Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Europa-Informationen Nr. 131

Neue Vorschläge der Europäischen Kommission zur Verbesserung der Asylstandards in Europa

(Katrin Hatzinger)

Am 21. Oktober 2009 hat die Europäische Kommission die bereits seit längerem angekündigten Vorschläge zur Überarbeitung der Asylverfahrensrichtlinie und der Qualifikationsrichtlinie vorgelegt.

Die Vorschläge sollen die „letzten Bausteine“ eines einheitlichen europäischen Asylsystems darstellen und waren u.a. im Pakt Einwanderung und Asyl eingefordert worden, den die europäischen Staats- und Regierungschefs 2008 verabschiedet hatten. Schutzstandards und Anerkennungsraten unterscheiden sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat immer noch signifikant. Mit der Änderung der bestehenden Vorschriften soll zudem ein stärkeres Maß an Kohärenz zwischen den einzelnen Asylinstrumenten hergestellt werden. Bereits im Dezember 2008 (EKD-Europa-Informationen Nr. 126) hatte die Europäische Kommission Änderungen an der sog. Dublin II-Verordnung und der Richtlinie über Aufnahmebedingungen angeregt.

Bei den Mitgliedstaaten stießen diese Ideen, die darauf angelegt sind, die Asylrechtsstandards in der EU anzuheben und verfolgten Menschen ein höheres Maß an Schutz zu bieten, bislang auf wenig Gegenliebe. Insbesondere Deutschland äußerte sich ablehnend gegenüber den Ansätzen, etwa im Dublin-Verfahren Überstellungsmechanismen aussetzen zu können, wenn der zuständige Mitgliedstaat besonderem Druck ausgesetzt ist oder zu befürchten ist, dass das Schutzniveau in dem betreffenden Staat unzureichend ist (Beispiel: Griechenland). Scharf kritisiert wurde auch der Vorschlag der Kommission, Asylbewerbern bereits nach sechs Monaten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu gestatten und Geld- statt Sachleistungen zur Verfügung zu stellen. Deutschland gibt sich auch deshalb sehr zurückhaltend, weil man der Auffassung ist, das zunächst die bestehenden Asylvorschriften in allen 27 Staaten umgesetzt und angewandt werden müssten, bevor die Asylsysteme weiter harmonisiert werden.

Unter der tschechischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2009 waren in den Ratsarbeitsgruppen kaum konkrete Ergebnisse erzielt worden. Unter der schwedischen Ratspräsidentschaft wurden die Diskussionen fortgeführt, es gab bislang jedoch noch keinen Durchbruch, so dass die Debatte unter dem spanischen EU-Vorsitz in Rat und im Europäischen Parlament fortgesetzt werden wird.

Mit der Asylverfahrensrichtlinie nimmt die Kommission nun eines der umstrittensten Asylrechtsinstrumente ins Visier. Wegen des darin enthaltenen Konzepts des „sicheren Dritt- bzw. Herkunftsstaates“ hat sie zurecht viel Kritik von Kirchen und Menschenrechtsorganisationen erfahren. Die Richtlinie ist ein Beispiel für die Übertragung fragwürdiger Konzepte aus dem nationalen, in diesem Fall aus dem deutschen Asylrecht auf die gesamte EU. Die Drittstaatenregelung wurde von Deutschland erfolgreich in die Richtlinie hineinverhandelt und hat maßgeblich dazu beigetragen, Schutzstandards europaweit abzusenken. Die pauschale Erklärung, dass ein Staat „sicher" sei, basiert oft auf Formalkriterien, wie etwa der Ratifizierung internationaler Übereinkommen. Die Praxis der Behörden in diesem Staat wird dabei hingegen oft nur unzureichend berücksichtigt. Kommt ein Antragsteller aus einem solchen Staat in die EU, kann er im Zweifel ohne Prüfung seines Ersuchens direkt wieder zurückgeschoben werden. Durch bestehende Rückübernahmeabkommen zwischen Staaten ist dann eine Abschiebung in Verfolgung nicht ausgeschlossen.

In ihrem Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie zielt die Kommission darauf ab, die Asylverfahren zu vereinfachen und zu rationalisieren, aber v.a. gerechter zu gestalten. Schutzsuchenden soll der Zugang zum Prüfverfahren erleichtert und sollen entsprechende Information und Beratungsleistungen bereitgestellt werden. Hoheitsgewässer der Mitgliedstaaten sind jetzt ausdrücklich in den Geltungsbereich der Richtlinie einbezogen. Durch Trainingsmaßnahmen und Schulungen sollen Grenzschutzbeamte und Polizeibeamte besser auf den Umgang mit Flüchtlingen vorbereitet werden.

