Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Großer Widerstand von Mitgliedstaaten gegen Reform des europäischen Asylrechts

(OKR'in Katrin Hatzinger)

 

Die Belgier haben die Schaffung eines gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu einem Schwerpunkt ihre Präsidentschaft erklärt, Innenkommissarin Cecilia Malmström hat die Konsolidierung einer echten gemeinsamen Asyl- und Einwanderungspolitik zu Ihrer Top-Priorität erhoben, aber die Mitgliedstaaten scheint das wenig zu beeindrucken, wie zuletzt auf dem informellen Treffen der Justiz- und Innenminister in Brüssel am 15. und 16. Juli 2010 deutlich geworden ist.

 

Dort wurde über das Thema diskutiert, wie bis zum Jahr 2012 ein gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) zu etablieren sei. Die belgische Ratspräsidentschaft machte deutlich, dass ein GEAS Zugang zu einem effektiven Asylverfahren bieten und auf Solidarität und Verantwortung beruhen müsse. Die EU-Kommission hat dazu eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt, um die Asylstandards in der EU zu erhöhen, Gesetzeslücken zu schließen und die Rechtsprechung von Europäischem Gerichtshof und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte umzusetzen (EKD-Europa-Informationen Nr. 131). Doch das Echo auf die Verbesserungsvorschläge hält sich in Grenzen. Besonders schwierig und zäh gestalten sich die Verhandlungen mit dem Ministerrat zu den Vorschlägen für die Asylverfahrensrichtlinie vom Oktober 2009 und der sog. Anerkennungsrichtlinie, die bereits im Dezember 2008 vorgestellt wurde.

 

Deshalb will die belgische Ratspräsidentschaft diese Kommissionsvorschläge zunächst aus den Verhandlungen ausklammern; Spielraum gibt es wohl noch in den Verhandlungen zur Überarbeitung der Dublin II-Verordnung (VO), der Qualifikationsrichtlinie und der Daueraufenthältigenrichtlinie sowie den Eurodac-Verordnungen. Der Vorschlag zur Revision der Dublin VO sieht u.a. vor, dass das Rücküberstellungsverfahren ausgesetzt werden kann, wenn der zur Prüfung des Asylantrags verpflichtete Staat überlastet ist. Diese Idee, die von Kirchen und Menschenrechtsorganisationen begrüßt wird, bewerten die Mitgliedstaaten kritisch. Der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium Ole Schröder betonte auf dem informellen Treffen der Justiz- und Innenminister in Brüssel, eine Aussetzung des Dublinsystems könnte als Pull-Faktor wirken. Generell gehe es um Qualität, nicht um Schnelligkeit. Das Ziel bis 2012 ein GEAS zu etablieren, sei unrealistisch. Aber Deutschland steht mit seiner skeptischen Haltung nicht alleine da, u.a. Frankreich, Polen und Österreich sehen große Schwierigkeiten bei einer Harmonisierung und befürworten die Beibehaltung der bisherigen Regelungen. Diese tragen jedoch dazu bei, dass sich etwa die Anerkennungsquote von Flüchtlingen immer noch massiv von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheidet. Einig sind sich die Staaten lediglich darin, dass das künftige Europäische Asylunterstützungsbüro eine wichtige Rolle bei der besseren Koordinierung der praktischen Zusammenarbeit biete und überlastete Mitgliedstaaten unterstützen könnte.

 

In einer gemeinsamen Stellungnahme haben christliche Organisationen am 16. Juni 2010 die Vorschläge der EU-Kommission zur Überarbeitung von Asylverfahrensrichtlinie und Qualifikationsrichtlinie weitestgehend begrüßt. Die EKD hat über die Brüsseler Dienststelle des Bevollmächtigten an der Stellungnahme mitgewirkt. In dem Papier treten die Organisationen, wie die Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME), der Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS), COMECE und Caritas Europa den Bedenken der Mitgliedstaaten entgegen, die Kommissionsvorschläge kämen verfrüht bzw. würden den Mitgliedstaaten enorme Folgekosten aufbürden. Zwar sei es richtig, dass es weiterhin angebracht ist, die europarechtskonforme Anwendung der bestehenden Asylrechtsinstrumente zu überprüfen und ggf. Mitgliedstaaten mit einem Vertragsverletzungsverfahren zu drohen, wenn sie die Mindeststandards nicht umsetzen. Andererseits habe es eine Reihe von Evaluierungen der Erfahrungen mit den beiden in Frage stehenden Richtlinien gegeben, die klar bestehende Schutzlücken benennen und die Notwendigkeit aufzeigen, die Kohärenz zwischen den Asylrechtsinstrumenten zu verbessern. Da die Vorschläge der Kommission bestehende Rechtsunsicherheit abstellen, z.B. Verfahren vereinfachen und damit zu mehr Rechtsklarheit beitragen, reduzieren sie die Wahrscheinlichkeit von Rechtsstreitigkeiten, sind also eher kostensparend.

