Ein Ziel statt drei - Die EU-Kommission legt wenig ambitioniertes Klima- und Energiepaket vor

(Anne M. Müller)

Ein deutliches Signal in Richtung von Wirtschaft und Industrie setzt die EU-Kommission mit ihrem am 22. Januar 2014 vorgelegtem Vorschlag zur europäischen Klima- und Energiepolitik. Eine endgültige Entscheidung des Europäischen Rates über den Vorschlag der Kommission ist wohl erst im Oktober diesen Jahres zu erwarten. Die Staats- und Regierungschefs hatten eine Entscheidung bei ihrem Märzgipfel auf einen späteren Zeitpunkt vertagt. Vom Europäischen Parlament wurde bereits bei einer Plenartagung im Februar deutliche Kritik an den Vorschlägen der Kommission geübt.

Im Hinblick auf den UN-Klimagipfel in Lima am 23. September diesen Jahres sowie auf die UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015 hat die EU-Kommission Ziele für den Zeitraum der Jahre 2020-2030 formuliert. Im Wesentlichen soll der europaweite CO2-Ausstoß um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Diese Konzentration auf einen Bereich beutet eine klare Kursänderung im Vergleich zur Strategie bis 2020. Bis dahin folgt die EU einer Dreierstrategie, die für die Mitgliedsstaaten bindend ist: 1. Reduktion von CO2-Emissionen um 20 Prozent (im Vergleich zu 1990), 2. Steigerung des Anteils an erneuerbaren Energien am Energiemix um 20 Prozent und 3. Erhöhung der Energieeffizienz um 20 Prozent.

Die EU-Kommissarin für Klimaschutz, Connie Heedegaard, und ihr Kollege, Energiekommissar Günther Oettinger, haben das neue Klima- und Energiepaket 2030 vorgestellt. Es soll den Weg bereiten für eine in diesem Jahr vom Europäischen Rat zu beschließende gemeinsame europäische Klima- und Energiepolitik. Vor dem Hintergrund des Langzeitziels der EU, bis 2050 ihre Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 1990 um 80 bis 95 Prozent zu verringern, sind folgende Ziele des Kommissionsvorschlags zentral:

1)   Die Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent wird zum einzig verbindlichen Ziel für alle Mitgliedsstaaten und damit zum Zentralziel des Klimapakets und soll ausschließlich durch EU-interne Maßnahmen erreicht werden.

2)   Als Instrument dafür soll u. a. eine Reform des EU-Emissionshandelssystems (EU-EHS) dienen, die eine Marktstabilitätsreserve ab 2021 einführen soll, um den herrschenden Überschuss an Emissionszertifikaten zu regulieren. Nach 2020 sollen jährlich bis zu 12 Prozent der überschüssigen Zertifikate vom Markt genommen werden.

3)   Zwar wird ein Anteil von mindestens 27 Prozent erneuerbarer Energien am Energiemix Europas als EU-weites Ziel genannt. Es bleibt jedoch ein übergeordnetes Ziel, ohne zu einer verbindlichen nationalen EU-Rechtvorschrift erhoben zu werden. Man wolle den Mitgliedsstaaten Flexibilität und Souveränität lassen für ein national angepasstes Energiekonzept, so der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Energiekommissar Günther Oettinger spricht von einer „Europäisierung der Politik auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien". Die Kommission geht davon aus, dass das CO2-Ziel von 40% an sich schon die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien von mindestens 27 Prozent zur Folge haben wird.

4)   Im Hinblick auf die genannten Ziele wird auf die Notwendigkeit einer verbesserten Energieeffizienz lediglich hingewiesen, deren nähere Betrachtung allerdings auf die Ergebnisse der Überprüfung der Energieeffizienzrichtlinie vertagt wird (erwartet für Sommer 2014). Die Mitteilung der Kommission spricht allerdings von einer im Hinblick auf die CO2-Reduktion von 40 Prozent benötigten Energieeinsparung von 25 Prozent bis 2030, also nur 5 Prozent mehr als die bisherigen Zielformulierungen gefordert hatten.

