Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Europa-Informationen Nr. 131

... was lange währt: Der Vertrag von Lissabon tritt zum 1. Dezember 2009 in Kraft

(OKRin Katrin Hatzinger)

Mit der Unterzeichnung der Ratifizierungsurkunde durch den tschechischen Präsidenten Václav Klaus am 3. November 2009 und deren Hinterlegung in Rom war es vollbracht: die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon in den 27 Mitgliedstaaten der EU war abgeschlossen. Klaus hatte nach langem Zaudern und Taktieren als letzter Staatschef seine Zustimmung zu dem Reformvertrag erteilt, der die EU demokratischer, transparenter und bürgernäher machen soll. Nun kann das Vertragswerk, das einmal als Verfassung für Europa gedacht und zwischenzeitlich von vielen bereits totgesagt war, zum 1. Dezember 2009 in Kraft treten.

Durch den Vertrag wird die Europäische Union auf eine neue Grundlage gestellt und es ergeben sich zahlreiche Änderungen, wobei die Schaffung der neuen Ämter des Präsidenten des Europäischen Rates und der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik sicherlich die markantesten und für den Bürger auffälligsten sind.

Rechtlich ist der  Reformvertrag eine Änderung des bestehenden EU- und EG-Vertrags. Der EG-Vertrag  heißt jetzt "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV).

Neben den neuen Spitzenämtern ändert sich aber auch das Kräfteverhältnis zwischen Europäischem Parlament (EP) und Rat der Europäischen Union, in dem i.d.R. die Fachminister für die Mitgliedstaaten über europäische Gesetzgebung entscheiden. Das Mitentscheidungsverfahren beider Organe wird mit Lissabon zum Normalfall, das Parlament damit gleichberechtigter Gesetzgeber. Auch die Regeln den Haushalt betreffend wurden überarbeitet; auch hier wird das Parlament dem Ministerrat gleichgestellt. Für den Rat selbst gilt künftig in den meisten Fällen das Mehrheitsprinzip. Dadurch eröffnen sich z.B. neue Spielräume in der Einwanderungspolitik. Der Wechsel zum Mehrheitsprinzip bedeutet nämlich, dass besonders zuwanderungskritische Regierungen entsprechende europäische Gesetzvorhaben nicht mehr per Einzelveto blockieren können. Im Übrigen gilt ab 2014 das Verfahren der „doppelten Mehrheit“, das den Entscheidungen des Rates mehr Legitimität verleihen soll. Ein Mehrheitsbeschluss muss von mindestens 55 % der Staaten getragen werden, die wiederum mindestens 65 % der EU-Bevölkerung abbilden müssen.

Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Ratifizierung eines entsprechenden Zusatzprotokolls durch alle Mitgliedsländer wird das EP 18 Abgeordnete aus 12 EU-Mitgliedsstaaten mehr zählen. Die Geschäftsordnung wurde nun dahingehend geändert, dass die künftigen Abgeordneten bis dahin als Beobachter an den Arbeiten des EP teilnehmen können, jedoch ohne Stimmrecht. Mit der nächsten Europawahl in knapp fünf Jahre wird sich die Zahl der deutschen Abgeordneten von 99 auf 96 verringert.

Ursprünglich sah der Vertrag von Lissabon, ebenso wie der Verfassungsvertrag, an den er stark angelehnt ist, die Verkleinerung der Kommission ab 2014 vor. Insbesondere vor dem Hintergrund der anfänglichen Ablehnung des Reformvertrags durch die Iren, wurde dieses Ansinnen aufgegeben. Es bleibt dabei, dass sich die Kommission aus je einem Vertreter pro Mitgliedstaat zusammensetzt.

Zur Sicherung des Subsidiaritätsgrundsatzes haben nationale Parlamente künftig die Möglichkeit, neue EU-Gesetzgebung direkt zu überprüfen, wenn sie der Auffassung sind, die EU habe ihre Kompetenzen überschritten. Bei Kritik von einem Drittel der Parlamente muss die Kommission ihren Vorschlag überprüfen. Sie kann den Einwand der Parlamente auch zurückweisen, muss ihre Entscheidung aber in jedem Fall begründen.

Mit dem Instrument der Bürgerinitiative können eine Million Bürger aus einer „erheblichen“ Anzahl verschiedener Mitgliedstaaten die Kommission auffordern, zu einem bestimmte Thema neue Gesetzgebungsvorschläge im Rahmen ihrer Kompetenz zu unterbreiten. Die genaue Ausgestaltung dieses Instruments direkter Demokratie soll im Wege einer Verordnung festgelegt werden. Derzeit diskutiert die Kommission im Rahmen einer Konsultation praktische Fragen zur bestmöglichen Umsetzung des Instruments (siehe nachstehender Artikel). Interessant ist auch, dass der Vertrag von Lissabon erstmals die Möglichkeit zum Austritt eines Mitgliedstaates aus der Union vorsieht.

Schließlich verleiht der Reformvertrag der Grundrechtecharta Rechtsverbindlichkeit. In der Charta sind politische, wirtschaftliche, soziale und Bürgerrechte geregelt, u.a. auch die Religionsfreiheit. Allerdings sind Polen, Großbritannien und die tschechische Republik ihr nicht beigetreten. Mit dem Vertrag von Lissabon wird außerdem die Möglichkeit des Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschaffen. Dies war zuvor immer an der mangelnden Rechts-persönlichkeit der EU gescheitert. Um den Beitritt zu vollziehen, muss nun noch die EMRK entspre-chend ergänzt und ein Beitrittsabkommen ausge-handelt werden.

Mit dem 1. Dezember 2009 tritt die Europäische Union nach einer teils lähmenden Phase der Verfassungsdebatte (begonnen 2001 auf dem Europäischen Konvent), bestimmt von Rückschlägen (ablehnende Referenden in den Niederlanden, Frankreich und Irland), und zäher Reflexion in die Ära des Vertrages von Lissabon ein. Aus Jahren der institutionellen Krise und der ermüdenden Nabelschau bewegt sich Europa jetzt hoffentlich wieder in eine Phase politischen Gestaltungswillens und konkreter Projekte. Die Themen liegen jedenfalls auf der Straße: Finanz- und Wirtschaftskrise, Klimawandel, Europas Rolle in der Welt, Demographischer Wandel, Einwanderung etc.

Mit dem nunmehr rechtsverbindlichen Art. 17 III des AEUV ist jedenfalls sichergestellt, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaft im Dialog mit den EU-Institutionen die Zukunft der EU „durch ihren besonderen Beitrag“ mitgestalten können. Sie werden ihre Chance nutzen.

Weitere Informationen finden Sie hier:
http://europa.eu/lisbon_treaty/index_de.htm



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