Wo bleiben die Menschenrechte? - Zusammenarbeit zwischen der EU und Libyen soll verstärkt werden

(Katrin Hatzinger)

Am 4. und 5. Oktober 2010 besuchten die EU-Innenkommissarin Malmström und EU-Erweiter-ungskommissar Stefan Füle Tripolis. Im Rahmen des Besuchs in Libyen wurden Fortschritte bei den Verhandlungen eines bilateralen Rahmenabkommens erzielt, das erstmals eine offizielle und rechtliche Beziehung zwischen Libyen und der EU etablieren soll, u.a. im Bereich der Einwanderungskontrolle.

Insgesamt stellt die EU dem nordafrikanischen Staat 60 Millionen Euro für den Zeitraum 2011- 2013 zur Verfügung, damit das Land in verschiedenen Bereichen wie im Gesundheitssektor oder in der Verwaltung Reformen durchführen kann. Noch bis zum Ende des Jahres soll ferner in Tripolis ein EU-Büro eröffnet werden, dessen Existenz das nachhaltige Interesse an der Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen manifestieren soll. Anlässlich des Besuchs wurde auch eine Vereinbarung über eine Zusammenarbeit in Migrationsfragen unterzeichnet. Die Vereinbarung umfasst nach Angaben der Kommission konkrete Schritte in den Bereichen:

1. Regionaler und panafrikanischer Dialog und Zusammenarbeit
Hierunter fallen u.a. die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Herkunftsländern, Kampagnen in diesen Staaten, um auf die Gefahren irregulärer Migration aufmerksam zu machen sowie Informationsaustausch im Kampf gegen Menschenhandel.

2. Mobilität
Die Möglichkeiten, Visa für Kurzaufenthalte (single und multi-entry Visas) an libysche Staatsangehörige zu vergeben, sollen u.a. überprüft werden.

3. Effektives Management von Migrationsströmen
Eine der Maßnahmen besteht darin, die Kapazitäten libyscher Behörden, NGOs und internationaler Organisationen, Such- und Rettungsaktionen in der Wüste oder auf hoher See durchzuführen und den Migranten humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, zu verstärken. Aufbauend auf der Arbeit lokaler NGOs und internationaler Behörden soll aufgegriffenen irregulären Migranten eine angemessene Behandlung, Aufnahme und Unterstützung zukommen. Das Konzept der freiwilligen assistierten Rückkehr soll angeboten werden.

4. Grenzkontrolle
Hier ist beabsichtigt, insbesondere Maßnahmen zu ergreifen, um die Überwachung der südlichen Außengrenzen Libyens zu verbessern. Daneben soll die Entwicklung eines integrierten Überwachungssystems entlang der libyschen Landesgrenzen vorangetrieben werden sowie Kooperationsmöglichkeiten zwischen libyschen Grenzschutzeinheiten und EU Behörden hinsichtlich der Abschiebung und Rückführung irregulärer Migranten.

5. Internationaler Schutz
Libyen soll von der EU in seinen Bemühungen unterstützt werden, ein Schutzsystem aufzubauen, um mit Schutzsuchenden und Flüchtlingen gemäß internationalen Standards umzugehen. Zudem sollen die Behörden dabei unterstützt werden, in gemischten Migrationsströmen Schutzsuchende zu identifizieren, die dann ggf. im Wege von Resettlement in EU-Staaten Aufnahme finden könnten.

Eine informelle Gruppe erfahrener Beamter soll die Umsetzung der Liste möglicher Initiativen überwachen. Die schwedische Innenkommissarin Malmström betonte, es sei ihr Ziel, im Rahmen der Kooperation den Schutz der Menschenrechte aller Migranten und Asylsuchenden in das Zentrum der Bemühungen zu stellen. Die gemeinsame Agenda werde dazu beitragen, Initiativen zum besseren Schutz und zur Unterstützung von Flüchtlingen und Migranten zu befördern.

