Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Europa-Informationen Nr. 131

Zehn Jahre Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik

(Patrick Roger Schnabel)

Am 17. November 2009 tagte der Rat Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen. Neben der Bestandsaufnahme der Entwicklungen in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) stand auch deren zehnjähriges Bestehen auf der Tagesordnung. Seit 1999 wurden 22 Missionen (davon 16 zivile) mit insgesamt 70.000 Einsatzkräften durchgeführt – zwölf davon laufen noch; eine neue für Somalia ist geplant.

Die Konflikte auf dem Balkan gaben seinerzeit den Ausschlag, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) um die ESVP zu ergänzen. Aufbauend auf den strategischen Vorgaben der Europäischen Sicherheitsstrategie sollte sie helfen, die EU zu einem ernstzunehmenden Faktor internationaler Sicherheitspolitik zu machen. Die Missionen dienen sowohl der Konfliktvermeidung, der Konfliktbearbeitung als auch der Friedenssicherung in ehemaligen Konfliktgebieten.

Die ESVP gehört zur intergouvernementalen Säule der EU: Entscheidungen treffen die Mitgliedstaaten einstimmig im Rat und kommen aus ihren Haushalten für die Finanzierung der Missionen auf. Daran ändert sich auch durch den Vertrag von Lissabon nichts. Allerdings erlaubt er die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten, die bisher ausdrücklich untersagt war. Deutlich gestärkt wird die Rolle der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik (HV), die nun gleichzeitig Vize-Präsidentin der EU-Kommission wird. Damit wird das Kompetenzproblem zwischen „Außenkommissarin“ und Hohem Vertreter beseitigt und die Anbindung an die vergemeinschafteten Politiken mit Außenbezug verbessert. Die Arbeit der HV wird durch einen Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) unterstützt. Hinzu kommen zwei Solidaritätsklauseln: Beistand ist zu leisten im Falle eines bewaffneten Angriffs auf einen Mitgliedstaat oder bei Terrorattacken und Naturkatastrophen. Dies stellt jedoch keine Verpflichtung zur gegenseitigen Verteidigung wie Art. 5 des NATO-Vertrages dar.

Die operativen Organe der ESVP sind dem Rat zugeordnet. Die wichtigsten sind: das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK); der Militärausschuss (EUMC); der Militärstab (EUMS); die zivil-militärische Zelle des EUMS; der Ausschuss für die zivilen Aspekte der Krisenbewältigung (CIVCOM). Der Reformvertrag schafft nun einen Krisenmanagement und -planungsstab (CMPD), der die zivilen und militärischen Abteilungen im Rat zusammenführen soll.
Anlässlich des Jubiläums hoben die Minister in einer Erklärung „ESVP Zehn Jahre – Herausforderungen und Möglichkeiten“ u.a. hervor, dass
- die Hohe Vertreterin und der EAD unter dem Lissabon-Vertrag die Effektivität der ESVP deutlich erhöhen werden;
- dabei sowohl das Frühwarnsystem, wie die Planungs- und Einsatzkapazitäten verbessert werden müssten;
- insbesondere die Reaktionsfähigkeit durch die EU-Battle-Groups, aber auch durch neue zivile Einsatzgruppen gestärkt werden solle;
- ein Fokus auf der Kooperation bei der Bereitstellung von Personal, Ressourcen, Know-How, Lagerung und Training liegen solle;
- ein angemessenes Budget zur Verfügung stehen müsse;
- Investitionen in Technologien und Rüstungskooperation erhöht werden müssten, wobei ein funktionierender Rüstungsbinnenmarkt den Verteidigungsstandort Europas stütze und der Entwicklung militärischer Kapazitäten diene;
- zukünftig Ständige Strukturierte Zusammenarbeiten erwogen werden müssten;
mehr Anstrengung für die zivil-militärische Kooperation notwendig sei, zivil-militärische Synergien besser genutzt werden sollten und die Möglichkeiten, Kapazitäten für beide Bereiche zu nutzen (dual-use), ausgeschöpft werden sollten. Dabei komme dem neuen Krisenmanagement und –planungsstab (CMPD) eine Schlüsselrolle zu;
- die Aspekte Menschenrechte und die Rolle der Frau in Friedens- und Sicherheitsfrage in der internationalen Sicherheitspolitik gestärkt werden müssten;
- die ESVP stärker mit der Innen- und Justizpolitik verknüpft werden müsse, z.B. um Menschenhandel, Drogenhandel, organisiertes Verbrechen und „illegale Migration“ zu bekämpfen;
- die Rolle der EU in Mediations- und Dialogprozessen in Konfliktregionen weiter ausgebaut werden müsste;
- lokale Identifikation mit Friedensprozessen für deren Erfolg unabdingbar sei und daher die EU ihre Zusammenarbeit mit internationalen und regionalen Partnern wie mit zivilen Akteuren verbessern wolle.

