Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Europa-Informationen Nr. 133

Kommunen unter Druck: Wie die EU helfen kann, wenn den Städten das Geld ausgeht

(Patrick Roger Schnabel)

Am 26. April 2010 veranstalteten das Brüsseler Büro des Bevollmächtigten und die EU-Vertretung des Diakonischen Werkes der EKD eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kommunen unter Druck“, die sich mit der Finanzlage der Städte und Gemeinden und möglichen europäischen Hilfen beschäftigte. Die Veranstaltung war Teil des inhaltlichen Beitrags, den die Kirche und ihre Diakonie zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung leisten. Gleichzeitig war es der erste offizielle Besuch des rheinischen Präses Nikolaus Schneider als amtierender Ratsvorsitzender der EKD in Brüssel.

Die Kommunen sind nah am Menschen und dürfen deshalb in ihren Handlungsspielräumen nicht eingeschränkt werden, Europa ist in einer globalisierten Welt ein wichtiger Faktor und muss darum an Einfluss gewinnen. Mit diesem doppelten Bekenntnis markierte Schneider seinen informellen Antrittsbesuch. Konkret forderte der Ratsvorsitzende einen Entschuldungsplan für die Kommunen und eine tragfähige finanzielle Basis für deren Arbeit. Weiteren Steuersenkungsplänen trat er entschieden entgegen. „Die Kommune ist der Ort, an dem Menschen Demokratie erleben und gestalten“, hob der Theologe und Sozialethiker hervor. Die Kirche und ihre Diakonie seien in der sozialen Arbeit auf die Kommunen als Partner angewiesen, betonte auch Pfarrer Klaus-Dieter Kottnik, der Präsident des Diakonischen Werks der EKD. Die Städte würden aber immer schwächer. Bestätigt wurde diese Einschätzung vom Kämmerer der Stadt Wuppertal, Dr. Johannes Slawig, der die Situation als „nicht nur besorgniserregend, sondern bedrückend“ bezeichnete. Wenn man etwa Banken geholfen habe, weil sie systemrelevant seien, müsse man erst recht die Kommunen mit ihrer Bedeutung für den Staat unterstützen. In den Kommunen würden sich die meisten Menschen politisch und gesellschaftlich engagieren, hier wachse die Demokratie. Deshalb sei es wichtig, dass die Kommunen ihre Selbstverwaltung erhielten und so den Bürgern unmittelbare Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten gäben.

Wie gering diese Möglichkeiten durch die kommunale Finanzkrise inzwischen seien, wurde am Beispiel möglicher EU-Hilfen deutlich. Vertreter von EU-Kommission und der Europaparlamentarier Sven Giegold (GRÜNE) erläuterten, was Struktur- und Sozialfonds leisten könnten.  Stadtdirektor Slawig räumte ein, dass EU-Förderung auch für Wuppertal grundsätzlich möglich wäre. Aber, so der Kämmerer, der Stadtrat dürfe solche Mittel nicht beantragen, weil die zuständige Finanzaufsicht nicht einmal mehr die geringe Eigenbeteiligung von 10 % genehmige: „Um zehn Millionen zur Verfügung zu haben, müssten wir eine Million einbringen. Diese Million wäre gut investiert, gilt aber nicht als notwendige Ausgabe. Handlungsspielräume existieren nicht mehr.“
Schneider folgerte aus der Debatte: „Die zentralen Aufgaben der Zukunft sind über Freiwilligkeit nicht zu bewältigen. Gemeinsamkeit funktioniert nur, wo die Gemeinschaft Kontrollmöglichkeiten hat. Wir brauchen nicht weniger, wir brauchen mehr Europa – um der Menschen willen.“ Sven Giegold ergänzte, die EU könne Verstöße gegen Wettbewerbsregeln sanktionieren, aber in der Sozialpolitik solle es nicht einmal Empfehlungen geben dürfen. Die Mitgliedstaaten würden in entscheidenden sozialen Fragen weder selbst handeln, noch der EU Handlungsmöglichkeiten einräumen. Dabei hingen Wirtschafts- und Sozialpolitik eng zusammen. Zustimmung kam auch von Manuela Geleng aus der Generaldirektion für Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und Integration. Alle Mitgliedstaaten müssten nach ihren Kräften daran mitarbeiten, dass die EU quantifizierbare Ziele erreiche – auch in den Schlüsselbereichen Bildung und Bekämpfung von Armut, für die aber gerade auch Deutschland solche Zielvorgaben derzeit noch ablehne oder relativieren wolle. In diesem Sinne forderten die Diskussionsteilnehmer, dass das Ziel der „EU-Strategie 2020“, die Armut bis 2020 um 25 % zu senken, durch verbindliche nationale Ziele gestützt werden müsse, über die regelmäßig zu berichten sei und die von der Union überprüft werden könnten. Der Ratsvorsitzende und der Diakoniepräsident kündigten an, sich dafür einzusetzen, das auch Deutschland dabei einen Armutsbegriff zu Grunde legt, der die gesellschaftliche Gesamtsituation berücksichtigt: „Es geht eben nicht nur um Hunger, es geht um Vergleichbarkeit mit dem Nachbarn und um gesellschaftliche Teilhabe“, hob Präses Schneider hervor.

Als Beispiel guter Praxis wurde das gemeinsame Papier „’Gerechtigkeit erhöht ein Volk’ – Solidarität zur Schaffung gleicher Lebensbedingungen“ der Konferenz der Ruhrsuperintendenten und der (Ober-)Bürgermeister der Städte im Ruhrgebiet und im Bergischen Land sowie der Landräte vom März 2010 erwähnt. Als größte freie Träger von Sozialleistungen und enge Partner der Städte bei der Umsetzung der Sozialpolitik schließen sich Kirchen und Kommunen zusammen, um eine Lösung anzumahnen, die den Bürgern und ihren gewählten Vertretern vor Ort die politischen Gestaltungsspielräume wieder gibt.



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