Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Europa-Informationen Nr. 131

"Weltklimagipfel" in Kopenhagen: die Menschheit muss geschlossen handeln

(Patrick Roger Schnabel)

Vom 7. bis 18. Dezember 2009 findet in Dänemark die wohl bisher wichtigste UN-Klimarahmenkonferenz statt: Auf ihr soll ein Nachfolgeprotokoll für Kyoto beschlossen werden, das für den Zeitraum ab 2012 eine radikale Reduktion des weltweiten CO2-Ausstoßes vorsehen soll. Nachdem führende Klimaforscher in den letzten Monaten ihre ohnehin schon düsteren Prognosen korrigiert und einen noch gravierenderen Klimawandel mit noch katastrophaleren Folgen vorausgesagt haben, schaut nun wirklich die ganze Welt nach Kopenhagen.

Allerdings zeichnet sich auf politischer Ebene ein ganz anderes Bild ab: Einen verbindlichen Rechtstext, so ist seit längerem aus UN-Kreisen zu hören, werde man wohl nicht verabschieden können. Verfestigt hat sich diese Befürchtung auf dem Gipfel der Pazifik-Anrainerstaaten im November. Dort wurde einer internationalen Verpflichtung zu diesem Zeitpunkt von der Mehrheit der Teilnehmer eine Absage erteilt. Der dänische Premier Lars Løkke Rasmussen eilte noch in letzter Minute nach Singapur, um wenigstens dies auszuhandeln: Die Verhandlungen im Dezember sollen ein politisches Rahmenabkommen bringen, auf dessen Grundlage 2010 das völkerrechtliche Protokoll ausgearbeitet werden soll. Ein Zwei-Phasen-Modell. Seitdem gibt es widersprüchliche Signale: Mal heißt es, Kopenhagen müsse ein Höchstmaß an Verbindlichkeit bringen, mal soll es eher der Startschuss für weitere Verhandlungen sein. Inzwischen haben die beiden größten Verschmutzer, die USA und China, immerhin Zahlen genannt, wenn auch weit unter dem Notwendigen.

Weil öffentliche Meinung und politischer Wille so weit auseinanderliegen, wirkt die Politik momentan eher bemüht, die Schuldigen an der Misere auszumachen: vor allem die USA, aber auch einige der großen Schwellenländer. Die Entwicklungsländer hingegen kritisieren die Finanzzusagen – auch der EU. Dabei ist längst klar, dass die Welt eine weitreichende, globale Lösung braucht – und zwar schnell. Das Zeitfenster, den Klimawandel noch begrenzen zu können, wird mit jedem Jahr enger, die Kosten jeweils höher, sowohl in den erforderlichen Investionen als auch durch die zu beseitigenden Schäden des Klimawandels.

Warum die Zeit drängt
Zwar unterscheiden sich die Zahlen der einzelnen Gutachten – doch einig sind sich inzwischen (fast) alle: Der Klimawandel kommt, er kommt schneller als gedacht, und der menschliche Anteil daran ist erheblich. Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie die Erde im Mittel. In den letzten 20 Jahren ist das Sommereis unerwartet stark – um fast 40 % – geschrumpft. Der Meeresspiegel ist seit 1990 um 3,4 mm statt nur 1,9 mm pro Jahr angestiegen. Neueste Prognosen gehen von ½ Meter bis 2050 aus – mit 18 Billionen € Folgeschäden allein in den größeren Küstenstädten. Bis zur Jahrhundertwende könnte der Anstieg 75-190 cm betragen – doppelt soviel, wie der Weltklimarat IPCC erst vor zwei Jahren berechnet hatte. Das menschliche Leid, wenn hunderte Millionen Küstenbewohner zum Exodus gezwungen sind, ist unabsehbar – und wird an den Grenzen Europas nicht halt machen.

Die Ursachen beschränken sich nicht auf die industriellen CO2-Emissionen. Zwar sind diese seit 2000 um 29 % gestiegen, machen aber nur 41 % der Verdreifachung des Anstiegs seit 1990 aus. Etwa aus der Trockenlegung von Mooren werden allein in der EU jährlich 174 Mio. Tonnen CO2 freigesetzt – nur Indonesien setzt auf diese Weise mehr frei. Selbst bei einer Verwendung als Anbaufläche von Biospritprodukten ist die Emissionsbilanz negativ. Die Verbrennung von Torf emittiert nicht nur direkt, sondern vernichtet wichtige Kohlenstoffspeicher. Für Abholzungen gilt ähnliches. Werden die zerstörten Gebiete landwirt-schaftlich genutzt, insbesondere für Rinderfarmen, ist auch noch die Methanproduktion einzurechnen. Und Methan ist 21-23 mal klimawirksamer als Kohlendioxid und trägt zwischen 20 % und 30 % zum Treibhauseffekt bei. Alles in allem belastet die Rinderzucht das Klima auf diese Weise so wie alle Menschen Indiens, Deutschlands und Japans zusammen. Der Transport zu Lande, zu Wasser und in der Luft ist ein weiterer wichtiger Klima-schädiger.

