Europäisches Parlament für mehr Generationengerechtigkeit

(Patrick Roger Schnabel)

Am 11. November 2010 hat das Europäische Parlament (EP) einen Initiativbericht des deutschen EVP-Abgeordneten Thomas Mann angenommen, der sich für mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen angesichts der aktuellen demographischen Herausforderungen ausspricht und einige konkrete Vorschläge unterbreitet.

Zu den Schlüsselpunkten des Berichts gehört eine generationenbezogene „Buchführung“, die die respektiven Finanzströme und Umverteilungen zwischen Jung und Alt in einer Gesellschaft erfasst und auf diese Weise gegebenenfalls Steuerungsbedarf signalisieren kann. In diesem Sinne soll auch jede EU-Gesetzesinitiative in ihrer Folgeabschätzung die Auswirkung auf die Generationengerechtigkeit beinhalten.

Der Berichterstatter war aber auch an konkreten Angeboten an die Jungen und Alten interessiert, insbesondere beim Zugang zum Arbeitsmarkt. So soll nach dem Willen der Parlamentarier eine Europäische Garantie für junge Menschen sicherstellen, dass allen jungen Arbeitslosen innerhalb von vier Monate ein Arbeitsplatz, eine Ausbildungsstelle, ein Fortbildungsangebot oder eine Mischung daraus angeboten wird. Entsprechend tritt der Bericht für einen Beschäftigungspakt 50plus ein, durch den der Anteil der über 50-Jährigen auf mindestens 55 % erhöht werden soll. Anreize für Frühverrentung sollen abgebaut werden und die über 60-Jährigen sollen darin gefördert werden, ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter zu geben. 2012 soll, so das EP, zum Europäischen Jahr des aktiven Alterns und der Gerechtigkeit zwischen den Generationen werden.

Auch im Bereich des Pensionsalters, das auf nationaler Ebene geregelt ist, macht der Bericht Vorschläge: Zwar soll das Pensionsalter als Recht der Arbeitnehmer beibehalten werden, jedoch seinen Pflichtcharakter verlieren. Wer möchte, soll darüber hinaus beschäftigt werden können. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, entsprechende Lockerungen zu erwägen.

Entgegen den Vorschlägen des Berichterstatters sprach sich das Plenum auch für neue Diskriminierungsvorschriften im Zivilrecht (insbesondere Zugang zu Dienstleistungen und Gütern) zugunsten älterer Menschen aus. Diese sollen sich gerade auch auf Versicherungen erstrecken.

Aus kirchlicher Sicht ist es sehr begrüßenswert, dass sich das EP mit einem neuen Ansatz für mehr Generationengerechtigkeit einsetzt und vor allem auch konkrete Anregungen gibt, wie diese im Alltag verwirklicht werden kann und welche Rolle die EU selbst dabei spielt. Das EKD-Büro hat darum den Prozess der Berichterstattung begleitet und Vorschläge eingereicht, von denen sich einiges in dem Text wiederfindet. Insbesondere war der EKD daran gelegen, dass der umstrittene Begriff der Flexicurity dahingehend näher bestimmt wird, dass er auch umfassende Strategien des lebenslangen Lernens und moderne, familienfreundliche und nachhaltige Systeme der sozialen Sicherheit beinhaltet.

Ein Punkt, der in dem Bericht aus kirchlicher Sicht noch zu kurz kommt, sind die vielen Herausforderungen, die das Altern der Gesellschaft im Bereich der Pflege mit sich bringt: von der Steigerung der Qualität in der Pflegebranche, über Initiativen zum Schutz vor schlecht bezahlten oder sogar prekären bis illegalen Beschäftigungsverhältnissen bis zur besseren Anrechenbarkeit von Pflegezeiten auf die Sozialversicherungen, insbesondere die Alterssicherung.

Hinsichtlich der Überprüfung der Lebensaltersgrenzen wäre es wünschenswert gewesen, dass die Liberalisierung dadurch begleitet wird, dass gesetzliche Rentenansprüche unabhängig vom Lebensalter an Lebensarbeitszeit und Beitragsjahre gekoppelt werden und eine Kombination mit Altersteilzeitmodellen in Betracht gezogen wird. Es wäre begrüßenswert, wenn das Europäische Jahr 2012 als Jahr des aktiven Alterns und der Generationengerechtigkeit auch Impulse des Europäischen Jahres 2011 (Freiwilligentätigkeit) fortführen könnte. Die demographische Entwicklung, immer höher qualifizierte ältere Menschen mit hoher Lebenserwartung, birgt ein Potenzial bürgerschaftlichen Engagements, das nicht nur als Möglichkeit längerer Berufstätigkeit in den Blick genommen werden sollte.

Der Bericht ist ein wichtiger Impuls in einer Debatte, die noch nicht in der Breite geführt wird, wie es ihre Bedeutung und Dringlichkeit gebietet. Es ist ein Verdienst des Europäischen Parlaments, sie von politischen Floskeln in die tatsächliche Politikgestaltung auf europäischer Ebene überführt zu haben. Kirche und Diakonie werden aus ihrer Erfahrung viel zur nun angestoßenen Diskussionen beizutragen haben.

Den vom Europäischen Parlament beschlossenen Initiativbericht finden Sie unter:
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A7-2010-0268+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE



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