Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Europa-Informationen Nr. 133

Ambivalente Freiheit: Mehr nationale Autonomie bei der Zulassung von genetisch veränderten Organismen?

(Patrick Roger Schnabel)

Am 2. März 2010 traf die Europäische Kommission eine Zahl von Entscheidungen, die die Situation des Anbaus und der Verwendung von genetisch modifizierten Organismen (GMO) in der Union maßgeblich verändern dürften: Zwei Beschlüsse betreffen die Genehmigung des Anbaus der genetisch veränderten Kartoffelsorte Amflora (von BASF), die nun zur industriellen Verwendung, aber auch zur Mitnutzung für die Futtermittelindustrie freigegeben ist. Drei weitere Beschlüsse erlauben das Inverkehrbringen (nicht aber den Anbau) der genetisch veränderten Maisorten MON863xMON810, MON863xNK603 und MON863xMON810xNK603 (von Monsato). Damit werden erstmals seit 1998 Genehmigungen für den Anbau oder die Verwendung von GMO in der EU erteilt – bisher ist nur der Mais MON810 (ebenfalls von Monsato) freigegeben.

Politisch noch weitreichender als diese Genehmigungen dürfte eine andere Ankündigung sein: Die Kommission bestätigte, dass man konkrete Vorschläge für die Umsetzung der von Präsident Barroso in seinen politischen Leitlinien für seine zweite Amtsperiode bereits 2009 angekündigten Reform des Genehmigungsverfahrens erarbeite. Danach soll zwar die Entscheidung über die grundsätzliche Freigabe eines GMO weiterhin auf der EU-Ebene, die des tatsächlichen Anbaus aber auf mitgliedstaatlicher Ebene getroffen werden.

Die Freigabe erfolgte im schriftlichen Verfahren ohne Aussprache, aber mit einstimmigem Beschluss des Kommissionskollegiums auf Empfehlung des neuen maltesischen Kommissars für Gesundheit und Verbraucherpolitik, John Dalli. Die Entscheidung durch die Kommission ist dann möglich, wenn der Rat der Europäischen Union sich nicht mit qualifizierter Mehrheit für oder gegen die Zulassung ausspricht. Da unter den Mitgliedstaaten kein Konsens besteht, kam eine solche Mehrheit in der Vergangenheit nicht zustande. Vielmehr wurde die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA), die ursprünglich eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt hatte, zur erneuten Prüfung beauftragt, nachdem andere Behörden Skepsis signalisiert hatten, dass ein zur Kennzeichnung der Produkte verwandtes Markierungsgen Antibiotika-Resistenz bewirkt, die evtl. von den GMO auf Mensch und Umwelt überspringen und damit den Gesundheitsschutz gefährden könnte. Die EFSA, deren Unabhängigkeit und Prüfverfahren allerdings bei Umweltverbänden angezweifelt wird, bescheinigte 2009 aber erneut die Unbedenklichkeit der in Frage stehenden GMO.

Die Entscheidung ist nicht nur umstritten, weil sie nach zwölf Jahren erstmals wieder GMO freigibt, sondern auch, weil es sich um solche mit antibiotischen Genen handelt. Schließlich bestimmt die RL 2001/18/EG, dass die Mitgliedstaaten und die Kommission dafür sorgen, dass GMO, die Gene enthalten, welche Resistenz gegen in der ärztlichen oder tierärztlichen Behandlung verwendete Antibiotika vermitteln, bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung besonders berücksichtigt werden, und zwar im Hinblick auf die Identifizierung und schrittweise Einstellung der Verwendung von Antibiotikaresistenzmarkern in GMO, die schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben können. Diese schrittweise Einstellung der Verwendung, so die Richtlinie,  erfolgt im Falle der Freisetzung bis zum 31. Dezember 2004 und im Falle des Inverkehrbringens bis zum 31. Dezember 2008. Die nahegelegte Einstellung der Verwendung solcher Marker ist aber nicht erfolgt: Als Begründung gilt der Kommission, dass sich schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt gerade nicht nachweisen ließen.

