Kommission legt Vorschläge zur Reform des Schengen-Raums vor

(Christopher Hörster)

Die Europäische Kommission hat am 16. September 2011 zwei Vorschläge zur Änderung der Schengen-Regeln veröffentlicht. Zum einen den Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines Evaluierungsmechanismus, der die Einhaltung der Schengen-Regeln überwachen soll, zum anderen einen Vorschlag zur Änderung des Schengener Grenzkodexes (Verordnung (EG) Nr. 562/2006), der die Festlegung von gemeinsamen Regelungen für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen beinhaltet.

Die Schengen-Regeln garantieren grundsätzlich Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen in den Mitgliedstaaten und bestimmen, dass ein Visum eines Mitgliedstaates auch die freie Einreise in die anderen Mitgliedstaaten ermöglicht. Diese Reisefreiheit ist in der EU weithin als eines der zentralsten Bürgerrechte anerkannt, die Kommission spricht von einer der „greifbarsten, beliebtesten und erfolgreichsten Errungenschaften des europäischen Projekts“.

Hintergrund der nun veröffentlichten Vorschläge waren im Frühjahr laut gewordene Vorwürfe, einzelne Mitgliedstaaten würden die Schengen-Regeln missachten. So hatte beispielsweise Italien im April 2011 illegal eingereisten Tunesiern Schengen-Visa ausgestellt, die ihnen ermöglichten innerhalb der EU weiterzureisen, woraufhin Frankreich begonnen hatte, Einreisende zu kontrollieren. Auch Dänemark hatte im Mai erstmals seit über zehn Jahren wieder angefangen, an seinen europäischen Binnengrenzen permanente Grenzkontrollen durchzuführen. Als Grund gab die dänische Regierung die Bekämpfung der angeblich zunehmenden grenzüberschreitenden Kriminalität an.

Grenzkontrollen stellen allerdings für die Reisefreiheit, als ein für die gesellschaftliche Integration in Europa zentrales Bürgerrecht, eine extreme Beschränkung dar. Daher erlaubt der nun veröffentlichte Vorschlag der Kommission Grenzkontrollen nur als ultima ratio, und verlagert die Entscheidung über die Einführung solcher Kontrollen, bis auf sehr geringe Ausnahmen, auf die europäische Ebene. Darüber hinaus soll der Überwachungsmechanismus Missstände bei der Anwendung der Schengen-Regeln früh erkennen und diesen entgegenwirken.

Im Rahmen des Überwachungsmechanismus sieht der Vorschlag der Kommission eine regelmäßige Evaluierung eines jeden Mitgliedstaates auf der Grundlage von Fragebögen, Ortsbesichtigungen sowie Berichten der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex vor. Treten bei dieser Evaluierung Unzulänglichkeiten bei der Anwendung der Schengen-Regeln auf, ist der Mitgliedstaat verpflichtet, diese zu beseitigen, und über seine Fortschritte regelmäßig Bericht zu erstatten. Bestehen die gerügten Mängel in einer unzureichender Kontrolle der Außengrenzen, kann die Kommission den Mitgliedstaat darüber hinaus anweisen, Hilfe von Frontex in Anspruch zu nehmen oder bestimmte Grenzübergänge befristet zu schließen. Erst wenn die Situation trotzdem unverändert bleibt, kann die Kommission nach dem Schengener Grenzkodex selbstständig die Einführung von Grenzkontrollen beschließen.

Der Schengener Grenzkodexes regelt im Detail, wann Grenzkontrollen an den europäischen Binnengrenzen wieder eingeführt werden können. Nach dem Vorschlag kann zunächst die Kommission auf Antrag eines Mitgliedstaates Grenzkontrollen genehmigen, wenn eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit besteht. Ist aufgrund einer solchen Bedrohung ein sofortiges Handeln erforderlich, darf ein Mitgliedstaat auch selbstständig Grenzkontrollen einführen, allerdings nur für die Dauer von fünf Tagen. Danach bedarf die Grenzkontrolle wieder der Genehmigung durch die Kommission. Als letztes Mittel kann die Kommission, wenn ein Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen bei der Kontrolle der Außengrenzen wiederholt nicht nachkommt, auch selbstständig Grenzkontrollen beschließen, um so die restlichen Mitgliedstaaten vor der unkontrollierten Einwanderung zu schützen.

Bei der Beratung der Vorschläge im Europäischen Parlament wurde insbesondere die Verknüpfung von der Einwanderung Drittstaatsangehöriger mit einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, den der Vorschlag zur Änderung des Schengen-Grenz­kodexes nach Ansicht einiger Abgeordneter herstellt, massiv kritisiert. In keinem Fall dürften Immigranten per se kriminalisiert werden und so grundsätzlich als eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gelten, so dass eine Wiedereinführung von Grenzkontrollen gerechtfertigt wäre. Diese Kritik scheint insofern berechtigt, als der Vorschlag in der Tat intensive, schengenrechtswidrige Einwanderung in einen engen kausalen Zusammenhang zu einer Gefahr für die öffentliche Ordnung oder innere Sicherheit stellt (vgl. Art. 26 und 5. Erwägungsgrund).

Die Vorschläge werden im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren verhandelt, Rat und Europäisches Parlament entscheiden somit gemeinsam. Die erste Beratung im Rat steht noch aus.      

Sie finden die Vorschläge unter:

http://eur-lex.europa.eu



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