Migration und Asyl im Jahr 2011 - Jahresbericht der Europäischen Kommission

(Dr. Anna Donata Quaas)

Die Entwicklungen des Jahres 2011 wirkten sich auch auf die Migrationspolitik aus. Durch die ökonomische Krise wurden Wirtschaft und Wachstum der EU geschwächt und im Zuge des arabischen Frühlings kam es zu einem erhöhten "Migrationsdruck" an den Außengrenzen der EU im Mittelmeerraum und an den Südostgrenzen, so die EU-Kommission am  1. Juni 2012 in ihrem Jahresbericht. Zudem stellte der Missbrauch der seit Ende 2010 bestehenden Visa-Liberalisierung, welche Staatsangehörigen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina eine visumsfreie Einreise in die Schengen-Staaten ermöglichte, die Migrationspolitik vor zusätzliche Probleme.

In der EU leben derzeit 20,2 Millionen Angehörige von Drittstaaten, also 9,4 % aller Migrantinnen und Migranten weltweit. Die Angehörigen von Drittstaaten, von denen prozentual am meisten aus der Türkei, Marokko und Albanien stammen, repräsentieren 4 % der Gesamtbevölkerung der EU.

Neben Menschen, die einen Aufenthaltstitel in der EU gewährt bekommen (2,5 Millionen im Jahr 2010) und solchen Migranten, die als Asylbewerber im Flüchtlingsstatus, unter subsidiärem Schutz oder aus humanitären Gründen ein Aufenthaltsrecht in der EU haben (knapp 60 000 im Jahr 2011), gibt es vagen Schätzungen zufolge in einem Jahr etwa 2 bis 4,5 Millionen irreguläre Migrantinnen und Migranten in die EU.

Dem Bericht der Europäischen Kommission entsprechend soll auf die bestehenden migrationspolitischen Herausforderungen auf dreierlei Weise reagiert werden:

  1. Aufgrund des demographischen Wandels und des Konkurrenzdrucks auf dem internationalen Talentmarkt begrüßt die Europäische Kommission Wirtschaftsmigration ausdrücklich. Mit Hilfe sog. Mobilitätspartnerschaften, die bereits mit der Republik Moldau, Georgien, Kap Verde und Armenien bestehen, soll der ungewünschten Abwanderung von Fachkräften entgegen gewirkt und gleichzeitig der gezielte Einsatz von Fachkräften im Ausland gefördert werden. Verhandlungen zu Mobilitätspartnerschaften mit Ländern des südlichen Mittelmeerraumes und Ghana wurden bereits aufgenommen. Weitere Gespräche mit Ägypten, Marokko und Tunesien sind geplant. Die Abwanderung von Fachkräften soll zudem durch die Förderung des WHO-Verhaltenskodex für die grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften eingedämmt werden, sowie durch die Anwendung der Blue-Card-Richtlinie, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, einen Antrag aus ethischen Gründen, d.h. um die Abwanderung von Fachkräften zu vermeiden, abzulehnen. Ein neu eingerichtetes EU-Zuwanderungsportal (http://ec.europa.eu/immigration/) soll über Möglichkeiten und Bedingungen der Migration in die EU informieren und auf Risiken irregulärer Migration hinweisen. Weitere Maßnahmen zur Förderung von Wirtschaftsmigration in die EU sind die Richtlinie über eine kombinierte Aufenthalts-/Arbeitserlaubnis und die Richtlinienvorschläge für Saisonarbeiter und für konzerninterne Entsendungen.
  2. Laut Bericht der Europäischen Kommission soll die Integration Drittstaatangehöriger weiter gefördert werden. Dass auf dem Gebiet der Integration Handlungsbedarf besteht, illustrieren folgende Zahlen: Die Prozentzahl der Arbeitslosen ist unter Angehörigen von Drittstaaten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung mehr als doppelt so hoch. Während 46,4 % der Drittstaatenangehörigen für ihre Arbeit überqualifiziert sind, trifft dies nur auf 21,2 % der Gesamtbevölkerung zu. Die Integration in den Arbeitsmarkt ist für Angehörige von Drittstaaten besonders dringend, da der Verlust des Arbeitsplatzes häufig den Verlust ihrer Aufenthaltsberechtigung nach sich zieht.
  3. Besonders ausführlich behandelt der Bericht Strategien zur Bewältigung des "Migrationsdrucks" - ein Thema, das aufgrund der irregulären Migrationsströme in Folge des Arabischen Frühlings an den südlichen Außengrenzen der EU (besonders in Italien und auf Malta) sowie an der türkisch-griechischen Grenze an Brisanz gewinnt. Die EU habe "stets großen Wert auf Maßnahmen zur Bekämpfung der irregulären Migration gelegt." Der Ausbeutung der Betroffenen durch Menschenhändler und Schlepper solle ebenso entgegengewirkt werden wie der Tatsache, dass sich Migranten nach Überschreitung der Visumsfrist oder nach Erhalt eines ablehnenden Visumsbescheids weiter in der EU aufhielten. Es müsse sichergestellt werden, "dass die Außengrenzen der EU effizient verwaltet werden und geeignete legale Einreisekanäle vorhanden sind." Beim Schutz der Außengrenzen der EU habe sich die Europäische Agentur Frontex besonders verdient gemacht. Das Budget der Agentur Frontex sei um 30 Mio. Euro aufgestockt worden. In Zukunft soll Frontex verstärkt mit weiteren EU-Agenturen wie dem Europäischen Polizeiamt (EURPOL) und dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) zusammenarbeiten. Zur Bewältigung des Migrationsdrucks soll außerdem einerseits der Dialog und die Kooperation mit Drittstaaten  und andererseits die Solidarität mit Mitgliedstaaten der EU  gefördert werden, die von Migration betroffen sind.
    Der gesteigerte ‚Migrationsdruck‘ in der EU hat zur Folge, dass derzeit über eine Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen der Schengen-Staaten diskutiert wird.