Aus kirchlicher Sicht ist die angestrebte kohärentere Herangehensweise an die zivilen und militärischen Aspekte grundsätzlich zu begrüßen. Die Umsetzung bietet eine Chance, das bestehende Ungleichgewicht zugunsten der militärischen Ausrichtung zu korrigieren. Die größte Zahl der Missionen sind zivil. Der „Vorrang für Zivil“ ergibt sich schon aus Geist und Wortlaut der Verträge. Bisher waren auf der institutionellen Ebene jedoch militärische Strategien und Organisationsmodelle dominant: begonnen von der personellen Ausstattung in Zahl und Qualifikation, bis hin zur strategischen Ausrichtung von der frühen Planungsphase. Das CMPD bietet die Chance, dies nachhaltig zu korrigieren und die Leitungsebene mehrheitlich mit Experten der zivilen Konfliktbearbeitung zu besetzen. Nur so kann gewährleistet sein, dass mehr Kohärenz nicht zu einer Nivellierung der Unterschiede ziviler und militärischer Aspekte von Einsätzen führt und es zu einem zivilen mainstreaming der ESVP kommt.

Leider gibt es auch gegenläufige Tendenzen. Aus kirchlicher Sicht ist es besorgniserregend, wenn militärische Mittel für „polizeiliche“ Aufgaben genutzt werden. Erst im Juli hat die EU-Agentur „European Union Institute for Security Studies“ (ISS) eine Verteidigungsperspektive für 2020 vorgestellt, die darüber sogar noch hinausgehen will. In dem von Javier Solana mit einem wohlwollenden Vorwort versehenen Papier werden u.a. sechs Sicherheitsprioritäten für die militärische Einsatzfähigkeit ausgemacht. An erster Stelle steht der Schutz technologischer und wirtschaftlicher (Waren-)Ströme; an zweiter Stelle die Durchsetzung ökologischer Normen zur Sicherung der Umwelt. An dritter Stelle folgen Grenzsicherungsmaßnahmen mit dem expliziten Ziel, „die Reichen der Welt von den Spannungen und Problemen der Armen zu schützen“. Unter den verbleibenden dreien ist besonders problematisch, dass der Umgang mit „alienated States“, darunter eventuell Russland, den Einsatz harter militärischer Mittel, aber auch asymmetrischer Zerstörungsmethoden (z.B. im Cyberspace) erfordere. Zwar handelt es sich um das Papier eines inhaltlich unabhängigen Think-Tank, doch gehört die Agentur zum institutionellen Aufbau, der die Entwicklung der ESVP voranbringen und die Entscheidungsträger der Union dabei beraten soll.

Es ist daher wichtig, dass auch andere Perspektiven an die Entscheidungsträger herangetragen werden: hauptsächlich in den Mitgliedsstaaten, aber auch etwa an die neue Hohe Vertreterin, die die Brücke zwischen Rat und Kommission bilden soll. Eine konsequente zivile Ausrichtung der ESVP mit einer hohen Qualität bei den Missionen dient dem Ansehen der EU – nicht nur in Krisengebieten, sondern weltweit.

Pressemitteilung zur Sitzung des Rates vom 17.11.09 mit links zu allen Dokumenten:
http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/gena/111291.pdf

Das Strategiepapier des ISS finden Sie unter:
http://www.iss.europa.eu/uploads/media/What_ambitions_for_European_defence_in_2020.pdf



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