Denkanstöße und Arbeitsauf­träge: Sicherheits- und Verteidi­gungsgipfel im Dezember 2013

(Susanne Herkommer)

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich am 19. Dezember 2013 erstmals seit fünf Jahren wieder mit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU befasst. Der Gipfel hatte sich die Themen Erhöhung der Wirksamkeit, öffentlichen Wahrnehmung und Wirkung der GSVP, Intensivierung der Entwicklung von Verteidigungsfähigkeiten und Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie gesetzt (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 144).

Die Erwartungen an den Gipfel waren verhalten, werden doch den Mitgliedsstaaten kaum Ambitionen in diesem immer noch sehr national geprägten Politikfeld nachgesagt.

Das Ergebnis ist auch weder eine völlige Neuausrichtung der GSVP noch wurden konkrete Projekte beschlossen. Die Staats- und Regierungschefs erteilen aber in ihren Schlussfolgerungen eine ganze Reihe von größtenteils mit Zeitvorgaben versehenen Prüf- und Berichtsaufträgen an den Rat, die Kommission, die Hohe Vertreterin der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik, die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) und die Mitgliedsstaaten und stoßen so eine intensive Beschäftigung mit dem Themenbereich an.

Von der Hohen Vertreterin, Baroness Ashton, fordert der Europäische Rat bis 2015 einen Bericht über die Herausforderungen und Chancen der EU an, die sich aus den Veränderungen im globalen Umfeld ergeben. Daraus könnte eine Überarbeitung der Europäischen Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003 folgen, die bereits seit längerem diskutiert wird. Die Strategie wurde damals als Reaktion auf den Irak-Krieg erstellt und ermittelt potenzielle Bedrohungen und definiert die strategischen Ziele der EU sowie deren Auswirkungen auf die EU-Politiken. Des Weiteren geben die Staats- und Regierungschefs die Erstellung einer EU-Strategie für maritime Sicherheit bis Juni 2014 und eines EU-Politikrahmens für Cyberabwehr bis Ende 2014 in Auftrag. Zudem soll die Finanzierung der EU-Missionen und Operationen überprüft werden. Ziel ist eine gerechtere Verteilung der Kosten.

Der Europäische Rat fordert auch eine verstärkte Entwicklung ziviler Fähigkeiten. Die Hohe Vertreterin und die Mitgliedsstaaten werden aufgefordert, Verfahren und Vorschriften auszuarbeiten, die mehr Flexibilität und eine raschere Entsendung ziviler Missionen ermöglichen.

Der Aufbau von Synergien zwischen den Akteuren der GSVP und der Innen- und Justizpolitik soll vorangetrieben werden, um Querschnittsfragen wie irreguläre Migration, organisierte Kriminalität und Terrorismus anzugehen. Im Rahmen der GSVP soll Unterstützung für Drittstaaten und Regionen zur Verbesserung des Grenzmanagements geleistet werden.

Einen Schwerpunkt in der Zukunft der GSVP sieht der Europäische Rat in einer verstärkten Kooperation unter den Mitgliedsstaaten. Er begrüßt daher konkrete gemeinsame Projekte der Mitgliedsstaaten in den Bereichen Drohnen, Luftbetankung, Satellitenkommunikation und Cyber-Abwehr und fordert die Erstellung eines politischen Rahmens für mehr Transparenz und Informationsaustausch bei der Verteidigungsplanung bis Ende 2014. Die Europäische Verteidigungsagentur soll darüber hinaus ebenfalls bis Ende 2014 einen Bericht über eine wirksamere und effizientere Zusammenarbeit im Rahmen gemeinsamer Beschaffungsprogramme verfassen. Des Weiteren sollen Anreize und innovative Ansätze für die Bündelung und gemeinsame Nutzung von Verteidigungsgütern und -fähigkeiten (Pooling & Sharing) entwickelt werden. Der Europäische Rat erbittet darüber hinaus bis Mitte 2014 die Erstellung eines Fahrplans für die Entwicklung gemeinsamer Standards für die Verteidigungsindustrie sowie die Ausarbeitung von Optionen für eine bessere Anerkennung militärischer Zertifizierungen.

Die Staats- und Regierungschefs wollen zudem die Dual-Use-Forschung stärker ankurbeln und fordern die Kommission auf, zu evaluieren, wie die von der EU geförderten zivile Forschungsergebnisse (Forschungsrahmenprogramm Horizont 2020) auch für den Verteidigungssektor nutzbar gemacht werden können.

Die vom Gipfel angestoßene Neubewertung der Bedrohungslage und die daraus möglicherweise folgende Überarbeitung der Europäischen Sicherheitsstrategie sind zu begrüßen. Seit deren Verabschiedung im Jahr 2003 hat sich die Welt entscheidend verändert und eine aktuelle Evaluation würde eine klarere und für die Zivilgesellschaft transparente Grundlage für strategische Entscheidungen der EU bieten.

Zu begrüßen ist auch das Bekenntnis des Europäischen Rats zur verstärkten Entwicklung ziviler Fähigkeiten und zur Verbesserung der Regelungen für zivile Missionen. Aus friedensethischer Sicht sollte der Schwerpunkt der GSVP auch weiterhin im Zivilen liegen.

Aber auch die Weiterentwicklung der Kooperation unter den Mitgliedsstaaten bei der Beschaffung und Nutzung von Verteidigungsgütern und -fähigkeiten ist durchaus positiv zu sehen. Zum einen lassen sich dadurch signifikante Einsparungen in den Verteidigungshaushalten erzielen, die anderen wichtigen staatlichen Aufgaben zugutekommen können. Zum anderen liegt in der verstärkten Kooperation im Verteidigungssektor auch eine Friedenskomponente, sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis. Je stärker die Kooperation und dadurch bedingte gegenseitige Abhängigkeit, desto unwahrscheinlicher werden jedwede kriegerische Auseinandersetzungen untereinander. Aber auch Kriegseinsätze außerhalb der EU können mit voranschreitender Integration der Verteidigungssysteme nicht mehr von einzelnen Staaten im Alleingang bewerkstelligt werden, sondern hängen von der Beteiligung mehrerer Staaten ab. Dies bedeutet eine gegenseitige Disziplinierung.

Sehr kritisch zu bewerten ist jedoch die vom Europäischen Rat vorgezeichnete stärkere Verbindung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit dem Bereich Justiz und Inneres, insbesondere was den Umgang mit irregulärer Migration angeht. Grenzschutz muss eine zivile Aufgabe bleiben.

Rat, Kommission, Hohe Vertreterin, EDA und Mitgliedsstaaten sind nunmehr aufgefordert, die in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich liegenden Aufträge auszuführen. Auf Grundlage eines diesbezüglichen Fortschrittsberichts des Rats wird sich der Europäische Rat im Juni 2015 wieder mit der GSVP befassen und weitere Handlungsempfehlungen aussprechen. Diese erneute Befassung der Staats- und Regierungschefs bereits eineinhalb Jahre nach dem Gipfel ist weiteres Zeichen für die neue Dynamik in diesem Politikfeld.



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