5)   Die Energiewirtschaft der EU soll wettbewerbsorientiert, erschwinglich, sicher, verbraucherfreundlich und nachhaltig gestaltet werden. Ein neuer Satz von Schlüsselindikatoren soll die erzielten Fortschritte mittels eines systematischen Monitoring bewerten, um bis 2030 ein Energiesystem zu schaffen, dass sich u.a. auf Marktintegration, Diversifizierung der Energieversorgung und Wettbewerb sowie auf Forschung und Innovation stützt. Weitere Strategien sollen die Indikatoren ergänzen, beispielsweise verstärkte Anstrengungen im Bereich von CO2-Abscheidung und -Speicherung. Außerdem sind die Mitgliedsstaaten angehalten basierend auf einem gemeinsamen Konzept, nationale Energiepläne zu erarbeiten, um für mehr Investitionssicherheit und Transparenz zu sorgen und die Kohärenz sowie die EU-weite Koordinierung und Überwachung zu verbessern. Dies soll Rechtssicherheit für Investoren gewährleisten sowie die Unabhängigkeit von Energieimporten stärken. Um Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen, sollen Subventionen für ausgereifte Technologien, auch im Bereich der erneuerbaren Energien, im Zeitraum bis 2020-2030 sukzessive abgeschafft werden. Die Kommission erhofft sich durch einen in diesem Sinne reformierten Energiemarkt bis 2030 Kosteneinsparungen von 40-70 Mrd. Euro.

6)   Die größere Flexibilität der Mitgliedsstaaten soll von einem starken Rahmen für die europäische „Governance", d. h. für das Zusammenwirken von staatlichem und zivilgesellschaftlichem Lenkungshandeln, flankiert werden, damit die EU-weiten Ziele mit den nationalen Plänen im Einklang bleiben. Dadurch sollen die weitere Integration des Energiebinnenmarktes und die Verwirklichung eines wettbewerbsorientierten, investitions- und rechtssicheren sowie nachhaltigen Energiesystems gewährleistet werden. Nicht zuletzt soll mit der neuen Klimastrategie die globale Vorreiterrolle der EU in der Energie- und Klimaschutzpolitik gewahrt bleiben. Barroso sieht eine „wirklich europäische Energiepolitik" als Schlüssel für die „Wettbewerbsfähigkeit der EU".

Sowohl von Seiten des Europäischen Parlaments als auch von Nichtgerierungsorganisationen sowie von Kirchen und Umweltverbänden wird das neue Klimaschutzpaket der Kommission äußerst kritisch betrachtet. So wird die fehlende europaweite Verbindlichkeit für die Mitgliedsstaaten im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz bemängelt. Am 5. Februar 2014 votierten 341 Mitglieder des EU-Parlaments für EU-weit verbindliche Klimaschutzziele in allen drei Bereichen: CO2-Reduktion (40 Prozent weniger), erneuerbare Energien (30 Prozent mehr) und Energieeffizienz (40 Prozent Einsparung). Das EP betont dabei, dass die Ziele mithilfe einzelner nationaler Ziele verwirklicht werden sollten, bei denen die Situation und das Potenzial des jeweiligen Mitgliedstaates Berücksichtigung finden müssten. Die verabschiedete Entschließung des Europäischen Parlaments macht deutlich, dass in dem Bereich der Energieeffizienz nach Auffassung der Abgeordneten viel Potential für einen neuen europäischen Drive zum Klimaschutz stecke. Es sieht in der Energieeffizienz sogar einen „der Eckpfeiler der Klima- und Energiepolitik der EU" und weist darauf hin, „dass die Energie, die nicht verbraucht wird, immer noch die günstigste Energie ist." Die Berichterstatterin für den EP-Umweltausschuss, Anne Delvaux (EVP, BE), unterstich das Ineinandergreifen dieser drei Faktoren.