Auf der 13. Europäischen Asylrechtskonferenz vom 24. bis 28. Oktober 2010 in Palermo stand die verstärkte Zusammenarbeit der italienischen Regierung mit Libyen bei der Abwehr von Schutzsuchenden im Mittelpunkt. Seit März 2009 unterhält Italien mit Libyen einen sog. Freundschaftsvertrag, der Italien zur finanziellen Unterstützung der libyschen Regierung und Libyen u. a. zur Rücknahme von Migranten und Schutzsuchenden verpflichtet. Seitdem wird Libyen bei Patrouillen seiner Seegrenze von Italien unterstützt, während Italien von der Bereitschaft Libyens profitiert, Migranten und Schutzsuchende zurückzunehmen, die auf offenem Meer aufgegriffen wurden. Die Anzahl von Personen, die an der italienischen Küste landen und einen Asylantrag stellen können, ist seither drastisch zurückgegangen. Libyen hat jedoch die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert, es unterhält kein Asylsystem und erlaubt UNHCR nach einer vorübergehenden Schließung seiner Vertretung im Mai 2009 nur sehr eingeschränkt, ihr Mandat wahrzunehmen.

Menschenrechtsorganisationen und Berichten von Betroffenen wie dem äthiopischen Filmemacher Dagmawi Yimer zufolge, der selbst als Flüchtling unter menschenunwürdigen Umständen inhaftiert war, sind Migranten und Schutzbedürftige neben willkürlichen Inhaftierungen, Misshandlungen und Vergewaltigungen in Haft ausgesetzt. Sein Film „Like a man on earth“ beschreibt eindringlich die Situation der Flüchtlinge.

Das Migrationsabkommen der EU mit dem Regime von Muammar-al-Gadaffi entspricht dem Trend, zum einen zur Abwehr von Migration zunehmend auf Abkommen mit Staaten außerhalb der EU zu setzten, deren Menschenrechtssituation höchst bedenklich ist, und zum anderen diesen Staaten dann aber auch die Verantwortung für den Umgang mit Schutzsuchenden und Flüchtlingen zu übertragen. Die Hinweise der EU-Innenkommissarin auf die Beachtung der Menschenrechte in der Zusammenarbeit mit Libyen klingen naiv, wenn man um die eklatanten Menschenrechtsverletzungen in dem Land und die zahlreichen Behinderungen z.B. der Arbeit des UNHCRs oder von Menschenrechtsorganisationen vor Ort weiß. Libyen hat die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert und im Dialog zu Menschenrechten, Grundfreiheiten und Demokratie mit der EU sind in den letzten Jahren keine Fortschritte zu verzeichnen, nachzulesen ist all das in einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Juni 2010.

Vor diesem Hintergrund hat die EKD Synode gefordert, auf die Gefahren des Prozesses der Externalisierung des Flüchtlingsschutzes hinzuweisen, der die Verantwortung für die Aufnahme von Asylsuchenden von den EU-Mitgliedstaaten hin zu Drittstaaten verlagert. Aufgaben der Migrations- und Grenzkontrolle sowie des Flüchtlingsschutzes dürften nicht auf Libyen übertragen werden. Ferner müsse Libyen gegenüber auf die Einhaltung von Menschenrechten von Migranten gedrängt und die Praxis der willkürlichen Inhaftierung dürfte nicht fortgesetzt werden. Schließlich müsste Menschenrechtsorganisationen regelmäßig Zugang insbesondere zu den Gefängnissen ermöglicht sowie UNHCR erlaubt werden, sein Mandat in vollem Umfang auszuüben.

Schließlich sollten Möglichkeiten für Schutzsuchende geschaffen werden, über die nationalen Botschaften der Mitgliedstaaten in ihren Herkunftsländern bzw. der Region Zugang zum Asylverfahren zu erhalten.

Die gesamte Liste der geplanten Initiativen im Migrationsbereich finden Sie hier:
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=MEMO/10/472

Den Beschluss der EKD Synode finden Sie unter:
http://www.ekd.de/synode2010/beschluesse/beschluss_s10h_kooperation_fluechtlingsschutz_i_19.html

Die Entschließung des EP finden Sie hier:
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=MOTION&reference=P7-RC-2010-0391&language=DE



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