EU 2011: Prioritäten der Institutionen

(Patrick Roger Schnabel)

Am 1. Januar 2011 wird Ungarn turnusgemäß die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernehmen – erstmals seit seinem Beitritt. War die Ratspräsidentschaft in der Vergangenheit eine Gelegenheit für die nationalen Regierungen, ihre jeweiligen Prioritäten einige Stufen auf der EU-Agenda nach oben zu setzen, ist die Rolle heute beträchtlich geringer. Zum einen bilden je drei aufeinander folgende Ratspräsidentschaften ein Trio, das sich abstimmt, zum anderen hat der Vertrag von Lissabon mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und der Hohen Beauftragten für die Außenpolitik zwei Posten geschaffen, die wesentliche Rollen wahrnehmen, die bisher der rotierenden Präsidentschaft zufielen.

Dennoch bleibt die mitgliedstaatliche Präsidentschaft wichtig, weil in den meisten Ratsformationen und Ratsarbeitsgruppen durch das jeweilige Präsidium festgelegt wird, welche Themen wann mit welcher Intensität behandelt werden. Deshalb legen alle Ratspräsidentschaften einen Prioritätenkatalog vor, aus dem hervorgeht, welche Projekte die EU im nächsten Halbjahr besonders voranbringen möchte.

Ungarn ist besonders daran gelegen, den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Schengen-Raum voranzubringen – ein Projekt, gegen das die Schengen-Staaten Bedenken haben, da die beiden Länder im Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität noch nicht so weit sind, wie der vollständige Abbau der Grenzkontrollen zur Voraussetzung haben müsste. Hinzu kommen Bedenken in Italien, Frankreich und anderen Staaten insbesondere wegen der dann unbegrenzten Freizügigkeit der dort lebenden Roma-Gemeinschaften. Der ungarischen Regierung ist aber auch daran gelegen, die EU-Initiativen zur Verbesserung der Situation der Roma zu nutzen – nicht zuletzt, weil viele Roma in den beiden Nachbarländern sich eher als Ungarn fühlen.

Auch den Beitritt Kroatiens, der entgegen kroatischen Hoffnungen wohl doch nicht schon unter ungarischer Ägide realisiert werden kann, will Ungarn dennoch so weit wie möglich zum Abschluss bringen, um einen Beitritt bis 2013 zu ermöglichen. Aufgrund der aktuellen Lage werden die Themen einer Wirtschaftsregierung und einer begrenzten Änderung des Lissabon-Vertrags (Euro-Schutzmechanismus) ursprünglich angesetzte Themen wie kulturelle Vielfalt und Wasserverwaltung verdrängen.

Nach einem Treffen mit der ungarischen Regierung am 17. November zeigte sich Kommissionspräsident Barroso sehr zufrieden mit den ungarischen Zielsetzungen. Diese, so Barroso, deckten sich weitgehend mit denen der Kommission, die bereits am 27. Oktober 2010 in Brüssel vorgestellt worden waren.

Fünf Bereiche sollen nach dem Willen der Kommission 2011 besonders bearbeitet werden:
  Das ist zunächst die Konsolidierung der sozialen Marktwirtschaft über die Krise hinaus, insbesondere durch die Umsetzung angedachter Finanzmarkt- und Finanzdienstleistungsreformen.
  Dann soll das Wachstum durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze wieder belebt werden. Unter diese Priorität fallen so unterschiedliche Einzelmaßnahmen wie die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen, die Verbesserung der Energieeffizienz, eine Initiative für eine soziale Unternehmenskultur und der Abschluss der Verhandlungen um die zu revidierenden Entsende- und Arbeitszeitrichtlinien.
  In den Bereichen Freiheit, Sicherheit, Recht – also Innen- und Justizpolitik – sollen besserer Verbraucherschutz, mehr Einheitlichkeit im Vertragsrecht, aber auch neue Vorschriften in der Katastrophenvorsorge vorangebracht werden.
  Etwas übergreifender ist das Vorhaben, „ergebnisorientiertes Denken zur optimalen Nutzung der EU-Politik“ zu verbessern. Hier geht es hauptsächlich um Finanzplanung und bessere Rechtsetzung.
  Schließlich will die Kommission das ihre dazu beitragen, die Präsenz Europas auf der internationalen Bühne zu verbessern. Dabei will sie sich insbesondere auf die Begleitung des Aufbaus des EAS (s. voranstehender Artikel), aber auch entwicklungspolitische Maßnahmen konzentrieren.

Der Kommissionsmitteilung ist, wie schon in den vergangenen Jahren, ein Anhang mit 40 strategischen Initiativen für 2011, 140 Initiativen in dieser Legislaturperiode sowie eine Liste mit Vorschlägen zur Vereinfachung des EU-Rechts bzw. zurückgezogenen Vorschlägen für neue Rechtsakte beigefügt. Aus dem Anhang können en detail alle legislativen und nicht-legislativen Vorschläge entnommen werden, die unter die beschriebenen Arbeitsfelder fallen.

Die Internetpräsentation der ungarischen Ratspräsidentschaft findet sich bald unter:
http://www.eutrio.hu/

Das Arbeitsprogramm der Kommission und die Anhänge finden Sie unter:
http://ec.europa.eu/atwork/programmes/index_de.htm



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