Nach einer Übergangsfrist von drei Jahren sollen erstinstanzliche Verfahren in einer Frist von sechs Monaten erledigt werden, wenn es nach dem Willen der Kommission geht. Die Festlegung sicherer Dritt- bzw. Herkunftsstaaten in einer gemeinsamen Liste auf EU-Ebene wird aufgegeben und die Bedingungen für die Anwendung des beschleunigten Verfahrens präzisiert. Schließlich sollen die Verfahrensgarantien für schutzbedürftige Personen, wie Folteropfer oder unbegleitete Minderjährige gestärkt werden. Im Hinblick auf die Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes soll deutlich gemacht werden, dass sich die Nachprüfung erstinstanzlicher Entscheidungen durch ein Gericht sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und dass Rechtsbehelfsverfahren aufschiebende Wirkung haben.

Die Qualifikationsrichtlinie regelt, wer als Flüchtling oder subsidiär Geschützter anerkannt werden kann und welche Rechte mit der Anerkennung verbunden sind. Außerdem soll durch sie sichergestellt werden, dass diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird.

Mit der Überarbeitung strebt die Kommission unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) die Präzisierung einiger Rechtsbegriffe in der Richtlinie an, mit denen die Schutzgründe definiert werden, also z.B. „interner Schutz“ oder „Akteure, die Schutz bieten können“. Aufgrund der unzureichenden Klarheit dieses letztgenannten Konzepts kommt es zwischen den Mitgliedstaaten zu großen Divergenzen bei der Auslegung, die den Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention nicht gerecht werden. Also z.B., wenn nationale Behörden Nichtregierungsorganisationen als Schutzakteure von Frauen ansehen, denen die Gefahr einer Genitalverstümmelung oder eines Ehrenmordes droht, obwohl solche Organisationen Opfern von Verfolgung nur vorübergehend Sicherheit bieten können.

Außerdem möchte die Kommission die unterschiedliche Behandlung von Flüchtling und subsidiär Geschützen beenden, etwa im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltstitels oder den Zugang zur Sozialhilfe, zur medizinischen Versorgung oder zum Arbeitsmarkt. Als der subsidiäre Schutzstatus, z.B. für Bürgerkriegsflüchtlinge eingeführt wurde, sei davon ausgegangen worden, dass es diesen Status nur vorübergehend geben werde. Diese Annahme habe sich aber als falsch erwiesen. Darüber hinaus schlägt sie vor, den Flüchtlingen die Integration dadurch zu erleichtern, dass ihnen der Zugang zu berufsbildenden Maßnahmen, Integrationsmaßnahmen und Berufsberatung gewährt und ein diskriminierungsfreier Zugang zu Wohnraum gewährleistet wird.

Aus kirchlicher Sicht ist das Asylpaket der Kommission sehr zu begrüßen. Die geplanten Maßnahmen sollen zwar unter anderem auch dazu beitragen, einem Verfahrensmissbrauch entgegenzuwirken, stärken aber insgesamt die Rechte der Antragssteller. So indem sie z.B. darauf abzielen, überhaupt erst einmal einen Zugang zum Asylverfahren herzustellen und die Aussicht auf ausreichenden Rechtsschutz und ein faires Verfahren verbessern. Auch der Verzicht auf eine gemeinsame Liste sicherer Dritt- bzw. Herkunftsstaaten ist sehr zu begrüßen.

Aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des EuGH ist die Überarbeitung der Qualifikationsrichtlinie geboten, um begriffliche Unklarheiten zu beseitigen. Auch die Anregung der Kommission, Flüchtlinge und subsidiär Geschütze künftig mit den gleichen Rechten auszustatten wäre ein wichtiger Fortschritt für den Flüchtlingsschutz in Europa.

Es lässt sich aber schon voraussehen, dass die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten sich äußerst schwierig gestalten werden. Als erste Reaktion auf die Vorschläge äußerten einige Mitgliedstaaten Bedenken, dass durch die Verbesserungen des europäischen Asylrechts mehr Menschen irregulär in die EU einreisen würden. Der Justiz- und Innenkommissar Jacques Barrot entgegnete, genau das Gegenteil sei der Fall: „Ein klares, rationales, harmonisiertes System ist der beste Weg, um den Menschenhändlern das Handwerk zu legen, die das Verfahrenswirrwarr ausnutzen“. Barrot bedauerte, das manche Regierungen, wohl durch populistische Strömungen beeinflusst, der Auffassung seien, ein europäisches Asylsystem stelle ein Risiko dar.

In Zeiten, in denen z.B. Österreich sein Asyl- und Fremdenrecht dahingehend novelliert, dass Verschärfungen und Pauschalverdächtigungen gegen Fremde sich wie ein roter Faden durch den Gesetzesentwurf ziehen, die Möglichkeiten, Asylsuchende in Haft zu nehmen, ausgeweitet und ihr Rechtsschutz eingeschränkt wird, oder Frankreich afghanische Asylbewerber nach Kabul abschiebt, ist es um den Flüchtlingsschutz in Europa wahrlich nicht gut bestellt.

Den Vorschlag zur Überarbeitung der Asylverfahrensrichtlinie finden Sie hier:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2009:0554:FIN:DE:DOC

Den Vorschlag zur Überarbeitung der Qualifikationsrichtlinie finden Sie hier:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2009:0551:FIN:DE:PDF



erweiterte Suche