EuGH: Keine Patente auf menschliche embryonale Stammzellen

(Katrin Hatzinger)

Am 18. Oktober 2011 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg in der Rechtssache C-34/ 10 (Oliver Brüstle / Greenpeace e.V.) geurteilt, dass wissenschaftliche Forschung, die die Verwendung menschlicher Embryonen voraussetzt, keinen patentrechtlichen Schutz erlangen könne. Gleichzeitig hält der EuGH fest, dass die Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken, Gegenstand eines Patents sein könne, wenn sie dem menschlichen Embryo zu Gute komme. Damit hält sich der Gerichtshof in weiten Teilen an die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom März dieses Jahres.

 

Der Rechtssache liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Neurobiologe Oliver Brüstle ist Inhaber eines im Dezember 1997 angemeldeten Patents, das isolierte und gereinigte neurale Vorläuferzellen betrifft, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen hergestellt und zur Behandlung neurologischer Erkrankungen verwendet werden sollen. Nach Angaben von Herrn Brüstle gibt es bereits klinische Anwendungen, u. a. bei Patienten, die an Parkinson erkrankt sind.

 

Auf die Klage von Greenpeace hat das Bundespatentgericht das Patent von Oliver Brüstle für nichtig erklärt, soweit es sich auf Verfahren bezieht, die es ermöglichen, Vorläuferzellen aus Stammzellen menschlicher Embryonen zu gewinnen. Der Bundesgerichtshof hat dem EuGH die Frage vorgelegt, wie der Begriff des „menschliche Embryos“ auszulegen sei, da dieser in der Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (sog. Biopatentrichtlinie) nicht definiert wird.

 

Der Gerichtshof in Luxemburg hatte ferner die Frage zu entscheiden, was mit dem Passus „Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Biopatentrichtlinie gemeint ist. Mit der Richtlinie soll ein unionsrechtlicher Rahmen für Erfindungen festgelegt werden, die lebende Materie betreffen, indem u. a. angegeben wird, was patentierbar ist und was nicht. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt, dass Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, von der Patentierbarkeit ausgenommen sind. Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie nennt die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen und kommerziellen Zwecken als Beispiel für nicht patentierbare Erfindungen.

Der EuGH macht in dem Urteilsspruch deutlich, dass es sich bei der Definition des menschlichen Embryos um ein Thema handele, „das in vielen Mitgliedstaaten gesellschaftspolitisch sehr sensibel und von deren unterschiedlichen Traditionen und Werthaltungen geprägt sei“. Er gehe aber nicht auf Fragen medizinischer oder ethischer Natur ein, sondern werde sich auf eine juristische Auslegung der Richtlinie beschränken. Er kommt im Ergebnis zu einer weitreichenden Auslegung des Begriffs „menschlicher Embryo“, nämlich:

-  jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an, da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen;

-  jede unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist;

-  jede unbefruchtete menschliche Eizelle, die durch Parthenogenese (eingeschlechtliche Fortpflanzung) zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist;

 

Der Zusammenhang und das Ziel der Richtlinie ließen erkennen, dass der Unionsgesetzgeber jede Möglichkeit der Patentierung ausschließen wollte, sobald die der Menschenwürde geschuldete Achtung dadurch beeinträchtigt werden könnte.

 

Was Stammzellen angehe, die von einem menschlichen Embryo im Enwicklungsstadium der Blastozyste gewonnen werden, sei es Sache des nationalen Gerichts, im Licht der technischen Entwicklung festzustellen, ob sie geeignet sind, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen. Hinsichtlich der Auslegung des Begriffs der „Verwendung“ kommt der EuGH zu dem Schluss, dass die Erteilung eines Patents für eine Erfindung grundsätzlich deren industrielle oder kommerzielle Verwertung miteinschließe. Selbst wenn das Ziel der wissenschaftlichen Forschung von industriellen oder kommerziellen Zwecken unterschieden werden müsse, könne die Verwendung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken, die Gegenstand der Patentanmeldung wäre, nicht vom Patent selbst und den daran geknüpften Rechten getrennt werden.

 

Das Urteil hat in der Öffentlichkeit eine widersprüchliche Würdigung erfahren. Während es von Kirchenvertretern und z.B. vom deutschen Europaparlamentarier Peter Liese (CDU) einhellig Zustimmung erfahren hat, meldeten sich aus Forscherkreisen Stimmen zu Wort, die mit dem Urteil den Verbleib der embryonalen Stammzellforschung in Europa gefährdet sehen. Andere Stimmen kritisieren eine „Beschneidung der Rechte von Forschern in extremer Weise“ (FAZ vom 26.10.2011), da auch bereits angemeldete Patente widerrufen werden könnten. Ohne Patentschutz würde kein Unternehmen Millionen von Euro in die Erforschung neuer Therapien oder Medikamente investieren. Daneben wird bemängelt, dass der EuGH im Bewusstsein der Tragweite seines Urteils den Umfang des Verbots recht unscharf formuliert habe. So hätten die Richter zwar definiert ab wann das Entwicklungsstadium beginnt, aber nicht wann es ende, so dass sich z.B. Abgrenzungsfragen hinsichtlich der Patentierung von Verfahren mit Stammzellen aus Nabelschnurblut ergeben. Greenpeace weist in einer Pressemitteilung hingegen darauf hin, dass Forscher in den vergangenen Jahren verschiedene Möglichkeiten gefunden hätten, geeignete Stammzellen herzustellen, ohne menschliche Embryonen zu zerstören.

 

Der Bundesgerichtshof muss jetzt unter Berücksichtigung der Vorgaben aus Luxemburg ein abschließendes Urteil fällen. Mit ihrer Entscheidung haben die Europarichter aber auch eine Richtung vorgegeben, der sich alle europäischen Staaten anpassen müssen. Im Hinblick auf die europäische Forschungsförderung ergibt sich folgendes Bild: auch wenn im aktuellen 7. Forschungsrahmenprogramm (FRP) der EU aufgrund der divergierenden Rechtslage in den Mitgliedstaaten nur eine sehr geringe Anzahl an Projekten mit menschlichen embryonalen Stammzellen gefördert wird und keine EU-Gelder in Projekte fließen dürfen, die die Zerstörung menschlicher Embryonen beinhalten, ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des EuGH Auswirkungen auf die Förderungswürdigkeit derartiger Projekte im 8. FRP (2014- 2020) haben wird, verdeutlicht sie doch erneut die ethischen Kontroverse in diesem Forschungsbereich. Durch das Verbot der Patentierbarkeit menschlicher embryonaler Stammzellen entfällt zudem ein wichtiger Anreiz für eine verstärkte Forschung mit diesen Zellen, da die kommerzielle Verwertbarkeit eingeschränkt ist. Der Richterspruch verdeutlicht zudem eindrücklich, dass kommerzielle Verwertungsinteressen nicht über die Würde des menschlichen Lebens gestellt werden dürfen.

 

Unterdessen hat am 15. November 2011 das US-amerikanische Unternehmen Geron angekündigt, ihre klinischen Versuche mit embryonalen Stammzellen ab sofort einzustellen.

 

Das Urteil finden Sie unter:

http://curia.europa.eu



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