Fachgespräch in Brüssel: Junge Menschen im Freiwilligendienst

(Doris Klingenhagen)

Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011 haben die Vertretungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des Diakonischen Werkes der EKD in Brüssel zum Anlass genommen, am 22. September 2011 ein Fachgespräch zum Thema „Junge Menschen im Freiwilligendienst – Europäische Perspektiven“ durchzuführen.

 

Dazu waren zwei junge Freiwillige eingeladen sowie eine Vertreterin der Organisation „Evangelische Freiwilligendienste für junge Menschen“. Das Gegenüber bildete eine Vertreterin der Kommission aus der Generaldirektion Kultur, Bildung und Jugend, in der das Programm „Jugend in Aktion“ angesiedelt ist. Der „Europäische Freiwilligendienst“ stellt in diesem Programm seit 1992 eine Programmlinie dar. Moderiert wurde das Gespräch von Petra Zwickert, Diakonisches Werk der EKD.

 

In ihrer Begrüßung hob OKR’in Katrin Hatzinger hervor, dass die christlichen Werte eine besonders ergiebige Ressource für das freiwillige Engagement bilden. Die Freiwilligen Lisa Hoffmann und Dominik Speck berichteten von den prägenden Erfahrungen ihres Einsatzortes in einem Altenpflegeheim in Belgien und einer Einrichtung für suchtkranke Männer in Dänemark. Diese reichen von der gewonnenen Klarheit über die Berufsorientierung, der Aufnahme eines Studiums im Ausland, dem Erlernen einer neuen Sprache bis hin zu neuem Wissen über andere Länder und Erfahrungen mit anderen Kulturen durch die Begegnung mit Freiwilligen aus verschiedenen europäischen Ländern.

 

Neben vielen guten Erfahrungen nannten sie Punkte, bei denen sie Verbesserungsbedarf bei der EU anmeldeten: Freiwilligen fehlt ein eigener Status wie ihn Student(inn)en oder Auszubildende haben. Problematisch sehen sie auch die Vermischung in den Seminaren von Freiwilligen im Langzeiteinsatz mit anderen, die nur zwei Wochen lang an einem Workcamp im Ausland teilnehmen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Doppelung der Trägerseminare mit einer eigenen verpflichtenden Seminarstruktur der Europäischen Kommission.

 

Andrea Böhm von den Evangelischen Freiwilligen­diensten betonte die Wichtigkeit einer qualitativ hochwertigen Begleitstruktur, die den Freiwilligen die nötige Sicherheit und Verlässlichkeit biete. Sie wies dabei auf die wichtige Rolle der Träger hin, die leider immer weniger unterstützt würden. Für die Administration und die Auswahlverfahren gebe es keine öffentlichen Zuschüsse. Im Blick der Kommission seien fast ausschließlich die Freiwilligen und die Einsatzstellen.

 

Ein weiteres Problem sind die häufigen Veränderungen der rechtlichen Grundlagen des Freiwilligendienstes. Die Trägerorganisationen müssten diese auffangen und trotzdem annähernd gleiche Bedingungen für alle schaffen. Frau Böhm unterstrich in ihrem Beitrag jedoch auch die Wichtigkeit des „Europäischen Freiwilligendienstes“. Ihm sei es zu verdanken, dass es inzwischen sehr viel mehr Einsatzorte in den neuen EU-Mitglied­staaten gebe. Er müsse jedoch als Teil eines eigenständigen Jugendprogramms wie „Jugend in Aktion“ erhalten bleiben. Leider steht dies aktuell zur Disposition.

 

Frau Podlasek-Ziegler aus der Generaldirektion Jugend erläuterte die Sichtweise der Kommission. Sie betonte dabei die Unterschiedlichkeit der 27 Mitgliedstaaten, die gemeinsame Regelungen nicht immer ganz einfach machten – insbesondere in der Frage der Seminare. Außerdem dürfe nicht vergessen werden, dass das Programm „Jugend in Aktion“, zu dem der Europäische Freiwilligendienst gehört, allen jungen Menschen zugänglich sein soll. Dazu gehören auch benachteiligte junge Menschen, bei denen veränderte Formate wie kurzzeitigere Einsätze die vorhandene Hemmschwelle verringern könnten. Forderungen nach dem Erhalt eines eigenständigen Jugendprogramms setzte sie entgegen, dass es in der jetzigen Finanz- und Wirtschaftskrise nötig sei, sich auf die dringenden Felder wie der Jugendarbeitslosigkeit zu konzentrieren und zu fragen, welchen Beitrag der Freiwilligendienst dazu leisten könne. Diese Dimension solle mit dem Programmvorschlag „Education Europe“ aufgegriffen werden. Frau Podlasek-Ziegler versicherte, dass der Europäische Freiwilligendienst Berücksichtigung fände.

 

Das Publikum schaltete sich aktiv in das Fachgespräch ein. Im Hinblick auf die Zukunft des Jugendprogramms in der EU wurde vor der Gefahr der zu erwartenden Konkurrenz mit großen formalen Bildungseinrichtungen wie beispielsweise Universitäten gewarnt. Doris Klingenhagen aus dem Büro der EKD in Brüssel gab zum Schluss mit einem Zitat der Bundesregierung zu Bedenken, was auch für den Freiwilligendienst gilt: „Jugendarbeit ist mehr als Herstellung von Humankapital. Education Europe ist das falsche Signal an alle jungen Menschen, die in den Begriffen „Jugend“ und „jung sein“ mehr sehen, als nur zu Humankapital entwickelt zu werden und in kürzester Zeit optimal ausgebildet als hochqualifizierte Arbeitskräfte dem Markt zur Verfügung zu stehen“.



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