Die kritischen Stimmen sind sich einig: Mit dem vorliegenden Kommissionsvorschlag läuft die EU Gefahr, ihre Vorreiterrolle im Bereich der Energie- und Klimaschutzpolitik einzubüßen. Außerdem wird Berechnungen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zufolge die EU mit ihrer bisherigen Strategie bis zum Jahr 2030 sowieso ihre CO2-Emissionen um 32 Prozent reduzieren. Die im neuen Vorschlag hinzukommenden 8 Prozent bedeuten also quasi einen Stillstand der EU-Klimapolitik. Eine derart niedrige Steigerung sei viel zu wenig im Hinblick auf das ehrgeizige Langzeitziel, bis 2050 mindestens 80 Prozent CO2 einzusparen. Es blieben dann nur noch 20 Jahre, um die restlichen 40 Prozent zu erreichen. Dies aber ist unbedingt notwendig, um das vereinbarte Minimum der Erderwärmung von zwei Grad Celsius zu halten. Deutlich ambitionierte Zielsetzungen werden gefordert: CO2-Reduktion von mindestens 55 Prozent, Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien auf mindestens 45 Prozent und Energieeinsparungen von mindestens 40 Prozent. Auch die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland folgt in ihrem Beschluss vom November 2013 diesen Forderungen und geht im Bereich der erneuerbaren Energien mit einer 75-Prozent-Forderung sogar darüber hinaus.

Die Kommission verteidigt ihre Ein-Ziel-Strategie mit Folgenabschätzungen, die belegen sollen, dass die Konzentration auf die CO2-Reduktion „der kostengünstigste Weg zu einer CO2-armen Wirtschaft ist" und dadurch „bereits für sich zu einem höheren Anteil erneuerbarer Energien und zu höheren Energieeinsparungen führen dürfte".

Positive Reaktionen auf den Kommissionsvorschlag u. a. von Seiten der Industrie weisen auf die jüngsten Schwierigkeiten der Energiewende in Deutschland hin: der starke Ökostromausbau habe zum Verfall der Stromgroßhandelspreise geführt und dafür gesorgt, dass der Preis für Emissionsrechte gesunken sei. Das hatte wiederum zur Konsequenz, dass der Betrieb von Kohlekraftwerken wieder rentabel geworden und der CO2-Ausstoß gestiegen sei. Diese Spirale ließe sich nur durch ständiges Nachjustieren durchbrechen, was wiederum der Wirtschaft die Planungssicherheit nehme. Deshalb sei die Konzentration auf die Reduzierung des CO2-Ausstoßes und den Emissionshandel sinnvoll, zumal letzterer europäisch organisiert sei.

Grundsätzlich festzuhalten ist, dass der Klimawandel verheerende Auswirkungen insbesondere auf Entwicklungsländer hat und haben wird. Aber auch Europa würde die Folgen zu spüren bekommen. Die Europäische Union steht deshalb in der Pflicht, ihre Weltverantwortung wahrzunehmen und entschieden und konsequent gegen den fortschreitenden Klimawandel vorzugehen, statt ihr Handeln von weitgehend ökonomischen Argumenten bestimmen zu lassen.

Die Vertagung der Entscheidung durch den Europäischen Rat auf Oktober dieses Jahres hat die Folge, dass zum UN-Klimagipfel in Lima am 23. September 2014 voraussichtlich keine klare europäische Position vorliegt. Diese Verzögerung gibt Anlass zur Sorge im Hinblick auf das von in Paris 2015 erwartete Kyoto-Nachfolgeprotokoll. Das betont auch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und fordert vom Europäischen Rat, bereits in seiner Juni-Sitzung eine Entscheidung zum Klimapaket zu treffen. Eine Wiederholung der gescheiterten Verhandlungen in Kopenhagen 2009 sollte mit allen Mitteln verhindert werden.



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