Zeitgleich mit dem Jahresbericht der Europäischen Kommission über Einwanderung und Asyl wurden  im Juni 2012 die Ergebnisse der Meinungsumfrage "Eurobarometer" veröffentlicht, in der die Einstellung europäischer Bürgerinnen und Bürger zu grenzübergreifender Mobilität, Migration und Sicherheit abgefragt wurde. Insbesondere in der Einschätzung der Wirtschaftsmigration zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Europäischen Kommission und den Ergebnissen der Umfrage: Während 42 % der befragten EU-Bürger die Auffassung der Europäischen Kommission teilen, dass Wirtschaftsmigration gefördert werden sollte, um demografische Herausforderungen und den Arbeitskräftemangel zu bewältigen, sind 46 % gegenteiliger Meinung. Von den befragten Deutschen halten sogar nur 38 % die Arbeitskräftemigration aus Nicht-EU-Ländern für notwendig, 49 % hingegen lehnen sie ab.
 
Allerdings sieht laut Umfrage des Eurobarometers die Mehrzahl der befragten EU-Bürger (53 %) Einwanderung als wirtschaftliche und kulturelle Bereicherung an. In Deutschland sind sogar 63 % dieser Meinung.

Integrationsschwierigkeiten von Migranten führen 73 % der Befragten in der EU insgesamt und 86 % der befragten Deutschen primär auf den fehlenden Integrationswillen der Betroffenen zurück. 60 % der durch die Umfrage des Eurobarometers erreichten EU-Bürger und weniger als die Hälfte der befragten Deutschen sind der Meinung, dass Diskriminierung der vornehmliche Grund für Integrationsschwierigkeiten ist. 

Was die irreguläre Migration angeht, sind laut Umfrage des Eurobarometer 80 % der EU-Bürger und 77 %  der Deutschen der Meinung, dass die EU ihre Unterstützung für die Mitgliedstaaten bei der Bewältigung irregulärer Migration verstärken sollte. 80 % der befragten EU-Bürgerinnen und Bürger und 88 % der Deutschen halten es für wichtig, dass Menschen, die dies benötigen, Schutz und Asyl in der EU gewährt werden sollte.



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