Friedensgutachten vorgestellt – kontroverse Diskussion über den Ukraine-Konflikt

(Dr. Johan Wagner)

Die Vorstellung des Friedensgutachtens im Haus der EKD findet mittlerweile traditionell im Rahmen einer Podiumsdiskussion zu einem der in der Analyse behandelten Themenkomplexe statt. Das Friedensgutachten wird einmal im Jahr von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), dem Bonn International Center for Conversion (BICC) und dem Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) herausgegeben. „Europa: Friedensprojekt am Ende?" – der Titel des Gutachtens für 2014 ist als Frage formuliert. Die Diskussion am 6. November 2014 im Haus der EKD nahm diese Frage auf und konzentrierte sich dabei auf den Ukraine-Konflikt.

Zu Beginn des Mittagsevents verwies Oberkirchenrätin Katrin Hatzinger, Leiterin des EKD-Büros , auf die Diskussionen, die die UkraineKrise innerhalb der Europäischen Union ausgelöst hat. „Oft wird darüber debattiert, ob und inwiefern die Europäische Union und die NATO dazu beigetragen haben, den Konflikt eskalieren zu lassen." Vor dem Hintergrund der Empfehlungen des Gutachtens, das Friedensprojekt Europa zu stärken, werde die Podiumsdiskussion diese Debatte fortsetzen.

Dr. Ines-Jacqueline Werkner von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) als Vertreterin des Herausgeberkreises gab daraufhin eine kurze Einführung in die vom Friedensgutachten 2014 behandelten Themen. Sie ging kurz auf die „Aufrüstung an den EU-Außengrenzen" ein und unterstrich, man solle über den Blick nach Osten die Dimension eines möglichen „Flächenbrandes" ausgehend vom Konflikt in Syrien nicht außer Acht lassen. Gerade im Haus der EKD müsse zudem immer wieder eine Frage gestellt werden: „Was ist und was soll die Rolle der Kirche in Konflikten sein?"

Die Einführung in das Spannungsfeld zwischen Krisenmanagement und Eskalationslogik übernahm Privatdozent Andreas Heinemann-Günder von der Universität Bonn, der Autor des Ukraine-Beitrags im Gutachten. Er zählte knapp die zahlreichen verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des Ukraine-Konflikts auf (zum Beispiel Großmachtkonflikt, fragile Staatlichkeit, Fortsetzung der russischen Innenpolitik) und ging hart mit der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union ins Gericht. Seine kritische Haltung insbesondere gegenüber dem „einseitigen" Engagement europäischer Politikerinnen und Politiker im innerukrainischen Konflikt seit dem Beginn der Maidan-Proteste ab November 2013 bildete den Ausgangspunkt für die anschließende Podiumsdiskussion. Zwei Stimmen aus der europäischen Administration konnten dabei ihre persönlichen Einschätzungen zu den Kritikpunkten darlegen, Dr. Michael Köhler, Direktor für EU-Nachbarschaftspolitik bei EuropeAid und Stefan Tressing, Teamleiter für die Beziehungen zur Ukraine beim Europäischen Auswärtigen Dienst.

Max Hofmann, Leiter des Studios der Deutschen Welle in Brüssel, der die Diskussion moderierte, bat zu Beginn um die Einschätzung, ob aus der Rückschau die Europäische Union im Konflikt anders hätte agieren sollen. Stefan Tressing verwies darauf, dass durchaus mit den gewählten Regierungsvertretern enger Kontakt aufrechterhalten worden sei. Dr. Michael Köhler schilderte die Überraschung über die Volte des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, der das lange verhandelte Assoziierungsabkommen im November nicht unterzeichnete, präzisierte gleichzeitig, der Präsident habe das Vertragswerk nicht prinzipiell abgelehnt, sondern mehr Zeit gefordert. Heinemann-Günder wiederholte, dass es auf Seiten der Europäischen Union ein „Antizipationsproblem" gegeben habe.

Bisher habe sich die Europäische Union gegenüber ihren Partnern als Hegemon verhalten. Das habe sich im Fall der Ukraine nicht bewährt: „Wir befinden uns in einer entscheidenden Phase der Assoziierungspolitik." Die Frage sei, ob die EU auch bereit sei, die Kosten dafür zu übernehmen. Die Rolle Russlands sei zu wenig beachtet worden. Moderator Max Hofmann erwies sich bei der Frage, ob die Unterstützung des Anti-Janukowitsch-Lagers in der Rückschau richtig gewesen sei, als konsequenter Nachfrager – Stefan Tressing blieb diplomatisch und verwies darauf, dass er nicht an einen grundsätzlichen Fehler glaube: „Janukowitsch wurde vom gewählten Parlament abgesetzt".

Dr. Michael Köhler zeigte sich überrascht, dass diese Ausrichtung europäischer Außenpolitik nun kritisiert werde. Während des „Arabischen Frühlings" sei der Europäischen Union oft ein umgekehrter Vorwurf gemacht worden. Er glaube nicht, dass die Vorgänge in der Ukraine so einseitig betrachtet werden könnten.

Die kontroverse Diskussion auf dem Podium führte auch nach dem offiziellen Ende noch zu informellen Gesprächen rund um das Thema der europäischen Außen- und Friedenspolitik.



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