Einmal angestoßen, wird die Erwärmung durch Rückkopplungseffekte verstärkt: Schwindende Eisflächen reflektieren weniger Strahlung zurück ins All; wärmere Ozeane haben eine geringere CO2-Absorptionskapazität; wärmere Tundren setzen lange gespeichertes CO2 frei. Die Folgen sind ungewiss: In den Polargebieten gab es erdgeschichtlich so hohe Temperaturen, dass sie sich mit aktuellen Computersimulationen nicht errechnen lassen. Diese Ungenauigkeit könnte an solchen „feedbacks“ liegen, da wir zu wenig über sie wissen, um entsprechende Parameter zu ergänzen. Die so bedingte zusätzliche Erwärmung kann bei bis zu 75 % liegen, warnten Forscher schon 2006.

Grüner Wandel ist eine lohnende Investition
Deshalb ist es wichtig, die Maßnahmen einzuleiten, bevor die Eindämmung des Klimawandels unkontrollierbar und die Beseitigung seiner Schäden kaum bezahlbar wird. So rechnet etwa das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung vor, dass die nötigen Investitionen in eine klimaschonende Energieproduktion jedes Jahr um 500 Mio. $ steigen. Darum ist es auch ökonomisch sinnvoll, fest auf die Bremse zu treten. Es ist auch möglich: Die Potsdamer rechnen mit einem Rückgang des Wirtschaftswachstums durch Klimainvestitionen von nur 0,7 bis 4 %. Pendelte es sich bei 1 % ein, würde das bedeuten, dass das mögliche Wohlstandsniveau von 2050 erst 2051 erreicht würde. Die gleiche Wirkung hätte eine Mehrwertsteuererhöhung von 1-2 %. Nach Berechnungen des Ökonomen Sir Nicolas Stern betrügen die jährlich notwendigen Investitionskosten in den Entwicklungsländern 50 Mrd. bis 2015, 100 Mrd. bis 2020, 200 Mrd. bis 2050. 50 Mrd. $ entsprechen 0,1 % des BIP der Industriestaaten.

Auf der anderen Seite schätzt das Umweltbundesamt, dass das Ziel der Bundesregierung, die Kohlenstoffemissionen bis 2020 um 40 % zu senken, in Deutschland 630.000 neue Arbeitsplätze schaffen wird. Vermutlich berücksichtigt das noch nicht den Wettbewerbsvorteil, den die deutsche Industrie durch ihren so gewonnen technischen Vorsprung international erhielte. Hinzu kommt, dass die Umweltqualität durch kohlenstoffarmes, nachhaltiges Wirtschaften verbessert wird – und so auch zum Wohlbefinden und der Gesundheit beiträgt.

Verantwortung übernehmen, Lasten teilen
Das darf alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Wandel einen Kraftakt erfordert, der so keine geschichtliche Parallele hat. Bisher hatte man Zeit für gesellschaftliche und wirtschaftliche Revolutionen. Jedes Land konnte sie im eigenen Tempo vollziehen – die einen früher, die anderen später, und jeder auf seine Weise. Jetzt ist die Lage anders: Erstmals in ihrer Geschichte muss die Menschheit geschlossen handeln. Angesichts einer Bedrohung globalen Ausmaßes spielen Grenzen und kurzfristige Vor- oder Nachteile eine sehr untergeordnete Rolle. Beim Klimawandel zeigen sich deshalb die Beschränkungen traditioneller Denkmuster der internationalen Politik.

Darum ist es richtig, wenn Klimaforscher den noch möglichen CO2-Ausstoß als pro-Kopf-Budget betrachten und nicht national oder regional verrechnen. Damit schneiden die Schwellen- und Entwicklungsländer deutlich besser ab. So produzieren die USA und China zusammen gut 2/5 des gesamten CO2-Aufkommens: allerdings bei einer pro Kopf-Verteilung von 20t zu 5t. Wer wollte sagen, dass die Menschen in den Industriestaaten aufgrund ihres historischen Wirtschaftsvorsprungs ein Recht erworben hätten, die Umwelt stärker zu belasten?

