Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Aktuelle Entwicklungen in den Beitrittsverhandlungen

(Patrick Roger Schnabel)

 

Kroatien

Am 7. Juni 2010 stimmte eine knappe Mehrheit der Slowenen (51,5%) in einem Referendum der von der Regierung ausgehandelten Kompromisslösung im Grenzstreit mit Kroatien zu. Damit ist eine weitere wesentliche Hürde für den erfolgreichen Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik ausgeräumt. Am 30. Juni 2010 wurden mit den Bereichen Justiz und Grundrechte, Wettbewerb sowie Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik die letzten drei Kapitel der Beitrittsverhandlungen eröffnet. Großen Handlungsbedarf sieht die EU insbesondere im ersten der drei Felder, da der Balkanstaat immer noch enorme Probleme mit der Korruption hat. Nachdem man in diesem Bereich bei anderen Staaten auf Verbesserung nach dem Beitritt gehofft hatte – und dann feststellte, die entscheidenden Druckmittel verloren zu haben – wird der Korruptionsbekämpfung vermutlich eine besondere Bedeutung beigemessen. Dennoch plant die Regierung in Zagreb, den Beitritt noch im Jahr 2011 unter Dach und Fach zu bringen.

 

Island

Am 17. Juni 2010 verständigte sich der Europäische Rat darauf, grünes Licht für die Beitrittsverhandlungen mit Island zu geben. Obwohl der westeuropäische Inselstaat der EU so nahe steht wie kein anderer der Beitrittskandidaten – Island ist bereits Mitglied der EFTA und des Europarates – war schon dieser Auftakt von Diskrepanzen überschattet. War die Beitrittsbegeisterung der Isländer in der direkten Folgezeit der Finanzkrise noch groß, deuten jüngere Umfragen darauf hin, dass eine deutliche Mehrheit der Insulaner (58%) dem Prozess nun negativ gegenüber steht. Die skeptische Haltung hat wohl zwei Ursachen: Zum einen betrachten die Niederlande und das Vereinigte Königreich ihren Streit mit Island über die Rückzahlung von Verpflichtungen aus der Pleite der Icesave-Bank, die mit zur Finanzkrise geführt hatte, nicht nur als bilaterale Auseinandersetzung, sondern sehen gemeinschaftliche Rechtsprinzipien berührt. Beide Länder hatten rund 3,8 Mrd. Euro Entschädigung an Inhaber von Icesave-Konten gezahlt, die sie nun von Island zurückfordern. Nach den geplanten Modalitäten würde das aber jeden Haushalt des 300.000-Einwohner-Staates mit gut 48.000 Euro belasten. Die Isländer hatten die Rückzahlungsvereinbarung daher im März mit überwältigender Mehrheit (über 93%) abgelehnt. Nun muss die Regierung nach neuen Wegen suchen, die Gläubiger zu besänftigen. Der andere Streitpunkt ist die Fischerei. Die Isländer wünschen sich eine dauerhafte Befreiung von den Regeln der Gemeinsamen Fischereipolitik, um sich die Fangrechte in ihren Gewässern vorzubehalten. Auch beim in Island erlaubten, in der EU verbotenen Walfang beharrt man auf Ausnahmen. Da die EU wohl keine so gravierenden Abweichungen vom acquis communautaire, dem gemeinschaftsrechtlichen Besitzstand, zulassen wird – zumal Staaten wie Spanien, die im Rat zustimmen müssen, gerade auf die Erweiterung der Fischgründe für ihre Flotten spekulieren – dürften die Verhandlungen schwieriger werden, als es die bestehenden Gemeinsamkeiten erwarten ließen.

 

Türkei

Am 30. Juni 2010 haben sich die Mitgliedstaaten darauf verständigt, ein weiteres Kapitel (Kapitel 12: Lebensmittelsicherheit sowie Veterinär- und Pflanzenschutzpolitik) in den Verhandlungen mit der Türkei zu öffnen. Damit sind nun zwölf Kapitel geöffnet, acht bleiben weiter gesperrt, solange die Türkei nicht den gesamten Mitgliedstaat Zypern anerkennt. Befürworter eines Türkei-Beitritts, sowohl innerhalb der Union (etwa Spanien oder das Vereinigte Königreich), als auch außerhalb (insbesondere die USA), drängen die EU schon seit längerem, die Beitrittsverhandlungen zügig fortzusetzen. Die jüngsten politischen Signale aus Ankara sowohl in der Annäherung zum Iran als auch die öffentlich ausgetragenen Spannungen mit Israel, werden hier durchaus als Reaktion der Türkei auf die schleppenden Verhandlungen betrachtet. Das Tempo, mit dem die Beitrittsverhandlungen mit Island begonnen wurden, wird in der Türkei zudem als Bestätigung der These betrachtet, dass die EU Kandidatenländer mit zweierlei Maß messe. Allerdings sind diese Analysen nicht die einzig möglichen. Das Bestreben Ankaras, die Türkei als einflussreiche Regionalmacht mit einem eigenständigen außenpolitischen Profil zu etablieren, kann auch als Parallelentwicklung zur EU-Integration interpretiert werden. Auch die EU27 spricht ja außenpolitisch nicht mit einer Stimme, und unterschiedliche Regionalinteressen sind in der jeweiligen Außenpolitik deutlich. Messlatte des Integrationswillens der Türkei ist einzig die Implementierung der Anpassungsgesetze. Hier muss man der Regierung Erdogan bisher eher mehr Engagement zuerkennen als ihren Vorgängern. Und auch in Ankara weiß man, dass der Weg noch lang ist – allerdings wachsen die Zweifel in der Türkei, dass am Ende des Weges wirklich ein offenes Tor in die EU steht. Eine Zustimmung aller Mitgliedstaaten wäre, zumindest im Moment, nicht realistisch. Vor allem muss auch das Kriterium der Aufnahmefähigkeit der EU zunächst erfüllt sein.

 

Nähere Informationen finden Sie unter:

http://ec.europa.eu/



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