Der Bevollmächtigte des Rates der EKD

Europa-Newsletter Nr. 125

Ökumenischer Patriarch spricht vor dem Europäischen Parlament

Patrick Roger Schnabel

Am 23. September 2008 sprach der Ökumenische Patriarch, Bartholomäus I. von Konstantinopel, auf Einladung von Präsident Hans-Gert Pöttering vor dem Europäischen Parlament (EP) in Brüssel. Das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Kirchen hielt seine Ansprache als Teil des Programms, das das EP zum Europäischen Jahr des Interkulturellen Dialogs abhält. Vor ihm sprachen z.B. der Großmufti von Syrien, Ahmad Badr al-din Hassoun, und Asma Jahangir, UN-Berichterstatterin für die Religionsfreiheit, vor der Versammlung. Eingeladen sind auch der Dalai Lama, der Großrabbiner des Vereinigten Königreichs, Sir Jonathan Sachs und Papst Benedikt XVI. Vertreter der Protestantischen oder Anglikanischen Kirchen hingegen nehmen bisher nur am jährlichen Gipfeltreffen mit den Spitzen von Europäischem Parlament, Kommission und Rat teil: Eingeladen, vor dem Plenum zu sprechen, wurden sie bisher nicht.

Präsident Pöttering betonte in seiner einleitenden Rede, dass der Religionsfreiheit eine hohe Bedeutung unter den Werten zukomme, die die europäische Wertegemeinschaft prägten. Die Trennung von Staat und Kirche erlaube gerade den Kirchen, ihre inneren Angelegenheiten selbständig zu gestalten. Der Ökumenische Patriarch, der diesen Titel in der Türkei offiziell gar nicht führen darf, sprach sich dennoch - zur Verblüffung vieler Zuhörer - für einen Beitritt seines Landes zur EU aus. Zwar müsse die Türkei den interkulturellen Dialog und die Toleranz fördern, doch sei allein die Tatsache, dass sie mehrheitlich muslimisch sei, aus seiner Sicht kein Ausschlusskriterium: Die großen Religionen, so der orthodoxe Würdenträger, könnten, wie das europäische Projekt selbst, Projekte zur Überwindung von Nationalismus und zur Förderung der Toleranz sein. Natürlich steht hinter diesen Ausführungen auch das Kalkül, dass allein die Beitrittsverhandlungen mit der EU die nationalistisch-kemalitischen Kräfte in der Türkei daran hindern, einen radikalen Kurs zu steuern, der für die Religionsfreiheit noch weniger Spielraum lässt.

Doch Bartholomäus beschränkte sich nicht auf dieses Thema. Der Schwerpunkt seiner Rede galt dem Schutz der Schöpfung. Er betonte, dass in dem Wort "Ökumenisch", das er in seinem Titel führe, und dem Wort "Ökologisch", das ihm wichtig sei, beide Male die griechische Wurzel "oikos" für "Haus" stehe. Dieses Haus sei die Welt, für das alle Kinder Gottes gleichermaßen Verantwortung trügen. Schon sein Vorgänger im Amt, Patriarch Dimitrios, hatte den 1. September zum "Tag des Gebets für den Umweltschutz" bestimmt. Aufgrund seines fortgeführten Einsatzes für dieses Thema wird Bartholomäus gelegentlich auch als der "Grüne Patriarch" bezeichnet.

Einige Abgeordnete blieben der Rede fern: Teilweise, weil sie als überzeugte Humanisten jedweden Kontakt von Religion und Politik ablehnten, teilweise, weil sie die Auswahl der religiösen Würdenträger kritisierten, unter denen sich z.B. keine einzige Frau befindet.

Der Ökumenische Patriarch ist eine der wenigen religiösen Leitfiguren, die auch über ihre eigene Konfession hinaus besondere Achtung genießen. Diese leitet sich weniger aus dem eigenen Anspruch ab, als aus der überzeugenden Persönlichkeit des jeweiligen Amtsträgers. Inhaltlich gibt es unter den Äußerungen vor dem EP wenig, das nicht im wahrsten Sinne des Wortes ökumenisch gewesen wäre. Dennoch bleibt die bisherige Auswahl der Sprecher angesichts der fehlenden Beteiligung von Protestanten und Anglikanern selbst so wenig ökumenisch, dass zumindest dieser Kritikpunkt einiger Abgeordneter zutreffend ist. Es steht zu hoffen, dass auch nach dem offiziellen Ende des Interkulturellen Jahres der Dialog des Parlaments mit den Religionen erhalten bleibt — und sich weitet.



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