Kommissar Dalli hat jedenfalls erklärt, er rate weder prinzipiell zu GMO oder dagegen, sondern sei für einen streng wissenschaftlichen, rationalen Zugang zu der Frage. Die Gegner warne er vor Entscheidungen nach Bauchgefühl, während er der der Industrie zu mehr Dialog und Aufklärungsarbeit rate, um eine unsachliche Debatte zu verhindern. Die Kommission treffe ihre Entscheidungen in der Abwägung von Risiko und Innovation, wobei es nicht sein könne, dass Europa bei der Innovation ins Hintertreffen gerate, wenn deren Risiko nicht eindeutig nachzuweisen sei.

Die Ankündigung, über den tatsächlichen Anbau künftig national entscheiden zu lassen, steht dazu nicht im Widerspruch. Im Gegenteil: Von dem neuen Verfahren verspricht sich die Kommission sogar eine Zunahme von tatsächlichem Anbau und Verwendung. Während einige Staaten sich zwar faktisch zur GMO-freien Zone erklären könnten, würden andere nicht mehr im Rat daran gehindert, eine andere Entscheidung zu treffen. Zudem könnte die Kritik an der Arbeit der EFSA aus kritischen Staaten aufhören, da diese nicht mehr an deren Gutachten gebunden wären. Auch das könnte zu Erleichterungen bei der Zulassung führen. Schließlich würde auch Druck aus dem Handelsstreit zwischen EU und USA auf WTO-Ebene genommen. Die Kommission und eine GMO-freundliche Linie würden also deutlich von einer subsidiären Lösung profitieren, weshalb Gegner von einem „vergifteten Geschenk“ sprechen (so Martin Häusling, MdEP, Grüne).

Ein weiterer kritischer Punkt am Kommissionsvorschlag ist der, dass die Änderungen am Verfahren nach Möglichkeit ohne Änderungen an den einschlägigen Rechtsgrundlagen erfolgen sollen. Damit wären sie möglich, ohne das Europäische Parlament passieren zu müssen, in dem es Widerstand gegen die Entwicklung gibt.

Die beiden Vorstöße der noch jungen Kommission Barroso II, die zwölfjährige GMO-Blockade zu durchbrechen und den tatsächlichen Anbau auf mitgliedstaatlicher Ebene zu erleichtern, kam nur Tage nach der Meldung, dass eben dieser tatsächliche Anbau in der EU rückläufig ist, während er in der restlichen Welt steigt. Einem globalem Anwachsen der Anbaufläche um 7 % 2009 stand im gleichen Jahr ein Rückgang um 12 % in der EU gegenüber. MON810 als einzige bisher zugelassene genveränderte Pflanze wurde in überhaupt nur sechs Staaten angebaut, wobei auf Spanien allein 80 % der Anbaufläche entfielen. Aber sogar in Spanien fiel diese 2009 um 4 %.

Aus kirchlicher Sicht ist der Kritik an den Kommissionsentscheidungen in mehrfacher Hinsicht Recht zu geben. Grundsätzliche ethische Erwägungen hinsichtlich Patentierung und Monopolisierung von Lebewesen wie auch die Gewichtung unkalkulierbarer Risiken gegenüber ökonomischen Interessen sprechen genauso gegen die Zulassung von GMO, wie Intransparenz der Prüfverfahren der EFSA. Gegen die mitgliedstaatliche Lösung spricht nicht nur die Logik des Binnenmarktes, zu deren innerstem Kern ja die Gemeinsame Agrarpolitik gehört, sondern auch die geplante Umgehung des Parlaments bei der Verfahrensänderung. Dass der neue Kommissar Dalli so schnell zu seiner Empfehlung kam – obwohl er schon diesen Sommer einen Vorschlag für einen neuen Gesamtrahmen für den Umgang mit GMO vorlegen will – darf bedenklich stimmen. Der einzige Vorteil der Pläne ist, dass die meisten Umweltlobbies auf nationaler Ebene stärker sind als auf europäischer, weil die kritischen Verbraucher die politischen Entscheidungsträger viel unmittelbarer kontrollieren und die öffentliche Diskussion über nationale Entscheidungen meist intensiver geführt wird.

Hinweise zu den Vorschlägen der Kommission:
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/10/222



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