Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Europa-Informationen Nr. 133

Vergessene Gefahr: Artensterben schreitet weiter voran

(Patrick Roger Schnabel / Mira B. Ragunathan)

2010 ist das von den UN erklärte Internationale Jahr der Artenvielfalt. Das für dieses Jahr in Aussicht genommene Ziel ist weder auf europäischer Ebene noch auf globaler Ebene erreicht worden. Deshalb hat die Europäische Kommission im Januar eine Mitteilung mit Vorschlägen für eine neue Strategie veröffentlicht (s. Europa-Informationen Nr. 132). Am 15. März 2010 nahm der Rat in der Zusammensetzung der Umweltminister nun Schlussfolgerungen an, die sich der Europäische Rat vom 26. März zueigen gemacht hat. Darin wird ausdrücklich das langfristige Ziel bekräftigt, bis 2050 die Artenvielfalt zu schützen und angemessen wieder herzustellen. Als mittelfristiges Ziel wird angestrebt, 2020 den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen und, soweit möglich, mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Die Ratsschlussfolgerungen enthalten jedoch nicht nur die europäischen Ziele, sondern verweisen auch auf die Verantwortung der EU für die Artenvielfalt außerhalb ihrer Grenzen, die auch von eigenen Aktivitäten beeinflusst werde. Alle menschliche Aktivität müsse global so begrenzt werden, dass keine irreversiblen Folgen für die Natur entstünden.

Mit Veröffentlichung der Europäischen Roten Liste gefährdeter Arten am 16. März 2010 wurde zugleich die verschärfte Bedrohung des Erhalts der Artenvielfalt durch Klimawandel und Verlust der Lebensräume aktuell belegt: 14% der Libellen-, 11% der vom Faulholz abhängigen Käfer- und 9% der Schmetterlingsarten sind vom Aussterben bedroht. Einige dieser Arten sind ausschließlich in Europa beheimatet, diesen droht das weltweite Aussterben. Die Rote Liste wird im Auftrag der Europäischen Kommission erstellt und bietet einen Überblick über den Erhaltungsstatus von etwa 6000 europäischen Arten.

Als Ursachen für das Nicht-Erreichen der bis 2010 gesteckten Ziele macht die Kommission folgende aus: unzureichende Umsetzung bestehender rechtlicher Instrumente, unzureichende Einbeziehung in die einzelnen relevanten Politikfelder, eine unzureichende wissenschaftliche Datenbasis, unzureichende Finanzmittel und unzureichende Information der Öffentlichkeit. Ergänzt werden müssten wohl auch bestimmte fehlende rechtliche Instrumente. So blockieren etwa Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich seit mehreren Jahren die Verabschiedung einer Richtlinie zum Schutz der Böden – mit Verweis auf die Subsidiarität und zu hohen Bürokratieaufwand. Anders als Luft und Wasser sei der Boden – der übrigens Heimat von ¼ aller Arten ist – kein grenzüberschreitendes Phänomen und daher in nationaler Zuständigkeit.
Kommission (und auch das Parlament) hingegen sehen angesichts der Bedeutung der Böden für die gesamte Umwelt einen deutlichen grenzüberschreitenden Bezug.

Um dem Problem der mangelnden Information der Öffentlichkeit zu begegnen, hat die Kommission am 9. April 2010 die Kampagne „Biodiversity – we are all in this together“ gestartet. 5 Millionen Euro sollen investiert werden, um mehr Bewusstsein für die Bedeutung der Artenvielfalt für das sensible Gefüge der Ökosysteme zu schaffen, die das „natürliche Kapital” Europas darstellen. Das scheint auch nötig: Nach einer repräsentativen Eurobarometer-Umfrage vom 9. April 2010 geben nur 38% der befragten Europäer an, zu wissen, was unter Artenvielfalt zu verstehen sei. Die meisten Befragten finden den Verlust der Artenvielfalt zwar schlimm, glauben aber nicht, dass er sie persönlich betreffen wird.

Gegenüber dieser weitverbreiteten Meinung betont die Kommission die Bedeutung der Artenvielfalt – um ihrer selbst willen, aber auch als entscheidender wirtschaftlicher Faktor. Die Leistungen, die intakte Ökosysteme erbringen, würden noch zu wenig einbezogen. Der derzeitige Verlust an Biodiversität koste geschätzte 50 Millionen Euro jährlich, bis 2050 würde er zu einer Minderung des Konsums um 7% führen. Wachstum hänge also unmittelbar auch von der Qualität des Artenschutzes ab, weshalb dem Thema in der Strategie Europa 2020 ein besonderes Augenmerk gelten müsse, da diese explizit auf nachhaltiges Wachstum setze.

Aus kirchlicher Sicht ist die Betonung des Artenschutzes zu begrüßen, zumal einige Studien davon ausgehen, dass der Artenschutz langfristig ökologisch relevanter sein könnte als der Klimaschutz – wobei beides natürlich eng zusammenhängt. Die starke Betonung der wirtschaftlichen Aspekte ist dabei wohl notwendig, um einen Bewusstseinswandel bei denen zu bewirken, für die nur einen Wert hat, was einen Preis hat.

Die Schlussfolgerungen des Rates finden Sie hier:
http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/en/envir/113373.pdf

Die Europäische Rote Liste finden Sie unter:
http://ec.europa.eu/ 

Die Artenvielfaltskampagne finden Sie hier:
http://ec.europa.eu/environment/biodiversity/campaign/index_de.htm



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