Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel

Europa-Informationen Nr. 133

Partizipative Demokratie: Europäisches Bürgerbegehren nimmt Gestalt an

(Patrick Roger Schnabel)

Am 31. März 2010 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, mit der das in Art. 11 des Unionsvertrags (EUV) vorgesehene Bürgerbegehren umgesetzt werden soll. Der Artikel besagt, dass Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern können, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen.

Nach Art. 24 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU werden die Bestimmungen über die Verfahren und Bedingungen, die für ein Bürgerbegehren im Sinne des Artikels 11 (EUV) gelten, einschließlich der Mindestzahl der Mitgliedstaaten, aus denen die Bürgerinnen und Bürger, die diese Initiative ergreifen, kommen müssen, vom Europäischen Parlament und vom Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen festgelegt. Da das Initiativrecht für alle europäischen Legislativvorhaben bei der Kommission liegt, ist mit dem Vorschlag nun der erste Schritt gemacht, Art. 11 EUV mit Leben zu füllen.

„Klar, einfach und nutzerfreundlich“ soll die Initiative werden – doch das ist offensichtlich leichter gesagt als getan, wie die immer noch recht komplexen Vorschläge zeigen. Klar ist, dass die Vorschlagenden und die Teilnehmenden Unionsbürger sein müssen, die das Wahlalter für die Europawahlen erreicht haben. Verständlich ist, dass die erforderliche Million Unterschriften aus 1/3 der Mitgliedstaaten kommen müssen, wobei nur Staaten zählen, in denen die Zahl der Stimmen der Zahl der Europaabgeordneten mit dem Faktor 750 multipliziert entspricht. Sinnvoll ist, dass Initiativen, die den Grundrechten oder Grundwerten der EU widersprechen, gar nicht erst registiert werden.

Doch neben der Registrierung gibt es noch die Bedingung, dass sie „zulässig“ sein muss, also nur Legislativvorschläge betreffen darf, in denen die Kommission auch tatsächlich eine Kompetenz hat. Diese Prüfung will die Kommission erst unternehmen, wenn bereits 300.000 gültige Unterschriften vorliegen. Das ist insofern verständlich, als sie sich die Arbeit ersparen will, aussichtslose Vorhaben zu prüfen. Jedoch hängt die Hürde damit sehr hoch, denn die Zahl umfasst immerhin 1/3 der notwendigen Stimmen und die Logistik erfordert Einiges an Aufwand, z.B. durch das nationale Verfahren zur behördlichen Bescheinigung für online-Sammelverfahren etc. Ist all das angelaufen und erfolgreich, würde ein ablehnender Bescheid aus Brüssel kaum zur Motivation beitragen.

Ähnlich gelagert ist das Problem, dass selbst eine registrierte und zulässige und erfolgreiche Bürgerinitiative keine „Erfolgsgarantie“ mit sich bringt: Das ausschließliche Initiativrecht der Kommission bleibt von der Bürgerinitiative unberührt. Die Kommission muss lediglich innerhalb von vier Monaten in einem öffentlichen Dokument begründen, warum sie eine solche Initiative nicht weiter verfolgt. Das können auch politische Gründe sein. Rechtsmittel beim EuGH sind zwar gegen den Unzulässigkeitsbescheid möglich, nicht aber gegen die Entscheidung der Kommission, eine Initiative nicht aufzugreifen. Sollte das zu oft – und gerade bei den ersten Initiativen – der Fall sein, wird den europäischen Bürgern sehr schnell deutlich, dass Aufwand und Nutzen der Initiative möglichweise in einem Missverhältnis stehen.

Andererseits wird die Kommission genau aus diesen Gründen vermutlich sorgsam mit dem Instrument umgehen. Partizipative Demokratie ist zwar keine direkte Demokratie, die Mitwirkung ist eine an der Entscheidungsfindung, nicht an der Entscheidung. Aber aufgrund der langen Legitimationskette zwischen Wähler und Entscheidern besteht eben nicht nur ein gewisses Demokratiedefizit – die wachsende Macht des Parlaments gleicht das zunehmend aus –, sondern es fehlt vor allem noch an einer europäischen Öffentlichkeit mit europäischen Themen. Wenn die Bürgerinitiative es schafft, diese bleibenden „publizistischen“ Grenzen zu überwinden, hat sie viel erreicht. Daran hat auch die Kommission ein großes Interesse, stärkt es doch auch die gefühlte Legitimität ihrer Arbeit.

Erste Pläne für Bürgerinitiativen gibt es übrigens schon: So soll auch der Schutz des arbeitsfreien Sonntags (s. Beschäftigung und Soziales) Gegenstand einer Initiative werden. Aus kirchlicher Sicht wäre das ein besonders geeignetes Thema, da es ganz unmittelbar mit der Lebenswirklichkeit der Europäer zu tun hat und einen wichtigen Beitrag zu einem europäischen Sozialmodell leisten könnte, das die sozialen Bedürfnisse über die des Marktes stellt und im Menschen mehr sieht als den Konsumenten.

Den Vorschlag der Kommission finden Sie unter:
http://ec.europa.eu/dgs/secretariat_general/citizens_initiative/docs/com_2010_119_de.pdf



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