Der Bevollmächtigte des Rates der EKD

Europa-Newsletter Nr. 125

EU-Kommission plant längeren und besser bezahlten Mutterschutz

Patrick Roger Schnabel

Am 3. Oktober 2008 stellte EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla einen Vorschlag der Europäischen Kommission zur Revision der Richtlinie 92/857 EWG vor. Zum Kern des Reformvorschlags gehören folgende Bestimmungen:

  • Erhöhung der Mindestzeit des Mutterschutzes von 14 auf 18 Wochen,
  • Sicherstellung einer vollen Gehaltsweiterzahlung,
  • Gewährleistung zusätzlicher Wochen bei besonderen Belastungen (Früh- oder Mehrfachgeburten, Kinder mit Behinderungen u.a.).
  • Hinzu kommen Verbesserungen beim Kündigungsschutz im Jahr nach einer Geburt und die (unverbindliche) Aufforderung an den Arbeitgeber, Wünschen nach flexiblen Arbeitsbedingungen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie nachzukommen.
  • Auch sollen Frauen lediglich sechs Wochen nach der Geburt Mutterschutz nehmen müssen, die übrige Zeit aber frei auf die Monate vor und nach der Niederkunft verteilen dürfen.

Dieser Vorschlag folgt der politischen Richtungsentscheidung von Kommission und Rat der EU, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Bereits 2005/06 hatte man bestehende Gleichstellungsrichtlinien zu einer neuen Richtlinie (2006/54/EG) zusammen gefasst, um die verschiedenen Aspekte der Geschlechterpolitik zusammen zu führen und auch familienpolitische Zielsetzungen zu bedenken. Die Mutterschutzrichtlinien gehörten jedoch nicht zu dem damals revidierten Paket. Das soll nun nachgeholt werden, zumal neuere Studien, auf die sich die EU-Organe stützen, den Zusammenhang von verbesserten politischen Rahmenbedingungen für Eltern und der Geburtenzahl betonen.

Während einige Staaten bereits jetzt deutlich über den vorgeschlagenen Zeiten für den Mutterschutz liegen, würden sie z.B. für Deutschland eine Erhöhung um mindestens vier Wochen bedeuten. Schon allein wegen der damit verbundenen Kosten ist es unwahrscheinlich, dass die Vorschläge der Kommission - wie immer sie in ihrer veröffentlichten Fassung aussehen werden - auf viel Gegenliebe im Rat stoßen werden. Schon vor der Abstimmung im Kollegium der EU-Kommissare zeichnet sich Widerstand bei den Arbeitgebern und in einigen Mitgliedstaaten ab: Dass die Lohnzusatzkosten pro Jahr um rund eine halbe Milliarde Euro ansteigen würden, heißt es beispielsweise vom Bund der Deutschen Arbeitgeber (BDA). Ähnliche Stimmen hört man aus Österreich. Auch die Bundesregierung hat nach Kommissionsangaben ablehnende Signale gesendet — wobei hier sicher noch nicht das letzte Wort in der großen Koalition gesprochen ist. Gewerkschaften, aber auch Familienpolitiker vieler politischer Richtungen begrüßen hingegen die Vorschläge. So äußerte die CSU-Europaabgeordnete Gabriele Stauner Unverständnis gegenüber einer blockierenden Haltung. Eine kinderfreundliche Politik müsse sich auch praktisch bewähren.

Der aktuelle Vorschlag ist Teil eines Pakets, mit dem die Kommission die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch die Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen verbessern möchte. So soll durch die Revision einer weiteren Richtlinie (86/613/EWG) auch die Möglichkeiten der selbständigen und mitarbeitenden Frauen (in der Landwirtschaft, in Familienbetrieben) verbessert werden, Mutterschutz wahrzunehmen. Doch die EU denkt nicht an die Mütter allein: Auch bei der RL 1996/34/EG zur Elternzeit soll es Veränderungen geben — darüber verhandeln derzeit die Sozialpartner, deren Vereinbarung durch diese Richtlinie Verbindlichkeit verschafft wurde. Durch die Revision sollen Väter ermutigt werden, ebenfalls Erziehungszeiten in Anspruch zu nehmen. Schließlich kritisierte die Kommission in einem getrennt vorgelegten Bericht die Defizite in der Kinderbetreuung in vielen Mitgliedstaaten, die ebenfalls einer besseren Vereinbarkeit im Wege stünden. So lag Deutschland mit einem Anteil von 18 Prozent an Betreuungsplätzen für Kleinkinder unter drei Jahren, klar unter dem EU-Durchschnitt von 25 Prozent.

Da jüngst auch die EU-Statistik-Behörde Eurostat wieder einmal auf die demographische Entwicklung hingewiesen hat und mittlerweile kaum noch Zweifel an der Verbindung von elternfreundlichen Regelungen und der Geburtenrate bestehen dürfte, bleibt zu hoffen, dass ein Kompromiss erzielt wird, der tatsächlich eine Verbesserung für Mütter und Kinder darstellt. Auf dieser Linie argumentiert auch der EU-Kommissar. So wird Spidla in der Financial Times Deutschland mit den Worten zitiert: "Wenn man wirklich etwas gegen den Bevölkerungsschwund tun will, dann muss man dafür sorgen, dass Kinderkriegen für Frauen kein Karrierehindernis bedeutet oder deutliche finanzielle Einbußen erfordert."

Die EKD hat in der Vergangenheit sowohl in der bundesdeutschen Debatte als auch in Brüssel für mehr Frauen- und Familienfreundlichkeit im Berufsleben geworben. Das wird nicht nur über die Bedeutung begründet, die Kinder und Familie aus religiöser Sicht zukommen, sondern auch ökonomisch: Die unzureichende Vereinbarkeit von Beruf und Familie verursache für Arbeitgeber erhebliche Kosten, so dass durch familienfreundliche Maßnahmen ein deutliches Einsparpotenzial realisiert werden kann (u.a. durch eine bessere Gesundheitsquote und Motivation, Vermeidung von Überbrückungs-, Fluktuations- und Wiedereingliederungskosten). Ein besonderes Engagement für familienfreundliche Regelungen und Maßnahmen diene auch der Gewinnung qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sei daher in jeder Hinsicht ein Beitrag zur Stärkung der eigenen Zukunftsfähigkeit. Um mit gutem Beispiel voran zu gehen, hat die EKD 2007 eine Arbeitshilfe zur Familienförderung im kirchlichen Raum verabschiedet: Damit will die Kirche ihrer Verantwortung als größter nicht-staatlicher Arbeitgeber gerecht werden. Die Unterstützung aus Brüssel ist daher in diesem Bereich hoch willkommen.

Links zu den Vorschlägen der Kommission finden sich unter:
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/08/1450&format=HTML&aged=0&language=EN&guiLanguage=en

Der Bericht zur Kinderbetreuung in Europa ist abrufbar:
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/08/1449&format=HTML&aged=0&language=EN&guiLanguage=en

Zur kirchlichen Familienförderung:
http://www.ekd.de/EKD-Texte/56944.html



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