Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Vor Cancún: Die EU ringt um eine gemeinsame Position zur CO2-Reduktion

(Patrick Roger Schnabel)

 

Am 26. Mai 2010 hat die Europäische Kommission die EU-interne Diskussion um eine Verbesserung der eigenen Klimaziele neu angestoßen – ohne dabei selbst eine klare Position zu beziehen. Zwar legte sie eine ausführliche Studie vor, die die Vorteile einer vorbehaltlosen Reduktion um 30% statt der bisher beschlossenen 20% bis 2020 belegt. Sie fügte aber die Einschätzung hinzu, dass die Zeit für einen solchen Schritt noch nicht reif sei.

 

Dabei sprechen alle Fakten, die die Kommissionsstudie liefert, für einen solchen Schritt:

 

§  So haben sich nach den neueren Berechnungen die Kosten der höheren Emissions-Reduktion seit 2008 auf nur noch 81 Mrd. Euro p.a. verringert. Damit liegen sie jetzt nur noch 11 Mrd. Euro über den ursprünglich für das 20%-Ziel veranschlagten Kosten von 70 Mrd. Euro. Die Kosten der geringeren Reduktion sind inzwischen auf 48 Mrd. gefallen.

§  Das 20%-Ziel, ursprünglich auch als Anreiz für die Wirtschaft gedacht, auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft umzustellen, hat durch die geringeren Kosten an Wirksamkeit verloren.

§  Andere Staaten holen rasant im Technologiewettbewerb der „grünen Wirtschaft“ auf und drohen, die EU-Staaten auszustechen.

§  Die von vielen befürchtete Abwanderung energieintensiver Industrien (carbon leakage) wäre nur sehr marginal – auch, weil andere Staaten ebenfalls beginnen, Emissionsvorschriften zu erlassen.

 

Auch der Hintergrund der Neuberechnungen spricht für das ambitioniertere Ziel: Zwar verdankt sich der Rückgang der Kosten auch dem Rückgang der Emissionen, der wiederum der Wirtschaftskrise geschuldet war. Aber die Krise hat auch neue Investitionen in grüne Technologien verhindert, die in einem günstigeren Wirtschaftsklima stattgefunden hätten – insofern wäre auch ohne die Krise mit einem Rückgang der Emissionen zu rechnen gewesen.

 

Schließlich ist es ein Verdienst der Studie, den Blick auf gewisse positive Entwicklungen der Klimapolitik gelenkt zu haben, die oft untergehen, weil sich die Aufmerksamkeit auf die Frage eines rechtlich verbindlichen Kyoto-Folgeabkommens im Rahmen der Weltklimakonferenzen richtet. Dort fallen Staaten wie die USA, aber auch China und Indien mit ihrer Blockadehaltung negativ auf. Dennoch wäre es falsch, aus der politischen Blockade auf ein völliges Fehlen umweltpolitischer Maßnahmen zu schließen: So investierte allein China im letzten Jahr 10 Mrd. US-Dollar mehr in saubere Energien als die EU.

 

Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass die Kommission die Vorstellung der Studie nicht zum Anlass nahm vorzuschlagen, die Konditionierung der Erhöhung auf ein 30%-Ziel, sofern andere Hauptemittenten vergleichbare Ziele beschließen, aufzuheben und durch einen unilateralen Absenkungsbeschluss zu ersetzen. Das Zögern mag darauf zurückzuführen sein, dass in der Krise viele Regierungen ökonomische vor ökologische Kriterien setzen. Doch sind es ja auch gerade ökonomische Aspekte, die die Stärke der Studie ausmachen. Entsprechend äußerten sich auch die Umweltminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens, die gemeinsam davor warnten, dass Europa den Anschluss an wichtige Zukunftstechnologien verlieren könnte, wenn es sich nicht auch einseitig auf das 30%-Ziel verpflichtet.

 

Spätestens im Oktober wollen die Umweltminister wieder über das Thema beraten. Bis dahin soll die Kommission nach dem Willen der Mitgliedstaaten zunächst noch genauere Analysen vorlegen, vor allem länderspezifische. Dahinter stecken die Befürchtungen der Staaten mit viel Schwerindustrie, dass die insgesamt „marginalen“ Auswirkungen eines carbon leakage bei ihnen doch signifikant zu Buche schlagen könnten.

 

Die Diskussion kommt in einer Zeit, in der die offiziellen „Weltklimaverhandlungen“ immer mehr ins Stocken geraten. Das verdeutlicht, in welchem Maß unilaterale Entscheidungen an Bedeutung gewinnen. Das mag bedauerlich sein, scheint aber die politische Realität widerzuspiegeln. Beispiele wie China zeigen aber auch, dass trotz der politischen Widerstände der wirtschaftliche Wettbewerb längst begonnen hat – während der Krise.

 

Wenig hilfreich ist es dabei, wenn die Mitgliedstaaten schon intern uneins sind: Die deutsche Position in Brüssel scheint davon abzuhängen, ob der Wirtschafts- oder der Umweltminister vor Ort ist. Aus Frankreich gab es ähnlich widersprüchliche Signale. Die unklare Haltung Berlins ist umso unverständlicher, als die Bundesregierung für Deutschland ohnehin das viel höhere 40%-Reduktionsziel bis 2020 beschlossen hat. Geht es um Wettbewerbsvorteile innerhalb der EU? – Dann wäre das Thema schlecht gewählt. Und: Wie soll es in der EU27 je eine Entscheidung geben, wenn schon die Progressiven zögerlich auftreten?

 

Die Kommissionsstudie finden Sie unter: http://ec.europa.eu/



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