Ein Jahr nach Lissabon - Der Europäische Auswärtige Dienst nimmt Gestalt an

(Patrick Roger Schnabel)

Am 1. Dezember 2010 – genau ein Jahr nach Inkrafttreten des Reformvertrags – ist der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) offiziell aus der Taufe gehoben worden. Vorausgegangen waren teils zähe Verhandlungen zwischen der Leiterin des neuen diplomatischen Korps der EU, der Hohen Beauftragten für die Außenpolitik, Catherine Ashton, und dem Europäischen Parlament (EP). Hintergrund der Verhandlungen war die Notwendigkeit, die Machtbalance zwischen Hoher Beauftragter und EP, sowie das Gleichgewicht zwischen supranationaler (Gemeinschafts-)Methode und intergouvernementaler Abstimmungsmethode unter den veränderten Rahmenbedingungen des Lissabonvertrags neu zu bestimmen. Das Prestigeprojekt der EU-Außenpolitik, der EAD, eignete sich dafür besonders gut, da hier die Überschneidungen der beiden Arbeitsformen innerhalb der EU am augenfälligsten sind. Im neuen Dienst sollen die Außenpolitik von Rat (Mitgliedstaaten) und Kommission (EU) zusammengeführt werden. Deshalb ist Asthon gleichzeitig Hohe Beauftragte (des Rates) und Vizepräsidentin der EU-Kommission.

Das Interesse des Parlaments bestand darin, so viele Arbeitsbereiche wie möglich der Gemeinschaftsmethode und damit parlamentarischer Kontrolle zu unterwerfen (Europa-Informationen Nr. 133). Die Mitgliedstaaten hingegen sehen den neuen Dienst mit gemischten Gefühlen und wollten sich ihren Einfluss auf die Außenpolitik dauerhaft sichern. In diesem Interessenkonflikt haben beide Seiten Kompromisse eingehen müssen. Die Hohe Beauftragte hat ihre ursprünglichen Vorschläge den Wünschen des Parlaments in zahlreichen Punkten angepasst und zu einigen Unklarheiten förmliche Erklärungen abgegeben, um die Bedenken der Volksvertreter auszuräumen. Das Parlament hat es aber nicht erreicht, sich ähnliche Befugnisse zu sichern, wie sie der US-Kongress in der Mitgestaltung der amerikanischen Außenpolitik hat. Konkret sieht der Kompromiss so aus:

Den deutlichsten Erfolg kann das EP in haushaltspolitischen Fragen verbuchen: Die EU-Kommission wird an der Erstellung der Haushaltslinie für den EAD voll beteiligt, die dann – als selbständige Linie – auch der vollen parlamentarischen Budgetkontrolle unterliegt. Die operationellen Ausgaben, z.B. zivile Missionen, bleiben im Kommissionshaushalt. Diese Missionen müssen zudem erstmals einzeln ausgewiesen werden, was die Transparenz erhöht.

Ebenfalls als Erfolg können die werten, dass sich Ashton politisch nicht vom Generalsekretär des EAD vertreten lassen kann, wie ursprünglich beabsichtigt. Die Vertretung nach Außen muss nun in jedem Fall von einem politischen Amtsträger, keinem Beamten des Generalsekretariats, erfolgen. Allerdings muss das nur bei supranationalen Fragen einer der drei Kommissare mit Bezügen zur Außenpolitik (Entwicklung, Humanitäre Hilfe, Nachbarschaft) sein, bei intergouvernementalen Bezügen wird Ashton in der Regel vom Außenministers des Landes vertreten, das jeweils die rotierende Ratspräsidentschaft inne hat.

Auch was die Verpflichtung der EU-Diplomaten auf die Ziele der Union angeht, konnte das EP einiges erreichen: Zum einen ist diese Verpflichtung explizit aufgenommen, zum anderen entscheiden bei aus den nationalen Diensten abgeordneten Diplomaten allein EAD und Betroffene über die Verlängerung. Mit der einfachen Verlängerung (von vier auf acht Jahre) und der Sonderverlängerung (von acht auf zehn Jahre) sowie einer Rücknahmegarantie ist damit auch strukturell gewährleistet, dass die Diplomaten aus den Mitgliedstaaten relativ unabhängig von nationalen Interessen agieren können. Zudem stellen sie nur mindestens ein Drittel, maximal 40 Prozent des Korps, die übrigen sind Kommissionsbeamte.

