Weiterhin großer Reformbedarf in der Türkei auf dem Weg zum EU-Beitritt

(Stefanie Heuer)

Am 12. Oktober 2011 hat die Europäische Kommission ihre jährliche Mitteilung über die Erweiterungsstrategie und die damit zusammenhängenden wichtigsten Herausforderungen veröffentlicht. Darin enthalten ist u.a. der Fortschrittsbericht zur Türkei, der einige positive Entwicklungen und Fortschritte hervorhebt, aber dennoch vielzählige Punkte benennt, bei denen die Türkei Nachholbedarf hat.

 

Fortschritte wurden bei den politischen Kriterien erzielt, so wurden am 12. Juni 2011 freie und gerechte Parlamentswahlen abgehalten. Positive Entwicklungen sind ebenfalls im Justizwesen zu verzeichnen. Die Annahme von Rechtsvorschriften zum Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte und zum Verfassungsgericht bietet den Rahmen für eine größere Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz. Auch Reformen der öffentlichen Verwaltung wurden auf den Weg gebracht. Gute Fortschritte wurden bei der Integration in den Europäischen Forschungsraum und den Vorbereitungen auf die „Union der Innovation“ erzielt. Die Wirtschaft der Türkei verzeichnet weiterhin einen steilen Aufschwung, was nicht zuletzt sinkende Arbeitslosigkeit und ein hohes BIP-Wachstum mit sich bringt. Allerdings sind das Handels- und das Leistungsbilanzdefizit gestiegen und auch bei der Inflation hat ein Anstieg eingesetzt. Es besteht außerdem ein hohes Armutsrisiko, insbesondere für die ländliche Bevölkerung und für Kinder.

 

Nur geringe Fortschritte erzielte die Türkei im Bereich Menschenrechte und dem Schutz von Minderheiten. Insbesondere mangelt es bei der freien Meinungsäußerung und der Religionsfreiheit an Reformen.

 

Die freie Religionsausübung wird grundsätzlich respektiert. Eine protestantische Kirche wurde im Juni in der Stadt Van im Osten der Türkei eröffnet. Türkische Amtsträger trafen sich mit religiösen Führern nicht-muslimischer Gemeinden. Dennoch sind nicht-muslimische religiöse Gemeinden noch immer Diskriminierung und administrativer Willkür ausgesetzt. Sie erhalten keine Rechtspersönlichkeit, was sich u.a. auf ihre Eigentumsrechte sowie auf ihre Finanzierung auswirkt. Auch werden immer wieder Anschläge auf Kirchen, Synagogen und Friedhöfe verübt. Weiterhin bestehen Einschränkungen in der Ausbildung von Geistlichen. Persönliche Dokumente, wie z.B. der Personalausweis, enthalten Angaben zur Religionszugehörigkeit, was Diskriminierung fördern kann. Das türkische Bildungsministerium hat neue Schulbücher für religiöse Bildung entwickelt, die auch Informationen zum Alevitentum beinhalten. Trotzdem werden alevitische Andachtsorte nicht anerkannt. Darüber hinaus müssen Aleviten sowie nicht-muslimische religiöse Gemeinden selbst für Strom- und Wasserversorgung aufkommen, wohingegen der türkische Staat diese Kosten für Moscheen übernimmt.

 

In Hinblick auf die freie Meinungsäußerung wurden zwar offene Debatten über sensible Themen wie die Kurden- und Armenierfrage geführt, allerdings wird immer noch eine große Zahl an Gerichtsverfahren und Ermittlungen gegen Journalisten, Schriftsteller, Wissenschaftler und Menschenrechtler eingeleitet. Das hat Selbstzensur zur Folge und auch die Sperrung von Internetseiten steht der freien Meinungsäußerung im Wege.

 

Weitere Herausforderungen sind der Schutz der Frauenrechte, die Förderung der Geschlechtergleichstellung und die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. An dieser Stelle sind weitere Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen notwendig. Ebenso fehlt es an Maßnahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung von Frauen.

 

Keinerlei Ansätze sind erkennbar, die auf eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen zur Republik Zypern abzielen. Was Griechenland betrifft, werden die Bemühungen fortgesetzt, die bilateralen Beziehungen zu verbessern. Hingegen hat die Türkei die Beziehungen zu den Staaten des westlichen Balkans intensiviert und zeigt dort Unterstützung für Frieden und Stabilität.

 

In den vergangenen Jahren hat die Türkei erhebliche Fortschritte auf dem Weg in die Europäische Union erzielt, dennoch bedarf es weiterer bedeutender Anstrengungen, um die Grundrechte in der Praxis zu gewährleisten, insbesondere die freie Meinungsäußerung, die Frauenrechte und die Religionsfreiheit.

 

Den vollständigen Bericht finden Sie hier:

http://eur-lex.europa.eu/



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