 

Hinsichtlich des Vorschlags zur Qualifikationsrichtlinie begrüßt die Stellungnahme die Aufhebung der Unterschiede der Rechte von Flüchtlingen und subsidiär Geschützen, insbesondere was den Zugang zum Arbeitsmarkt, Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung und Integrationsmaßnahmen anbelangt. Die Präzisierung einer Reihe von Rechtsbegriffen, mit denen die Schutzgründe definiert werden, wie „Akteure, die Schutz bieten können“, „interner Schutz“ und „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ seien positiv zu beurteilen, ebenso wie die zahlreichen Verbesserungen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge.

 

Die Änderungen an der Asylverfahrensrichtlinie enthalten wichtige Verfahrensgarantien, wie das Recht auf ein persönliches Interview, das Recht auf kostenlose Rechtsberatung in der ersten Instanz, die obligatorische aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine negative Asylentscheidung sowie speziellen Rechtsschutz für Antragssteller mit besonderen Bedürfnissen. Die Vorschläge zur effizienteren Antragsprüfung werden begrüßt. In diesem Zusammenhang heben die christlichen Organisationen das besondere Augenmerk hervor, das die Kommission der speziellen Situation von besonders Schutzbedürftigen einräumt, wobei manche Formulierungen noch präzisiert werden könnten. Eine klare Verbesserung liege aber darin, dass das Interesse des Kindes bei der Anwendung der Richtlinie künftig im Mittelpunkt stehen sollte und die Rechte von Minderjährigen gestärkt werden sollten.

 

Ein weiterer positiver Aspekt des Kommissionsvorschlags ist, dass die Ausbildung von Grenzschutzbeamten, Polizisten und Beamten von Einwanderungsbehörden im internationalen Flüchtlingsrecht in den Blick genommen wird. Angesichts des Phänomens der gemischten Migrationsströme aus Migranten und Flüchtlingen ist diese Neuerung sehr bedeutsam. Die Stellungnahme fordert, dass an Grenzposten auch Sozialdienste angesiedelt werden sollten, die zu einer schnellen Bearbeitung der Fälle beitragen könnten. Was ein gemeinsames Verfahren für Flüchtlinge und subsidiär Geschützte anbelangt, wird noch einmal darauf verwiesen, dass dieser Schritt die Gewährung internationalen Schutzes nicht beeinträchtigen dürfe.

 

Schließlich begrüßen die Unterzeichner die Vorschläge, die es ermöglichen sollen, gegen das Konzept des sog. sicheren Dritt- bzw. sicheren Herkunftsstaates Rechtsschutz geltend zu machen. Kirchen und Menschenrechtsorganisationen hatten diese Regelung scharf kritisiert, im Wege der sicheren Dritt- bzw. Herkunftsstaatenregelung die Verantwortung für die Flüchtlingsaufnahme an ärmere Staaten außerhalb der EU zu delegieren. Da das Sichere Drittstaatenkonzept trotz der angebrachten Verbesserungsvorschläge hoch problematisch bleibt, zudem kaum angewandt wird und auch die Frage, welcher Drittstaat sicher sei, unter den EU-Mitgliedstaaten uneinheitlich beantwortet wird, sei es am besten, das Konzept künftig ganz aus der Richtlinie zu streichen. Die Vorschriften über das beschleunigte Verfahren und Grenzverfahren seien weiterhin unzureichend, insbesondere fehle es an entsprechenden Verfahrensgarantien.

 

UNHCR und ECRE haben sich in öffentlichen Stellungnahmen ähnlich positioniert. Es bleibt zu hoffen, dass die Plädoyers für mehr Flüchtlingsschutz vom Europäischen Parlament aufgegriffen und verstärkt und von der belgischen Ratspräsidentschaft engagiert vorangetrieben werden, aber die Zeichen stehen derzeit leider eher auf Stillstand.

 

Die Stellungnahme der christlichen Organisationen finden Sie unter: http://www.ccme.be/



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