Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Europa-Informationen Nr. 133

Den Sonntag schützen: Eine breite Allianz setzt sich für einen gemeinsamen Ruhetag ein

(Partick Roger Schnabel)

Über 400 Teilnehmer aus der EU kamen am 24. März 2010 ins Europäische Parlament, um bei der „Ersten Europäischen Konferenz für einen arbeitsfreien Sonntag“ einen Appell an die politisch Verantwortlichen zu richten, den Sonntag als Tag der Arbeitsruhe zu erhalten. Eingeladen hatte auf Initiative der Abgeordneten Thomas Mann (Europäische Volkspartei, Deutschland) und Patrizia Toia (Progressive Allianz der Sozialdemokraten, Italien) ein breites Bündnis aus Kirchen, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften. Auch die EKD gehörte zu den Unterstützern der Konferenz. Hauptredner war der neue EU-Kommissar für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Integration, László Andor. Die Veranstalter überreichten dem Kommissar einen gemeinsamen Aufruf, sich für den Schutz des Sonntags in künftiger EU-Gesetzgebung einzusetzen.

Aus Deutschland waren die stellvertretende Ver.di-Chefin Ingrid Sehrbrok, der Arbeitspsychologe Prof. Friedhelm Nachreiner und, für die evangelische Kirche, Philip Büttner vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KdA) auf der Sprecherliste. „Es kann aufgrund verschiedener Erhebungen ein ganz klarer Zusammenhang zwischen der Arbeit gerade am Sonntag und einem erhöhten Risiko von Arbeitsunfällen, Krankheit und Fehlzeiten, sowie negative Effekte auf soziale Einbindung nachgewiesen werden“, betonte Nachreiner. Der Bremer Forscher war schon als Sachverständiger im Verfahren um den Schutz der Adventssonntage vor dem Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr aufgetreten. Unterstützung bekam er von vielen Gewerkschaftern aus dem Einzelhandel. Niemand gehe gern Sonntags arbeiten und die Mehrkosten für die Unternehmen würden über Dumpinglöhne wieder eingeholt. Ein Unternehmer aus Rheinland-Pfalz pflichtete bei: „Wir brauchen wieder schärfere Regelungen zum Schutz des Sonntags. Ich muss meine guten Fachkräfte schonen, aber die großen Ketten üben einen Riesendruck auf den Mittelstand aus. Wenn wir nicht mithalten, lenken sie alle Kaufkraft auf sich um.“ Und immer mehr Menschen sind betroffen: „In Deutschland arbeiten elf Millionen Erwerbstätige auch an Sonn- und Feiertagen – drei Millionen mehr als noch vor zehn Jahren“, betonte Büttner vom KdA.

Das kirchliche Engagement für eine europäische Regelung zum Sonntagsschutz ist nicht neu. Seit Jahren setzt sich die EKD im ökumenischen Schulterschluss mit vielen anderen Kirchen dafür ein, dass der Sonntag als der allgemeine Tag der Arbeitsruhe in der Arbeitszeitrichtlinie grundsätzlich anerkannt wird. Das war bis 1996 auch der Fall, ist aber aufgrund einer Klage des Vereinigten Königsreichs gegen die gesamte Richtlinie vom EuGH für nichtig erklärt worden. Der Gesetzgeber, so argumentierten die Richter damals, hätten nicht nachgewiesen, wo der Zusammenhang zum Arbeitnehmerschutz bestehe. Als rein kulturelles Anliegen aber falle der Sonntagsschutz nicht in die EU-Kompetenz, sondern bleibe alleinige Angelegenheit der Mitgliedstaaten.

Das eindrückliche Referat von Professor Nachreiner bestätigte aber etliche Studien, die seitdem einen signifikanten Zusammenhang zwischen einem schlechteren Gesundheitszustand von Arbeitnehmern und regelmäßiger Sonntagsarbeit nachweisen konnten. Die Möglichkeit, seine familiären Beziehungen, gemeinschaftliche Hobbies und gesellschaftliche Partizipation zu pflegen, steht und fällt mit einem Ruhetag, der nicht individuell, sondern eben für alle gleichzeitig eingeräumt wird. Der Rhythmus der Woche trägt durch die verlässliche Ruhezeit besser zur Erholung bei als die dauerhafte Geschäftigkeit einer sieben-Tage-Woche. Diese Erkenntnisse lassen sich heute nicht mehr von der Hand weisen. Der Sonntag hat also in seiner Leistung für die life-work-balance, die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben eine Wirkung, die weit über seine religiöskulturellen Wurzeln hinaus geht.

Dass der Sonntag Grenzen aufzeigt, betonen auch die Kirchen. Die EU müsse im Sinne des richtungsweisenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2009 anerkennen, dass der Sonntagsschutz einen besonderen Bezug zur Menschenwürde aufweist: Er ziehe dem ökonomischen Nutzdenken eine Grenze und diene dem Menschen um seiner selbst willen, betonte der Bevollmächtigte des Rates der EKD, Prälat Felmberg in einer Pressemitteilung zur Konferenz.

Die Konferenz kam zum richtigen Zeitpunkt: Am gleichen Tag begann die offizielle Konsultation der Sozialpartner im Rahmen des Sozialen Dialogs der EU zur Revision der Arbeitszeitrichtlinie. Auch wenn viele Punkte strittig sind und besonders die Frage nach der wöchentlichen Höchstarbeitszeit (vgl. Europa-Informationen Nr. 129) die gewerkschaftliche Agenda beherrscht, wäre ein Hinweis auf die Bedeutung des Sonntags für die Arbeitnehmer eine begrüßenswerte Hilfe, um die Kommission zu überzeugen, die gestrichene „Sonntagsklausel“ gut begründet wieder aufzunehmen.



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