Nicht nur dieses Verhältnis war dem Parlament wichtig, sondern auch eine geographische und geschlechterspezifische Ausgewogenheit. Das letzte muss nun sichergestellt werden, bei der nationalen Herkunft allerdings lediglich eine „angemessene Repräsentation“: Hintergrund dieser weicheren Formulierung war, dass es aus den neuen Mitgliedstaaten oft an einer ausreichenden und ausreichend qualifizierten Bewerberzahl mangelt. Quote vor Qualität war auch im EP nicht mehrheitsfähig. Allerdings scheint auch etwas daran zu sein, dass sich die größeren EU-Mitgliedstaaten derzeit die wichtigen Posten sichern – und auch hier nicht nur auf Qualifikationen, wie z.B. einschlägige Sprachkompetenz bei Delegationsleitern (den EU-Botschaftern) geachtet wird, nicht einmal bei großen, strategischen Partner wie Russland. Das führt zu Unmut insbesondere unter den zentral- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten.

Nicht durchsetzen konnte sich das Parlament damit, die Anhörungen neuer Delegationsleiter öffentlich abzuhalten. Da das EP – anders etwa als der US-Kongress – kein Veto-Recht hat, wollten die Parlamentarier die Öffentlichkeit nutzen, missliebige Kandidaten gegebenenfalls bloßstellen und damit zum Rückzug bewegen zu können. Asthon hat dagegen vertrauliche Anhörungen durchgesetzt, nachdem sie ihre Kandidaten bereits bestimmt hat. Damit hat das EP hier keine Mitbestimmungsmöglichkeiten, direkt oder indirekt.
Neben den strukturellen Fragen hatten die Mitglieder des Europäischen Parlaments aber auch wichtige inhaltliche Anfragen an die ursprünglichen Ashton-Vorschläge. Insbesondere war ihnen daran gelegen, dass eine Kohärenz der EU-Außenpolitik mit Blick auf die entwicklungspolitischen Zielsetzungen der Union und eine Betonung von Konfliktprävention und zivilem Krisenmanagement als Stärken (und oft Alleinstellungsmerkmal) der EU-Außenpolitik in den Rechtsgrundlagen des EAD deutlich herausgearbeitet werden. Dazu gehört auch eine gute Ausstattung der zivilen Abteilungen innerhalb des Dienstes und ihre Unabhängigkeit von den militärischen Strukturen.

Die Verankerung dieser Themen, einschließlich einer Hervorhebung der Menschenrechte, ist zwar auf der politischen Ebene gelungen, jedoch ist noch unklar, ob und wieweit sich das auch in den Strukturen niederschlägt. Von den bisher für den EAD geschaffenen neuen Posten ist kein einziger den einschlägigen Sachgebieten zugeordnet. Die Fachleute des Stabilitätsinstruments (200 Mio. Euro p.a.) sollen in der Kommission verbleiben, wo sie nur Finanzverantwortung tragen; diese würde im EAD damit wohl auf den Stab des Civil-Military-Planning-Department (CMPD) übergehen, das militärisch geprägt ist. Asthon selbst wird zwar zitiert, dass diese Aspekte der „rote Faden“ europäischer Außenpolitik seien. Mainstreaming allein ist aber ineffizient, wenn nicht auch eine strukturelle Verankerung mit entsprechender personeller Zuständigkeit vorhanden ist. Es braucht eine Verantwortlichkeit schon in den oberen Rängen der Hierarchie, um die Themen angemessen im operationellen Geschäft berücksichtigen zu können.

Ashton hat nun die ersten wenigen Top-Posten besetzt – die deutsche Diplomatin Helga Maria Schmid ist Stellvertretende Generalsekretärin für politische Angelegenheiten – und ein Gebäude direkt am Rond Point Schuman, im Dreieck zwischen Kommission und Rat als Sitz des EAD ausgewählt. Die nächsten Posten sollen in schneller Abfolge besetzt werden, so dass der Dienst ab 2011 erste Arbeitsergebnisse unter der neuen Struktur liefert. Es wird wohl mindestens ein weiteres Jahr dauern, bis ersichtlich ist, ob der Dienst einen europäischen Mehrwert liefert oder ob er ein 28. Außenministerium in der EU wird. Die hochkomplexe Struktur und die Reibungsflächen zwischen den Institutionen und Arbeitsformen der EU schaffen dafür keine leichte Ausgangsposition.

Die Website des EAD finden Sie unter:
http://www.eeas.europa.eu/index_en.htm



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