Gleichzeitig darf es auch nicht sein, dass einzelne Regierungen die Abwendung der Katastrophe anderen aufbürden – oder verhindern. Schuldzuweisungen sind müßig. Bei Brandrodungen und der Rinderhaltung führen die Länder der Südhalbkugel, bei industriellen Emissionen holen sie auf. Andererseits ist ihre Produktion ganz überwiegend Auftragsarbeit der Reichen, die so ihre Klimabilanz schönen: China hat die USA als größten Einzelemittenten überholt und dabei noch den größten Zuwachs. 45 % dieses Wachstums stammt aber aus Exporten. Die Abwanderung von Großemittenten, carbon-leakage, kann in einer globalisierten Welt nicht dauerhaft verhindert werden. Die EU erreicht höchstens einen Aufschub, wenn sie 164 Wirtschaftszweigen festlegt, die auch in Zukunft ihre Emissionsrechte geschenkt bekommen sollen.

Deshalb müssen alle Verantwortung übernehmen: sowohl für die notwendigen Veränderungen als auch für den bereits angerichteten Schaden. Fast 2/3 des in der Atmosphäre abgelagerten CO2 stammt aus den Industriestaaten. Wenn die EU die Verantwortung anderer Industrie-Nationen, der Schwellen- und Entwicklungsländer für die Zukunft einfordert, muss sie gleichzeitig auch ihren Anteil an der Vergangenheit übernehmen.

Die Rolle der EU
Europa kommt in vielerlei Hinsicht eine Schlüsselrolle zu. Es hat selbst ein großes – und noch nicht annähernd ausgeschöpftes – Potential, mit gutem Beispiel voranzugehen und technische Innovation voranzubringen. Die EU sieht sich klimapolitisch in einer globalen Führungsrolle. Doch den Worten folgen nur selten entschiedene Taten. Dass die Klimabilanz der EU-27 für das Kyoto-Protokoll positiv ist, verdankt sich zum einen dem Zusammenbruch der extrem klimabelastenden Industrien in den ehemaligen Ostblockstaaten, zum anderen der sehr guten Bilanz einiger Mitgliedsstaaten, die die Negativbilanz anderer ausgleicht. Einige auch der alten Mitgliedstaaten hatten tatsächlich zwei-stelligen Mehrverbrauch von CO2 seit 1990.

Hinzu kommt, dass die Europäer mit Zahlen arbeiten, die längst veraltet sind. Neuere Gutachten, die drastischere Einsparungen verlangen, werden konsequent ignoriert. Die EU will bis 2020 ihre CO2 Emissionen um 20 % senken, sogar um 30 %, wenn die anderen Industrieländer mitziehen. Deutschland strebt selbst 40 % Reduktion an. Doch die Klimaberater der Bundesregierung, u.a. das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, rechnen schon mit notwendigen 60 %, wenn das 2°C-Ziel eingehalten werden soll.

Soll die globale Erwärmung unter 2°C gehalten werden, darf im Zeitraum 1990-2050 nur eine sehr begrenzte Menge CO2 freigesetzt werden. Einige Berechnungen schätzen sie auf maximal 750 Mrd. Tonnen: Davon entfielen bei einem percapita-Schlüssel 17 Mrd. auf Deutschland, die allerdings schon in diesem Jahr aufgebraucht sind. Günstigere Schätzungen gehen davon aus, dass wir noch bis zu zehn Jahren weiter emittieren dürfen. Den Rest müssten wir Staaten, die „hinterherhinken“, im internationalen Emissionshandel abkaufen.

Europa muss zudem in zwei Richtungen wirken:
Es muss den Schwellen- und Entwicklungsländern ein Reparations- und Hilfsangebot unterbreiten, dass diese akzeptieren können und das dann so implementiert wird, dass es auch tatsächlich dem Klimaschutz zugute kommt. Pauschalüberweisungen an Diktatoren und korrupte Regime darf es nicht geben. Dabei gibt es viel zu verteilen: Bis 2030 wird der „grüne Umbau“ der Entwicklungsländer jährlich zwischen 140 und 675 Mrd. $ benötigen – je nach Schätzung. Die EU rechnet ab 2020 mit 100 Mrd. € jährlicher Transfers. Derzeit will sie selbst nur 15 Mrd. aus öffentlichen Mitteln beisteuern. Das Europäische Parlament forderte demgegenüber jüngst, dass man sich zu je 30 Mrd./Jahr bis 2020 verpflichtet.

