierungschefs auf die Entwicklungen in der Ukraine und den durch die Krim-Angliederung entstandenen neuen Konflikt des Westens mit Russland.

Die EU möchte die Ukraine unterstützen und bereitet dafür, in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds, ein milliardenschweres Hilfspaket vor, verlangt aber im Gegenzug auch wirtschaftliche und politische Maßnahmen (u. a. zur Korruptionsbekämpfung). Außerdem wurden die politischen Teile eines Assoziierungsabkommens unterzeichnet, wodurch ein regelmäßiger politischer Dialog vorgesehen ist. Die wirtschaftlichen Teile des Abkommens, wozu auch ein Freihandelsabkommen gehört, sollen später verabschiedet werden. Als Soforthilfe für das wirtschaftlich angeschlagene und hochverschuldete Land haben die EU-Institutionen beschlossen, die meisten der Einfuhrzölle auf ukrainische Produkte aufzuheben.

Über die Frage, wie weit die Ukraine an Europa und an den Westen angebunden werden soll, wird nun stärker diskutiert: Erweiterungskommissar Štefan Füle denkt darüber nach, der Ukraine eine EU-Mitgliedschaft anbieten, schließlich sei diese das „stärkste Instrument" zur Veränderung und Stabilisierung eines Landes. Mit dieser Idee findet er aber bei den Mitgliedstaaten und ihren Außenministern wenig Zustimmung. Eine ukrainische NATO-Mitgliedschaft ist nicht geplant, obgleich die Zusammenarbeit mit dem Land verstärkt werden soll.

So sehr die EU das Vorgehen Russlands in der Ukraine verurteilt, so sehr erkennt man auch, dass der Dialog mit Moskau nicht abreißen darf und dass es möglicherweise falsch war, die Ukraine in eine „Entweder-Oder"-Situation gebracht zu haben. Nun scheint es, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik grundsätzlich zu überdenken ist.

Die historischen und kulturellen Verbindungen der Ukraine zu Russland können zwar nicht ignoriert werden. Doch den Ukrainern muss es auch möglich sein, sich stärker dem Westen zuzuwenden. Die Verletzung der Souveränität der Ukraine und ihrer Grenzen kann keinesfalls hingenommen werden, sind sich die EU und die USA fast schon ungewohnt einig. Dementsprechend haben sie begonnen, Sanktionsmaßnahmen gegen Moskau zu ergreifen. Die EU-Sanktionen können stufenweise verschärft werden: Bisher wurden bereits politische Gespräche zwischen der EU und Russland ausgesetzt, auch über mögliche Visa-Erleichterungen (Stufe 1). Ebenso hat die EU, wie auch schon die Amerikaner, Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Personen verhängt, die für die Militäraktionen auf der Krim und deren Eingliederung mitverantwortlich sind (Stufe 2). Die dritte Stufe der bisher verabredeten Sanktionen ist hingegen noch nicht ausgelöst worden: Für den Fall, dass Russland nicht für eine Deeskalation und Stabilisierung der Lage in der Ukraine sorgt, wird mit Wirtschaftssanktionen gedroht.

Zwar ist die wirtschaftliche Abhängigkeit Russlands von der EU weit größer als umgekehrt, trotzdem wären von den Sanktionen auch Unternehmen und Arbeitsplätze in Europa und speziell in Deutschland betroffen. Insbesondere auf die Abhängigkeit von russischem Gas wird hingewiesen. Deutschland ist in Europa größter Abnehmer von Gas aus Russland und deckt mehr als ein Drittel seines Gas- und Ölbedarfs von dort.

Es ist erfreulich zu hören, dass z. B. auch ein Wirtschaftsvertreter wie Eric Schweitzer, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, angesichts des durch Russland begangenen Völkerrechtsbruchs Verständnis für die (angedrohten) Sanktionen zeigt und damit die politische Linie der EU-Staaten unterstützt. Europa zeigt in der aktuellen Krise um die Ukraine, dass das Völkerrecht Vorrang vor Wirtschaftsinteressen hat. Die EU hat hier ihre Chance, sich nicht nur als Wirtschafts-, sondern vor allem als Wertegemeinschaft und als Friedensprojekt zu zeigen.



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