Und die EU muss die USA von der Notwendigkeit eines rechtsverbindlichen Abkommens überzeugen. Die USA haben seit dem Kyoto-Basisjahr 1990 einen 17 %-igen Mehrausstoß an Treibhausgasen. Für ein faires Klimaabkommen müssten sie zu den vorgesehenen 30 % Einsparung der Industriestaaten diese Summe zusätzlich einsparen, um das Versäumte nicht den anderen aufzubürden. Stattdessen bieten sie aber nur insgesamt eine 17 %-ige Verringerung vom Niveau von 2005 an. Vielleicht wird es keinen fairshare geben. Vielleicht tun die USA in Zukunft mehr, als sie im Gesetzeswege regeln. Aber die EU hat als wichtige Handelsmacht notfalls auch Möglichkeiten, klimaschädliche Produkte mit CO2-Zöllen zu belegen. In jedem Fall wird Europa tun müssen, was es als richtig erkennt, nicht, was dem US-Angebot entspricht.

Klimapoker? – Vom Verhandeln zum Handeln
Der Aufbau einer kohlenstoffarmen Wirtschaft und nachhaltigen Lebens stellt die Menschheit vor ein logistisches Problem ohne Vergleich. Es reicht ja nicht, allein Geld zur Verfügung zu stellen. So stellte die EU den zehn neuen Mitgliedstaaten 4,2 Mrd. € für Energieeffizienz und erneuerbare Energien zur Verfügung. Nur wenige hundert Millionen aber wurden abgerufen, die meisten von Tschechien. Überforderte Verwaltungen und das Erfordernis einer Co-Finanzierung von 15 % ließen die Mittel brach liegen. Wie viel schwieriger die Umsetzung in vielen Staaten Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas sein dürfte, liegt auf der Hand.

Umso wichtiger ist es, dass das politische Tauziehen so schnell wie möglich zum Ende kommt. Gelegentlich macht die Politik den Eindruck, bei den Verhandlungen handele es sich um ein Spiel, bei dem man „die Karten nicht zu früh auf den Tisch legt“. Klimapoker. Es wird Zeit, diese Rhetorik beiseite zu legen und anzupacken.

Die Lösungen müssen der Komplexität des Problems und seiner Ursachen gerecht werden:

Zum globalen Ansatz muss ein weltweiter Emissionshandel (cap-and-trade) gehören. Schlupflöcher darf es nicht geben. Das ist im ökologischen Interesse, aber auch im ökonomischen Interesse aller, die ihrer Wirtschaft Investitionen zumuten.
Zum lokalen Ansatz gehören differenzierte Lösungen, für die Energieproduktion wie für die Energieeffizienz. Den Bedarf der Zukunft kann man nicht mit one-fits-all-Technologien decken. Es braucht einen nachhaltigen Energie-Mix, der auch zur Versorgungssicherheit beiträgt. Bei den Einsparungen müssen die großen, noch nicht erfassten Emittenten in das cap-and-trade-System einbezogen werden: Luft- und Schifffahrt, Straßenverkehr, aber auch die Landwirtschaft. So ließen sich auch z.T. absurde Wege zwischen Produktion, Verarbeitung und Verbrauch begrenzen. Öffentliche Mittel müssen zielgerichteter eingesetzt werden: Mit Einnahmen aus dem Emissionshandel dürfen nur noch nachhaltige Projekte gefördert werden. Der Clean-Development Mechanism, also die Möglichkeit von Industriestaaten, Emissionsreduktionen mit Projekten in Entwicklungsländern zu verrechnen, muss auch Wasserstofftechnik, Kohldioxid-Abscheidung und den Schutz und Aufbau natürlicher Kohlenstoffspeicher berücksichtigen. Statt dabei z.B. pauschal Waldschutz zu finanzieren, muss der Schutz besonders wertvoller Biotope mit hoher Artenvielfalt gefördert werden.

Was aber noch schwieriger ist als der technologische Wandel zu einer erst kohlenstoffarmen und bald kohlenstofffreien Wirtschaft ist der Bewusstseinswandel der Menschen selbst. Je schneller alternative Technologien zur Verfügung stehen, desto geringer ist der Druck auf unser Verhalten: Dass der Klimawandel aber ohne einen wesentlichen Lebenswandel gestoppt werden kann, dürfte eine Illusion sein. Die Kirchen machen ihre Stimme auf der politischen Ebene stark – auch die EKD schickt unter Leitung ihrer Präses Katrin Göring-Eckardt eine Delegation nach Kopenhagen. Wichtiger noch dürfte der kirchliche Beitrag sein, am Bewusstseinswandel mitzuwirken und mit gutem Beispiel voran zu gehen.

Weitere Informationen im Internet:
Pressemitteilung der EKD zum Weltklimagipfel:
http://www.ekd.de/presse/pm302_2009_klimawandel.html

Entschließung des EP vom 25. November 2009
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2009-0089+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE



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